Bedrohung von rechts

Leseprobe Vier Jahre nach dem ersten Band „Extreme Sicherheit“ zieht dieses Gemeinschaftswerk investigativer Journalist*innen von Die Zeit, taz, Deutschlandfunk, u.a. eine beunruhigende Bilanz: Während die Warnsignale zunehmen, geschieht noch immer zu wenig
Oury Jalloh verbrannte in einer Zelle der Dessauer Polizei: Der Fall ist sinnbildlich für Rassismus und das Versagen von Justiz und Polizei
Oury Jalloh verbrannte in einer Zelle der Dessauer Polizei: Der Fall ist sinnbildlich für Rassismus und das Versagen von Justiz und Polizei

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Konsequent konsequenzlos

Vorwort von Seda Başay-Yıldız

Im Herbst 2018 ist Wahlkampf in Hessen. Im August 2018 habe ich das erste Drohschreiben erhalten, in dem u. a. meine Tochter unter Mitteilung von privaten und öffentlich nicht zugänglichen Daten bedroht wird. Ich erstatte Anzeige. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass die Daten in einem Polizeirevier in Frankfurt am Main abgerufen wurden und es weitere Drohschreiben – mit weiteren öffentlich nicht zugänglichen Informationen – geben wird.

Deutsche Patrioten sollten sich um uns »kümmern«. Das Urteil im sogenannten NSU-Verfahren am Oberlandesgericht München liegt gerade wenige Wochen zurück. Als Nebenklagevertreterin der Familie von Enver Şimşek weiß ich, wozu deutsche »Patrioten« in der Lage sind.

Taten statt Worte

Ich bin besorgt um mein Kind, die Sicherheit meiner Eltern. Sehr schnell wird klar: Als Familie müssen wir selbst Schutzmaßnahmen ergreifen.

Erst viele Monate nach dem ersten Drohschreiben erfahre ich aus den Medien: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) weiß bereits im August 2018, dass unsere persönlichsten Daten im 1. Polizeirevier in Frankfurt abgerufen und zunächst eine Polizeibeamtin und später mehrere Beamte suspendiert wurden. Er weiß, dass diese Beamten in einer rechtsradikalen Chatgruppe aktiv waren.

Die Öffentlichkeit erfährt hiervon jedoch nichts. Und auch ich nicht. Die Polizei informiert mich monatelang nicht.

Im Dezember 2018 – der Landtagswahlkampf ist vorbei – lese ich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt gegen Polizisten wegen rechtsextremer Inhalte in einer Chatgruppe ermittle. Ursprung dieses Verfahrens sei ein anderes Verfahren – eine Strafanzeige. Ich werde hellhörig und rufe den Sachbearbeiter der Polizei an, der meine Anzeige bearbeitet. Dort teilt man mir lapidar mit, es gebe keinen Zusammenhang.

Rechtsextremer Zugriff auf Polizeidaten

Es gebe keinen Zusammenhang – dieser Satz wird zum Mantra von Ermittlungsbehörden und Politik in einer Serie von Morddrohungen gegen viele Personen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Sie haben bis heute keine strafrechtlichen Konsequenzen für die involvierten Polizeibeamt:innen.

Nach und nach erfahre ich, dass meine und die Daten aller Familienangehörigen im 1. Polizeirevier in Frankfurt unter Eingabe der Kennung einer bestimmten Polizeibeamtin abgerufen wurden.

Als Medien berichten, dass Polizeibeamt:innen des 1. Reviers in Frankfurt suspendiert seien, erhalte ich im Büro »Post« von Personen, die sich mit den suspendierten Beamt:innen solidarisch erklären und mir drohen, dass das Konsequenzen für mich und meine Familie haben werde. Es gehen weitere Drohschreiben ein. Meine Eltern werden namentlich und mit ihren Geburtsdaten benannt. Alle diese Informationen sind nicht öffentlich zugänglich.

Meine Sorge wächst. Von der Polizei erhalten wir weiterhin keine Informationen.

Das Landeskriminalamt Hessen übernimmt im Frühjahr 2019 die Ermittlungen. Die damalige Präsidentin des Landeskriminalamtes, Sabine Thurau, informiert mich erstmals über die Ermittlungen. Ich bekomme einen Kontaktbeamten zugewiesen, der für mich 24 Stunden am Tag erreichbar ist. Auf Veranstaltungen begleiten mich Polizist:innen.

Am 2. Juni 2019 wird Walter Lübcke von einem Neonazi auf seiner eigenen Terrasse im hessischen Wolfhagen-Istha ermordet.

Am 19. Februar 2020 werden in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund aus rassistischen Gründen ermordet.

