Plädoyer für Kunst und Kultur

Leseprobe Zur Poesie braucht es Widerstand: Mitten in Zeiten der globalen Pandemie entwirft Konstantin Wecker eine Utopie für eine Gesellschaft, in der Kultur, Solidarität und Menschlichkeit den Stellenwert bekommen, der für ein gutes Leben für alle nötig ist
Altes Museum, Berlin.
Altes Museum, Berlin.

Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Prolog: Mein Leben ohne Bühne

Wie liebe ich es, auf der Bühne an meinem Flügel zu sitzen und für mein Publikum zu singen und zu musizieren. Was für ein Geschenk seit über 50 Jahren! Und was für ein Glück, dass ich nur sehr selten wegen Krankheit pausieren musste. Wie liebe ich das Raunen und Murmeln des Publikums vor dem Konzert, die angespannte Stille bei leisen Liedern, den liebevollen Applaus.

Ich singe, weil ich ein Lied hab’, hieß eines meiner allerersten Lieder. Nicht, weil es euch gefällt. Und das ist mein künstlerisches Lebensund Überlebensmotto geblieben.

Klar hatte ich nichts dagegen, auch mal berühmt zu sein und hab’s auch manchmal genossen, manchmal sehr daran gelitten. Aber das war es nie, was mich auf die Bühne trieb.

Was mich antrieb, meine Lieder zu singen, immer und immer wieder, auch in Zeiten, wo es mir gar nicht gut ging, war diese ungeheure Freude, gemeinsam mit meinem Publikum das Leben zu feiern, sich gemeinsam über Ungerechtigkeit und politische Dummheit zu empören und in Poesie und Melodien zu schwelgen.

Nein, ich hörte nie auf zu träumen von einer herrschaftsfreien Welt, wo der Menschen Miteinander unser Sein zusammenhält. Und ich werde auch nicht aufhören, diesen Traum von Utopia weiter zu träumen.

Aber dann kam Covid-19, und mir wurde zum ersten Mal richtig bewusst, wie mir all diese Gemeinsamkeiten schmerzlich fehlen.

Und ja, ganz ehrlich, ich weiß erst jetzt, dass ich das alles als viel zu selbstverständlich genommen habe.

Und klar, auch dem eitlen Ego fehlt die allabendliche Bewunderung, der Zuspruch, die Begeisterung, die man entfachen kann mit einer treffenden Zeile, einer treffenden Melodie.

Das habe ich jahrzehntelang lieber ausgeblendet, vielleicht weil es mir wohl etwas peinlich war, zu offenbaren, wie mein Ego all das doch gebraucht hat.

Dann wurden wegen des Lockdowns erst mal alle Konzerte abgesagt, und da ich unbedingt musizieren wollte, haben wir uns am 22. März 2020 für den ersten Livestream entschieden. Wie ging es uns dabei? Fany Kammerlander, Jo Barnikel, Sarah Straub und ich spielten das erste Mal in ein dunkles Loch statt in einen mit begeisterten Menschen belebten Raum und – es war sehr, sehr schwer.

Dazu galt es noch Abstand zu wahren zu den KollegInnen, wir konnten uns nicht umarmen, wie sonst immer. Während der Lieder konnte man sich noch durch das Miteinander-Musizieren mitreißen lassen, aber in den Pausen wusste niemand so recht, wie man sich verhalten sollte. Es fehlte so viel: natürlich der Applaus, aber auch der Blick ins Publikum, das Geräusch quietschender Stühle, Rascheln, Murmeln, ach – es fehlten natürlich die lieben Menschen. Nicht immer einer Meinung mit mir, aber doch immer mit der gleichen Sehnsucht im Herzen. Mit Poesie und Widerstand auf der Suche nach dem Wunderbaren.

Und so habe ich beschlossen, mich auf das Abenteuer einzulassen: mich mit der Pandemie auseinanderzusetzen, der Systemrelevanz der Kultur in diesen so turbulenten und ungewöhnlichen Zeiten, mit den Versäumnissen und Fehlern der Politik, mit den Gefahren, die diese Zeiten für die Demokratie bedeuten, mit den Gefahren eines sich weltweit wieder neu belebenden Faschismus, wie es Umberto Ecco so richtig in seinem Vortrag Der ewige Faschismus 1995 dargelegt hat.

Dieser Prozess des Umdenkens, sich Einfühlens, neu Erlernens und Erkennens sollte sich, angefangen vom ersten Lockdown im Frühjahr 2020, bis jetzt – Ende April des Jahres 2021 – fortsetzen, und wird sicher noch lange kein Ende finden.

Erst wollte ich ja nur über meine Schmerzen und Probleme eines Lebens ohne Bühne schreiben, dann haben sich die Dinge so vehement entwickelt, dass ich immer wieder in Statements und Texten auf meiner Website oder in meinen Streams Stellung bezogen habe.

Diese intensiven Phasen der Reflexionen, Diskussionen und Interventionen fanden wiederum Eingang in meine Musik, meine Lieder und die Gestaltung meiner digitalen Konzerte »Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten«. Sie haben mir auch in Momenten der Verzweiflung Kraft gegeben, weil ich erleben und begreifen durfte, warum im Hoffen die Kraft für Veränderungen liegt.

Deshalb sollen diese Statements, Texte und Gespräche auch in diesem Buch nachzulesen sein, sind sie doch Zeugnisse eines sich stetig neu entdeckenden Prozesses.

