„Der Gipfel der Repression"

Leseprobe Der Student und Pazifist Benno Ohnesorg, aus nächster Nähe von einem Polizisten in Zivil in den Hinterkopf geschossen und tödlich verletzt auf dem Westberliner Asphalt liegend, ist Bernard Larssons wohl berühmtestes und auch erschütterndstes Bild
Der Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 von einem Polizisten erschossen – der Auslöser der 68er-Bewegung
Der Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 von einem Polizisten erschossen – der Auslöser der 68er-Bewegung

Foto: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 de

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

aus der Geschichte und aus Geschichten können wir oft lernen und aus Bildern, die in ihrer ganz eigenen Bildsprache erzählen. Die Bildsprache Bernard Larssons, Fotografen der 68er-Bewegung, ist selbst bewegend, besonders eindrucksvoll und voller Spannung, ja, zum Teil auch erschütternd. Aus Geschichte und Geschichten lernen soll hier nicht heißen, dass Neunmalkluge uns die Welt erklären. Die 68er-Bewegung hatte auch nicht auf alles die einzig gültige Antwort und auch kein »Parteiprogramm«. Es gab Lösungen, Forderungen, Diskussionen zu Krieg und Frieden, zu sozialen Fragen, zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern und vielen weiteren gesellschaftlichen und politischen Themen, ob national oder international. Die Forderungen waren durchaus radikal, was aus dem lateinischen Ursprung »radix« abgeleitet ist, also von der Wurzel her, Oberflächlichkeiten reichten nicht. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), eine wichtige Stimme der Bewegung, war ursprünglich der Hochschulverband der SPD, aber der SPD-Führung wohl schon 1961 zu radikal und wurde ausgeschlossen. Seitdem war er die einzige deutsche parteiunabhängige sozialistische Hochschulorganisation. Die 68er-Bewegung stellte Fragen und sie stellte infrage. Und dafür war es höchste Zeit. Das »alte« Denken und Handeln des Hitler-Faschismus, was unter anderem zum Zweiten Weltkrieg und Millionen von Todesopfern geführt hatte, war weder am 8. Mai 1945 noch mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 überwunden. Der prominente Fall Kiesinger machte deutlich, dass alte Nazi-Funktionäre nach wie vor in der Bundesrepublik Deutschland in fast allen Bereichen der Gesellschaft unwidersprochen weiteragierten, die Beispiele dafür füllen mittlerweile ganze Bände. Es war und bleibt ein großes Verdienst der 68er-Bewegung, dass nun in der breiten Öffentlichkeit Diskussionen geführt wurden, sich Proteste erhoben, Wünsche laut wurden und Fragen gestellt wurden, wie ein besseres Deutschland sein könnte und sollte und auch eine bessere Welt. Das alles widerspiegelt die wundervolle Fotosammlung Bernard Larssons, das widerspiegeln auch die Texte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Hier sind Anregungen versammelt, die uns in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft blicken lassen können. Und auch zum Nachdenken bringen können. Welches Leben, welches Mit- oder Gegeneinander wollen wir? Heute? Morgen? Wie stehen wir zur immer wiederkehrenden Frage Krieg oder Frieden? Zu sozialen Fragen? Zur ökonomischen Teilhabe? Ich würde mich freuen, wenn wir die Diskussion darüber bereichern können. Mein Dank gebührt Bernard Larsson für die vorliegende einzigartige Auswahl von Bildern und allen, die initiativ und kreativ an der Entstehung dieses Buches beteiligt sind, allen die ihre Texte eingebracht haben ebenso wie Julia Berlin, Marcelo Marques, Gabriele Swiderski, Carla Swiderski und dem ganzen GOYA-Team. Mein ganz persönlicher Wunsch – John Lennon schrieb und sang es im 68er-Folgejahr: Give peace a chance! Und unser aller Zukunft, wie soll sie sein? Vielleicht so: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche?

– Ulrich Maske

Widmung

Meine Fotoarbeit ist den Studenten der Freien Universität Berlin gewidmet, die 1966 und 1967 aus Sorge um die Demokratie den Mut hatten, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Und sie ist Lukas gewidmet, dem Sohn des von der Polizei erschossenen Studenten Benno Ohnesorg. Danken möchte ich meinem Freund Thomas Neumann, der sich von meinen Fotografien aus Ost- und Westberlin 1961 bis 1964 so angesprochen fühlte, dass er Fotografie zum Gegenstand seiner soziologischen Forschung machte und bereits 1966 seine Sozialgeschichte der Photographie veröffentlichte. Ich danke seinem Bruder Nico Neumann und Bernward Vesper vom Voltaire Verlag, die meine Anregung sofort aufgriffen, eine Dokumentation über die Ereignisse an der FU unter der Verwendung meiner Fotos herauszugeben. Die Fotos wären längst in Vergessenheit geraten, wenn sie nicht Prof. Dr. Hubertus Gassner in einer großen Ausstellung 1998 im Haus der Kunst München gezeigt hätte. Danach folgten Ausstellungen in Bonn und Berlin. Ein besonderer Glücksfall war schließlich der Hinweis 2021 von Katrin Heise, Deutschlandfunk Kultur, auf das Fehlen einer eigenständigen Publikation dieser Aufnahmen. Gehör fand ihr Aufruf bei Carla Swiderski und Ulrich Maske vom GOYA Verlag!

Ihnen allen meinen herzlichen Dank!

Bernard Larsson

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14.12.2023, 14:29

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1968: Ein Jahr voller Rebellion und Gewalt

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Beeindruckender Bildband

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