Im Mai 2021 wird ein mutmaßlicher Verfasser von mehr als 100 teils volksverhetzenden Drohschreiben mit dem Absender »NSU 2.0« in Berlin festgenommen. Es handelt sich hierbei um den arbeitslosen Alexander M.

Im Juni 2021 wird öffentlich, dass gegen 13 Beamt:innen des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Frankfurt Ermittlungen wegen Volksverhetzung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen laufen.

Im Mai 2022 wird bekannt, dass 67 rechte Chatgruppen innerhalb der Polizei Hessen zum Teil mit kinderpornografischen Inhalten aufgeflogen sein sollen.

Im August 2022 wird durch einen Artikel in der FAZ öffentlich, dass Polizeibeamt:innen aus Frankfurt unter Verdacht stehen, rechtsextreme Chats vertuscht zu haben. Unter ihnen – so jedenfalls entnehme ich es dem Artikel: der Leiter der Abteilung »Amtsdelikte«, der Zugang zu allen Ermittlungsverfahren gegen Polizist:innen hat und der Kolleg:innen wegen laufender Ermittlungen gewarnt haben soll. Unter den fünf Beschuldigten sollen drei Vorgesetzte sein, die Polizist:innen zum Teil im persönlichen Gespräch aufgefordert hätten, Chatverläufe von ihren Handys zu löschen. Sie wurden suspendiert. Weiteres wird nicht bekannt.

Am 17. November 2022 wird Alexander M. zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch das Landgericht Frankfurt gehen einer Einzeltäterthese nach und davon aus, dass der Beschuldigte aus Berlin die über 100 Drohschreiben alleine verfasst haben soll. Inzwischen wurde aber in der Hauptverhandlung deutlich, dass im 1. Revier der Frankfurter Polizei seit Beginn der Ermittlungen gegen sechs mutmaßlich an einer rechten Chatgruppe beteiligte Polizeibeamt:innen Beweismittel vernichtet und manipuliert wurden, um einen Polizeibeamten zu schützen, der schon zuvor mit extrem rechten Einstellungen aufgefallen war. Auch konnte nicht geklärt werden, wie Alexander M. die im 1. Polizeirevier abgerufenen Informationen erlangen konnte.

Am 2. August 2023 denke ich an das erste Drohfax mit der Unterschrift »NSU 2.0«, das bei mir vor genau fünf Jahren eingegangen ist. Wir und insbesondere mein Kind stehen auch fünf Jahre danach immer noch unter Polizeischutz, und dies, obwohl der hessische Innenminister nach der Anklage des Berliners Alexander M. wegen der Drohschreiben erklärt hat, dass »hessische Polizistinnen und Polizisten zu keinem Zeitpunkt Absender oder Tatbeteiligte der ›NSU-2.0‹-Drohmail-Serie« waren.

Das gibt nicht die ganze Wahrheit wieder.

Nicht nur Einzelfälle

Peter Beuth verschweigt, dass mein Name im 1. Polizeirevier in Frankfurt am 2018 insgesamt 17 Mal in drei verschiedenen Datenbanken eingegeben wurde, um so gezielt Informationen über mich zu erlangen. Ohne dienstlichen Anlass. Dass die Daten meiner damals knapp zweijährigen Tochter und die Daten meiner Eltern und meines Mannes ebenfalls ohne dienstlichen Anlass abgefragt wurden. Und dass bis heute nicht geklärt wurde, wie der Täter in Berlin an diese Informationen gelangen konnte.

Was der Innenminister von Hessen noch verschweigt: dass die Polizei keine Erklärung dafür hat, wie Alexander M. im Jahr 2020 meine nach einem Umzug streng geheime und gesperrte neue Adresse in Frankfurt in Erfahrung bringen konnte. Zwei Adressen also, die nicht öffentlich zugänglich waren. Dass der Berliner extra hierfür nach Frankfurt gekommen ist und mich observiert hat, ist ausgeschlossen.

Die Polizist:innen des 1. Reviers jedenfalls, die im Jahr 2018 suspendiert wurden, sind auch jetzt noch suspendiert, teilweise bei vollen Bezügen. Entlassungen erfolgten trotz Ankündigungen des Innenministers auch fünf Jahre später nicht. Dabei dürften dem Innenminister die Inhalte der Chats und damit die rechtsextremistische, antisemitische und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu vereinbarende Einstellung der Beamt:innen bekannt sein.

Aber auch das langsame Vorgehen der Justiz ist nicht nachvollziehbar. Warum Anklagen gegen Polizist:innen, deren Verfahren bereits im Jahr 2019 ausermittelt wurden, teils vier Jahre dauern, ist nicht verständlich.