Zwischen den Welten – vom Schrecken des Rassismus

Im Januar und Februar 2020 war ich dem Virus, geografisch gesehen, schon sehr nah. Nach einem Jahr voller Konzerte wollte ich für einige Wochen aus dem Alltag ausbrechen, mich in Südostasien erholen und an meinem Utopia-Programm arbeiten. Doch wirklich verstanden und wahrgenommen habe ich das, was unser aller Leben und mein Leben auf der Bühne nur kurze Zeit später vollständig durcheinanderbringen sollte, noch nicht. Von Zeit zu Zeit verfolgte ich in den digitalen Medien, was in Deutschland gerade passierte, und war von den Nachrichten über das rassistische Massaker in Hanau am Abend des 19. Februar, die mich zeitversetzt einen Tag später erreichten, zutiefst geschockt. Ich ahnte auch noch nicht, wie stark mich der tödliche Hass, der Rassismus und die faschistischen Netzwerke im kommenden Jahr herausfordern sollten.

Wenige Tage später landete ich in München, das Virus aus Asien war mir bereits vorausgeeilt nach Italien, auch wenn die beunruhigenden Nachrichten aus Bergamo den Brennerpass noch kaum überwinden konnten. Als ob Bayern und der Rest der EU mit diesen Geschehnissen nichts zu tun hätte. Es sollte die kürzeste Saison und Tournee meiner gesamten künstlerischen Laufbahn werden.

Das letzte Live-Konzert

Mein letztes Konzert vor dem Lockdown fand am 11. März 2020 in der Stadthalle Weinheim statt. Mein alter Freund Günter, ein Freund aus Gymnasialzeiten, fuhr mich, wie fast immer, zu meinen Konzerten. Und wir hatten CD’s und Bücher dabei, die Günter immer nach den Konzerten verkauft. Mein Publikum kennt ihn bereits, er ist der zum Glück doch nicht verstorbene »Willy«. Und er hat, auch weil er als Mann des phänomenalen Gedächtnisses gerühmt an meiner Biografie mitgeschrieben hat, ein wirklich gutes Verhältnis zu meinen KonzertbesucherInnen. Für Günter sollte dieses Jahr ohne Konzerte auch eine Katastrophe werden.

Der Auftritt in Weinheim war eines unserer sogenannten TRIO Konzerte, zusammen mit der wunderbaren Cellistin Fany Kammerlander und dem großartigen Pianisten Jo Barnikel.

Ich kam auf die Bühne und begrüßte mein Publikum mit den Worten: »Schön, dass ihr alle hier seid!« Etwa 500 Leute waren da, und es wurde ein wunderschöner inniger und poetischer Abend, wir ahnten wohl, dass dieses Konzert eines der letzten sein würde. Für lange Zeit!

Ich wollte an diesem »letzten« Abend nicht allzu viel über Corona sprechen und hatte auch das Gefühl, dass mein Publikum sich lieber der Poesie hingeben wollte. Einmal sagte ich aber: »Es gibt noch einen viel gefährlicheren Virus: den Faschismus.«

Und dann spielte ich Sage Nein!

Dieser Satz sollte richtungweisend werden für vieles, was ich dann in diesem Jahr noch geschrieben habe.

Nach diesem uns Musiker sehr bewegenden Konzert kam der Lockdown und alles wurde abgesagt.

Ach, wie vermisse ich es am Ende eines Abends – meistens bei dem Lied Questa nuova realta – singend durch das Publikum zu gehen, die Menschen zu umarmen, ihnen die Hand zu schütteln. Und gerne auch nach dem Konzert in irgendeiner Hotelbar bei einem Glas Wein mit ihnen zu reden. Wir drei konnten uns einfach nicht vorstellen, nicht mehr auf der Bühne zu stehen.

Wir leben für und von der Musik. Ich habe von meinen Musikern – egal mit wem ich gespielt habe in den letzten 50 Jahren – noch nie erlebt, dass sie genervt oder gelangweilt waren. Egal wie es einem vor dem Konzert erging, ob man vielleicht schlecht gelaunt war oder etwas kränklich – sobald sich der Vorhang erhob, bildlich gesprochen, waren und sind wir mitgerissen vom Miteinander-Musizieren, von der Magie der Musik, von der Möglichkeit, immer wieder neu die gleichen Lieder erleben und entdecken zu können, zu improvisieren, in Tönen zu schwelgen und in fast heiliger Stille zu schweigen. Das habe ich übrigens früh schon gelernt, wie wichtig Pausen sind. In den kurzen Pausen erwacht und gestaltet sich die Musik in den Zuhörern neu, um dann wieder mit Urgewalt die Seele zu umarmen.

Es war immer diese Leidenschaft, die mich an meinen Musikern so begeistert hat. Mit anderen wäre ich nie auf eine Bühne gegangen. Mit Fany spiele ich nun auch schon seit über fünf Jahren und Jo ist mein Partner seit fast 30 Jahren.

Immer waren und sind diese außergewöhnlichen und begnadeten Musiker mit jener Professionalität dabei, die eben nicht abstumpft, sondern immer dazulernt. Auch ich hatte nie das Gefühl, dass mich das Singen und Spielen meiner Lieder – seien sie noch so alt – je langweilen könnte. Und ich entdecke in jedem Konzert eine neue Sicht auf die Poesie und die immer lebendige Musik.

Seit über 40 Jahren singe ich in fast jedem meiner Konzerte mein Lied Wenn der Sommer nicht mehr weit ist.

Und ich habe es immer wieder, jedes Mal neu interpretiert.

Ein Zuhörer beschwerte sich sogar einmal, dass das Lied nicht so wie auf der CD klinge. Ich konnte dem Mann nicht helfen.

Ich erlebe meine Lieder immer wieder neu.

Weiß ich doch, unter welchen Umständen ich die meisten geschrieben habe. Sie flogen mir zu, oft, als ich in meiner Persönlichkeit noch nicht annähernd die Reife hatte, sie zu leben und zu verstehen.

23.06.2021, 12:22

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