Der Satz, ich sei selbst daran schuld, dass meine Familie und ich bedroht wurden, macht in Frankfurter Justizkreisen die Runde, Polizist:innen befragten unsere ehemaligen Nachbar:innen, ob ein Nachbarschaftsstreit die Ursache für die Drohbriefe des »NSU 2.0« sei.

Im Juni 2023 wird bekannt, dass ein Polizist mit arabischem Vor- und Nachnamen dermaßen rassistisch von Kolleg:innen aus der eigenen Dienstgruppe des 1. Reviers in Frankfurt gemobbt wurde, dass er letztlich einem Angebot zustimmte, sich auf ein anderes Revier versetzen zu lassen. Eine:r der Beamt:innen, die den arabischstämmigen Polizisten gemobbt haben sollen, soll zwischenzeitlich befördert worden sein.

Im Herbst 2023 wird ein neuer Landtag in Hessen gewählt. Ein Thema wird im Law-&-Order-Überbietungswettkampf sorgsam ausgespart: die rechtsextremen Skandale in der hessischen Polizei – und die Konsequenzlosigkeit, mit der die Dienstherren und das Innenministerium darauf reagiert haben. Mehr noch: Die Mehrheit der Regierungsparteien im Hanau-Untersuchungsausschuss verhinderte sogar, dass der Abschlussbericht zu dem verheerenden Polizeieinsatz am 19. Februar 2020 und zu den rechtsextremen SEK-Beamt:innen, die damals im Einsatz waren, vor der Wahl veröffentlicht wird.

Es wird keine Konsequenzen haben, dass Polizeibeamte mit dem Abruf und der Verbreitung sensibler und nicht öffentlich zugänglicher Daten meine Familie und vor allem mein Kind einer andauernden Gefahr ausgesetzt haben. Es wird keine Konsequenzen haben, dass sie antisemitische, menschenverachtende und rassistische Inhalte geteilt haben.

Hessen ist kein Einzelfall. Das ist die verheerende Bilanz der vergangenen fünf Jahre. Der Schutz für diejenigen, die den demokratischen Rechtsstaat schützen wollen – so wie die Brandmauer zur AfD –, bröckelt, weil zu wenige Konsequenzen ziehen.

Konsequenzen – das machen die Beiträge vieler Autor:innen in diesem Sammelband deutlich – gibt es nur für diejenigen, die rechtsextreme Umtriebe in staatlichen Institutionen melden.

Wem gehört der Staat?

Einleitung von Heike Kleffner und Matthias Meisner

Wie groß ist die Bedrohung für den Rechtsstaat aus dem Inneren seiner Institutionen? Und in wessen Händen liegt unsere Sicherheit? Diese Frage bewegt und beunruhigt viele Menschen. Denn schon lange bevor die Bundesanwaltschaft am 7. Dezember 2022 aus Sorge vor den gewaltsamen Umsturzplänen eines groß angelegten Netzwerks aus dem Milieu der Reichsbürger- und QAnon-Anhänger:innen bundesweit mehr als 300 Objekte durchsuchen und zwei Dutzend Beschuldigte festnehmen ließ, ist offensichtlich geworden: Rechtsextreme Polizist:innen, Bundeswehrangehörige und Richter:innen haben keine Skrupel, ihre dienstlichen Privilegien und Befugnisse einzusetzen, um den demokratischen Rechtsstaat zu unterminieren, zu dessen Schutz sie sich verpflichtet haben.

Im Juli 2023 entschied der 3. Strafsenat am Bundesgerichtshof, dass für den harten Kern der Beschuldigten aus dem mutmaßlichen rechtsterroristischen Netzwerk um Heinrich XIII. Prinz Reuß – darunter ehemalige und aktive Angehörige von Eliteeinheiten der Bundeswehr, Polizist:innen, eine Berliner Richterin und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete – ausreichend Gründe und Beweise vorliegen, um eine fortdauernde Untersuchungshaft zu rechtfertigen. Die Tatvorwürfe – Rädelsführerschaft, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens durch die mutmaßlichen bewaffneten Umsturzpläne inklusive gewaltsamer Erstürmung des Reichstags und Geiselnahmen von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten demokratischer Parteien – wiegen schwer. Dass es sich bei diesem Netzwerk nicht um einen bedauerlichen weiteren Einzelfall, sondern um die Spitze des Eisbergs einer »durchaus gegenwärtigen Gefahr« für die innere Sicherheit handelt, gibt inzwischen auch der amtierende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang zu. Sebastian Leber beschreibt in diesem Buch weitere Fälle aus der Reichsbürgerszene.

Doch angesichts der nicht abreißenden weiteren Enthüllungen über offenbar zum Äußersten entschlossene Staatsfeind:innen macht sich vielerorts eine zutiefst beunruhigende Mischung breit – aus routinierter kurzfristiger Empörung, gefolgt von Abwehr und Verharmlosungen à la »Rentnertruppe «, »umstrittene Chats« oder »bedauerliche Einzelfälle« und achselzuckender Gewöhnung. Gerade im Vergleich etwa zu medialen und politischen Daueraufregerthemen wie Straßenblockaden von Klimaaktivist:innen oder gendersensibler Sprache scheint die Bedeutung der Frage, inwieweit die gesellschaftliche Polarisierung auch diejenigen Institutionen erfasst hat, die ohne Ansehen der Person dem Staat und dem Wohl aller dienen sollen, gefährlich unterschätzt.

Dieses Buch kann weder beruhigen noch Entwarnung geben. Im Gegenteil. Auf viele Weckrufe sind wenig echte Konsequenzen gefolgt. Warnsignale werden allzu oft ignoriert, Strafverfahren blockiert, Disziplinarmaßnahmen verschleppt, Nachahmer:innen ermutigt. Es sind die Dammbrüche im Alltag und die Gewöhnung daran, die den demokratischen Rechtsstaat erschüttern. Vielen Weckrufen, Erschütterungen und Bedrohungen gehen die Beiträger:innen dieses Buches schon seit Jahren nach – aus der Perspektive investigativer Journalist:innen und Berichterstatter:innen, Wissenschaftler:innen, Jurist:innen und der Angegriffenen, die unmittelbar von der Normalisierung von Rassismus, Antisemitismus und NS-Verherrlichung betroffen sind.

2019 haben wir im Verlag Herder das Buch Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz als erste Tiefenbohrung vorgelegt – mit vielen Autor:innen, deren Recherchen auch die Grundlage für den ersten Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu »Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden« im Sommer 2020 bildeten. Konrad Litschko zeichnet den Weg dahin in seinem Beitrag nach.

Nun, vier Jahre später, ist es Zeit für eine Zwischenbilanz. Wie haben sich die großen Fälle entwickelt, was ist getan worden zur besseren Prävention? Aber vor allem auch: Was muss noch getan werden, damit die entstandenen Netzwerke gestoppt werden in ihren Plänen für die Entführung von Abgeordneten und Minister:innen, für Anschläge auf Moscheen, Angriffe auf zivilgesellschaftliche Initiativen sowie unliebsame Journalist:innen und Wissenschaftler:innen? Wird die geplante Novelle des Disziplinarrechts helfen? Ist auch mit Blick darauf, dass sich die rechtsradikale AfD gezielt bei Staatsdiener:innen vor allem in den Sicherheitsbehörden andient, ein Verbot dieser Partei überfällig? Unser neues Buch Staatsgewalt soll diese Diskussionen forcieren. Denn es ist offensichtlich: Der Höhenflug der AfD ein Jahrzehnt nach ihrer Gründung und eine verfestigt rechtextreme Wähler:innenklientel, die eine rechtsradikale Partei aus Überzeugung und nicht aus Protest wählt, haben Auswirkungen – auf das gesellschaftliche Klima ebenso wie auf die Institutionen des Rechtsstaats und ihre Funktionsträger:innen.

Viele der Fälle, die von den Autor:innen dieses Buchs beschrieben und diskutiert werden, sind nicht von den Sicherheitsbehörden selbst aufgedeckt worden – sondern gehen auf journalistische und antifaschistische Recherchen und manchmal auf Zufälle zurück. Entsprechend wird auch in den ab 2020 vom Bundesinnenministerium eigens in Auftrag gegebenen zwei Lageberichten des Verfassungsschutzes zu Rechtsextremisten und Reichsbürgern in den Sicherheitsbehörden – ein dritter wird im Frühjahr 2024 erwartet – vornehmlich nur das notiert, was ohnehin bekannt ist. Die Polizistin und Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic sagt dazu: »Das sind ja alles Fälle, die nicht aufgetaucht sind, weil die Institutionen sie zutage gebracht haben im Sinne einer guten Führungskultur, im Sinne von Mechanismen, dass man solche Dinge entdeckt.« Nicht nur die Fälle selbst würden das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden erschüttern, sondern auch der Umgang damit. »Wir müssen uns fragen, ob die Institutionen in der Lage sind, sich von solchen unguten Kräften zu reinigen. Das ist aus meiner Sicht ein Führungsproblem.«

Ein Beispiel aus Baden-Württemberg: Dort versuchte die AfD 2021, mit einer parlamentarischen Anfrage im Landtag den Antisemitismusbeauftragten des Bundeslandes, Michael Blume, zu diskreditieren, nachdem dieser in einem Radiointerview von »Netzwerken« von »alten Herren im Staatsdienst« gesprochen hatte, die einander deckten. Blume hatte das vor allem auf rechtsextreme, rassistische und antisemitische Burschenschaftler bezogen. Die AfD spitzte in ihrer Frage zu: Ob es wirklich solche Netzwerke gebe, die tief bis in den Staatsdienst bis hin zu Polizei und Justiz reichen? Die Antwort der Staatsregierung, über die damals die Stuttgarter Zeitung berichtete, fiel in die Kategorie Verharmlosung: »Den Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg liegen keine Erkenntnisse zu dem in den Fragestellungen aufgeführten Netzwerken innerhalb der Polizei oder der Justiz vor.«

Dieses Buch vermisst auch die Reaktionen des Rechtsstaats auf eine Reihe bekannter Sachverhalte – mit vielen ernüchternden Ergebnissen. Wie ein roter Faden ziehen sich die Grenzen der straf- und disziplinarrechtlichen Aufarbeitung durch viele Beiträge – etwa im Vorwort von Seda Başay-Yıldız und im Überblick von Pitt von Bebenburg und Hanning Voigts zur Serie rechtsradikaler Morddrohungen des »NSU 2.0«, von Malene Gürgen zur Rolle rechter Polizist:innen und Staatsanwält:innen in der Rechtsterrorismusserie in Berlin-Neukölln, vom ehemaligen Rechercheteam der taz um Sebastian Erb, Martin Kaul und Christina Schmidt zum Nordkreuz-Komplex in Mecklenburg-Vorpommern und zum Netzwerk um Franco A. Mehr als fünf Jahre vergingen zwischen der Aufsehen erregenden Festnahme des Bundeswehroffiziers am Flughafen Wien im Frühjahr 2017 und dessen inzwischen rechtskräftiger Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Am Ende des durch den offenen Antisemitismus des Angeklagten geprägten Gerichtsverfahrens war das Oberlandesgericht davon überzeugt, dass die umfangreichen Ausspähaktionen und Waffenbeschaffungen der Vorbereitung von Anschlägen dienten – etwa gegen die damalige Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, den damaligen Justizminister Heiko Maas und Anetta Kahane, die Gründerin der Amadeu Antonio Stiftung. Doch das Netzwerk um Franco A. unter ehemaligen und aktiven Bundeswehrsoldat:innen, Elitepolizist:innen und AfD-Mitarbeiter:innen blieb weitgehend von strafrechtlichen Konsequenzen verschont. Inwieweit das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt Signalwirkung für andere Prozesse gegen mutmaßliche rechtsterroristische Gruppen mit Attentatsplänen für einen selbstgewählten Tag X entfaltet – etwa gegen die Gruppe S., die mit Unterstützung eines Mitarbeiters des Polizeipräsidiums Hamm unter anderem Anschläge auf Moscheen geplant haben soll –, bleibt offen. In Martín Steinhagens Reportage über einen weitgehend unbeachteten Prozess gegen einen Bundeswehrsoldaten, der wegen Anschlagsplänen und Waffenbesitzes im September 2023 zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, werden viele Parallelen sichtbar.

»Niemand ist so stark auf den Staat fixiert wie Rechtsextremisten, die den Staat der Demokratie und Freiheit ablehnen «, sagt der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. »Das war schon in der Weimarer und der Bonner Republik so und zeigt sich jetzt auch in der Berliner Republik.« Zugleich würden die den Staat schützenden Institutionen wie Armee, Polizei oder Geheimdienste auch Rechtsextreme anziehen. Die einen erhofften sich eine Schulung. Andere würden erst in den Institutionen zu Extremisten, sagt Kowalczuk – »weil sie an der ›Front‹, im alltäglichen ›Straßenkampf‹ ein ›Staatsversagen‹ in Form eines ›weichen‹, nachgiebigen Staats wahrnehmen würden«. Inwieweit die Coronapandemie und die staatlichen Infektionsschutzmaßnahmen als Katalysatoren für rechtsradikale Karrieren von Bundeswehrsoldat:innen und Polizist:innen wirken, zeigen die Recherchen von Julius Geiler und Caroline Walter in diesem Buch. Dabei wird deutlich, was auch Robert Andreasch in seiner Langzeitrecherche zur Bundeswehrkarriere von Anhänger:innen der Identitären Bewegung offenlegt: Die Abwehrschwäche der Bundeswehr gegen offene Demokratiefeinde in den eigenen Reihen ist nicht das Ergebnis ausgeklügelter Versteckspiele, sondern beruht – trotz gegenteiliger Ankündigungen von Verteidigungspolitiker:innen – auf mangelnder Sensibilität sowie der offenbar weitverbreiteten Bereitschaft zum Wegschauen bei Vorgesetzten und Militärischem Abschirmdienst gleichermaßen.

Es ist unübersehbar: Die Wahlerfolge und die wachsenden Zustimmungswerte für die AfD haben erheblich dazu beigetragen, dass sich Rechte in der Bundeswehr, in Polizeidienststellen, Staatsanwaltschaften, Verfassungsschutzämtern und der Justiz stärker vernetzen und selbstbewusster auftreten. Das zeigen auch die Beiträge von Nadine Lindner, Timo Stukenberg und Michael Kraske in diesem Buch zu aktiven und ehemaligen Mandatsträger:innen und Kandidat:innen der AfD, die etwa als JVA-Beamt:innen, Verfassungsschutzmitarbeiter:innen oder Polizist:innen offensiv eine antidemokratische Agenda vertreten und dafür den Konflikt mit dem Gesetz einkalkulieren. »Zumindest in der Ideologie unterscheiden sich rechte Netzwerke ehemaliger Elitesoldat:innen und Polizist:innen – beispielsweise das Hannibal-Netzwerk oder die Gruppe Nordkreuz sowie andere Zusammenschlüsse –, denen unter anderem die Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Straftaten vorgeworfen wurde, und die Hetze der AfD nicht«, schreibt die Jenaer Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk in ihrem Beitrag. Sie hätten der Partei – zu Recht – den Ruf des parlamentarischen Arms dieser bewaffneten rechten Gruppen eingebracht. Pietrzyk plädiert für ein Verbot der AfD – mit Verweis auf deren fest verankerte rassistisch-völkische Ausrichtung und die Bedrohung für alle, die den Säuberungsandrohungen der AfD zum Opfer fallen würden. Denn mit Blick auf die sich abzeichnenden Stimmen- und Mandatsgewinne der AfD bei den Kommunal- und Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Jahr 2024 stellen sich nicht nur für Menschen, die Minderheiten und vermeintlichen gesellschaftlichen Randgruppen angehören, existenzielle Fragen: Wer hütet unsere im Grundgesetz verankerten Rechte und die Institutionen des Rechtsstaats, wenn etwa in Thüringen, wo das Landesamt für Verfassungsschutz die AfD unter Landeschef Björn Höcke ohne Wenn und Aber als rechtsextrem einstuft, mehr als ein Drittel der Mandate im Landtag an die AfD fallen würden? Weder eine Änderung der Landesverfassung noch die Wahl von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs, die Benennung von Mitgliedern des Richterwahlausschusses oder die Ernennung des Präsidenten und Vizepräsidenten des Landesrechnungshofs wäre dann gegen den Willen der AfD noch möglich. »Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde sind weder mit altlinker Staatsskepsis noch mit liberalem Vernunftvertrauen allein zu schützen, sondern nur mit resilienten Institutionen. Diese müssen im Krisenfall bereit sein, robust zu handeln, um eine Unterwanderung oder feindliche Übernahme abzuwehren«, warnt auch der Bonner Staatsrechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz im August 2023 in einem Gastbeitrag für die taz. Dies sei »traditionell eher konservatives Institutionenvertrauen at its best«. Mit dem demokratischen Rechtsstaat, so Gärditz weiter, gebe es »etwas zu bewahren, auf das alle Menschen angewiesen sind, die ihr Miteinander auf der Grundlage gleicher Freiheit gestalten wollen«. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), von der Süddeutschen Zeitung auch »das letzte Bollwerk gegen den offenen Rechtsextremismus von Thüringens AfD« genannt, reagiert auf Nachfragen mit Skepsis und Zurückhaltung auf die Verbotsdebatte. Die gesellschaftlichen Probleme würden damit nicht gelöst. Im Übrigen, so Ramelow im Gespräch für dieses Buch, habe das thüringische Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2021 mit der Beobachtung des von Björn Höcke angeführten Thüringer AfD-Landesverbandes als rechtsextrem bundesweit den ersten Schritt getan. Dagegen sei die AfD – im Gegensatz zur Einstufung des Jugendverbandes Junge Alternative durch das Bundesamt für Verfassungsschutz – gerichtlich auch nicht vorgegangen. Nun müssten eben die Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern die gesammelten Erkenntnisse so verdichten, dass überhaupt eine Bewertung über einen Verbotsantrag durch die Landesregierungen getroffen werden könnte, sagt Ramelow. Seine Verwaltung habe mit einem Entzug von Waffenerlaubnissen von thüringischen AfD-Mitgliedern – mit Verweis auf die Verfassungsschutzeinstufung – den nächsten Schritt gemacht. Dass ein AfD-Mitglied und Sportschütze im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gera im Sommer 2023 erfolgreich gegen den Entzug seiner Waffenerlaubnis klagte, wertet Ramelow dennoch nicht als Niederlage. Seine Landesregierung sei optimistisch, dass der Thüringer Verfassungsschutz im Hauptsacheverfahren den vom Gericht angemahnten ausführlichen Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit und Gefährlichkeit des Höcke-Landesverbandes erbringen kann. Die Rechtsanwältin Kati Lang, die in ihrem Beitrag die zögerlichen Reaktionen der Justiz auf offensichtlich rechtsradikale Richter:innen am Beispiel der früheren AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier und Birgit Malsack-Winkemann untersucht, warnt derweil davor, das Problem rechter Robenträger:innen und deren Einfluss zu unterschätzen.

»Als Überlebende des Holocaust, aber auch als Münchnerin und Deutsche hätte ich niemals gedacht, dass wir uns heute mit solchen Fragen noch einmal würden beschäftigen müssen«, sagt Charlotte Knobloch, langjährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) zu München und Oberbayern, mit Blick auf das Thema des Buchs. »Dass in den Umfragen jeder fünfte Wähler in Deutschland seine Stimme einer offen rechtsextremen Partei geben will, hätte ich mir noch vor wenigen Jahren nicht in meinen schlimmsten Albträumen ausgemalt.«

Wenn sich an den Bewertungen der AfD etwa durch das Bundesamt für Verfassungsschutz daher nichts grundlegend ändere, halte sie eine Mitgliedschaft in der AfD perspektivisch für schwierig bis gar nicht mit einem staatlichen Dienstverhältnis vereinbar. »Die Bürger unseres Landes müssen auf die Verfassungstreue aller staatlichen Angestellten unbedingt zählen können, weil bereits der leiseste Zweifel daran geeignet ist, das Vertrauen in die Demokratie langfristig zu untergraben. Extremisten im Staatsdienst sind deshalb eine Bedrohung der freiheitlichen Gesellschaft an sich«, betont die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Erst im Februar 2023 war ein Polizist, der in der Vergangenheit auch als Personenschützer der Präsidentin der IKG in München und Oberbayern eingesetzt wurde, vom Verwaltungsgericht München wegen antisemitischer und rassistischer Aussagen in Chatgruppen in einen niedrigeren Dienstrang degradiert worden. Einen Antrag des Polizeipräsidiums München auf Entlassung des Mannes wies das Verwaltungsgericht zurück. In Niedersachsen war ein Polizeihauptkommissar, der von der Bundesanwaltschaft dem »militärischen Arm« des Verschwörer:innennetzwerks um Heinrich XIII. Prinz Reuß zugerechnet wird und seit Anfang Dezember 2022 wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Untersuchungshaft sitzt, zuvor für Schutzmaßnahmen der jüdischen Gemeinden zuständig. In Sachsen-Anhalt schrieb eine Polizistin bewundernde Briefe an den inhaftierten Rechtsterroristen, der nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle (Saale) an Yom Kippur 2019 zwei Menschen tötete. Ruben Gerczikow und Rachel Spicker beschreiben in ihren Beiträgen die Auswirkungen dieser Fälle auf Jüd:innen in Deutschland. Charlotte Knobloch sagt, sie bleibe zwar davon überzeugt, dass die wehrhafte Demokratie sich dieser Herausforderung gewachsen zeigen werde, betont aber: »Sie kann dies nur, wenn diejenigen, die zum Schutz der Demokratie verpflichtet sind, nicht zugleich mit denen im Bunde sind, vor denen sie geschützt werden muss.«

Wem fühlen sich SEK-Beamt:innen verpflichtet, die in einem Chat ein Bild einer Kiste mit Weihnachtsschmuck – verziert mit Hakenkreuzen, »Sieg Heil« und Porträts von Adolf Hitler – sowie die Nachricht posten: »Habe gerade den Weihnachtsschmuck aus dem Keller geholt. ›Zum Glück alles HEIL!‹«? Wie verlaufen Einsätze, wenn Elitepolizist:innen sich in Chatnachrichten über polizeiinterne Fortbildungen zu interkultureller Sozialkompetenz mit kotzenden Smileys und Äußerungen wie »Richtiger Hass. Wollte den nicht machen, aber die haben mich einfach gebucht« und »Drei Tage über Polizei, Ausländer und so. Überhaupt keinen Bock. Fuck.« beschweren und den Chat mit »Alle erschießen einfach« beenden? Für Said Etris Hashemi und Armin Kurtović ist dies keine akademische Frage. Als am 19. Februar 2020 in Hanau Hamza Kurtović (20), der Sohn von Dijana und Armin Kurtović, und Said Nesar Hashemi (21), der Bruder von Said Etris Hashemi, von einem rassistischen Attentäter getötet wurden, waren SEK-Beamt:innen aus Frankfurt am Haus des Attentäters im Einsatz, die die Posts ausgetauscht hatten. Im Beitrag von Marcin Wierzchowski beschreiben die Hinterbliebenen und Überlebenden des Hanau-Attentats die Reaktion des langjährigen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) auf ihre offenen Fragen. Dass derartige Posts auch in Nordrhein-Westfalen einem weiteren Polizeidienst nicht im Weg stehen, beschreibt Stephan Anpalagan am Beispiel des SEK Münster. Im scharfen Kontrast dazu stehen die Reaktionen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums auf einen Tweet von Bahar Aslan. Die Lehrerin, die nebenberuflich als Lehrbeauftragte an der Polizeihochschule Gelsenkirchen arbeitet, hatte im Mai 2023 getwittert: »Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freund*innen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land.« Ein Tweet, der die Ängste vieler Menschen of Color mit familiären Flucht- oder Migrationserfahrungen in drastische Worte fasst und Anlass für Nachfragen bis hin zu mehr Reformbemühungen geboten hätte. In ihrem Beitrag schildert Aslan, wie sie stattdessen ihren Lehrauftrag verlor und um ihren persönlichen Ruf und ihre berufliche Zukunft kämpfen muss.

Der Kriminologe und Strafrechtler Tobias Singelnstein hat die Abwehrphalanx von Polizeigewerkschaftsfunktionär:innen und Innenministerien bei kontroversen Polizeithemen kennengelernt, als er die Ergebnisse seiner Studie »Körperverletzungen im Amt (KviAPol)« veröffentlichte. Er betont im Interview für dieses Buch: »Politik und Polizeiführungen müssen sich positionieren zu Rassismus und Rechtsextremismus und damit klare Signale in die Organisationen senden.« Interkulturelle Trainings und eine veränderte Rekrutierungsstrategie für den polizeilichen Nachwuchs reichen nicht aus, schreibt auch Paul Starzmann. Ulf Buermeyer, Legal Director der von ihm mitbegründeten Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und lange Richter am Landgericht Berlin, plädiert im Interview dafür, die von Bundesinnenministerin Nancy Faeser angekündigte Reform des Disziplinarrechts auf Bundesebene auf den Weg zu bringen. Aus der Erfahrung, dass rechtsextreme Gruppen innerhalb der Polizei oftmals nicht durch Hinweise aus den eigenen Reihen, sondern durch Ermittlungsverfahren zu anderweitigen Tatvorwürfen – wie Körperverletzung im Amt oder Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten – bekannt werden, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte im Sommer 2023 eine Kampagne gestartet: Unter dem Motto »Mach Meldung!« sollen Whistleblower:innen in der Polizei ermutigt und Hinweisgeber:innen, die Rechtsverstöße und Fehlverhalten von Kolleg:innen nicht länger decken wollen, geschützt werden. Das Ziel: das Vertrauen in den Rechtsstaat zu stärken. Grundlage ist das im Juli 2023 in Kraft getretene Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG). Die Projektkoordinatorin Laura Kuttler sagt dazu: »Ein Missbrauch der weitreichenden polizeilichen Handlungsmöglichkeiten muss Konsequenzen haben – ansonsten wird jedes Vertrauen in die Institution Polizei und in den Rechtsstaat aufs Spiel gesetzt. Es kann nicht sein, dass rassistische, sexistische und rechtsextreme Vorfälle in der Polizei immer wieder nur durch Zufall bekannt werden.«

Hans-Georg Maaßen ist zwar nicht der einzige deutsche Geheimdienstchef, der nach dem Ende seiner Amtszeit durch eine Affinität zu rechtsradikalen Narrativen auffällt, aber der erste, der dafür offensiv nach parlamentarischen Mehrheiten und einem Mandat sucht. Wir zeichnen nach, wie sich Maaßens fünfjährige Amtszeit beim selbsternannten »Frühwarnsystem « Verfassungsschutz sowohl auf den Umgang mit der AfD als auch auf die Gefahren durch Rechtsterrorismus im Allgemeinen und entsprechende Netzwerke mit Beteiligung von Polizist:innen oder Soldat:innen im Besonderen ausgewirkt hat. Forderungen nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Bundestag zu Maaßens Amtszeit – und damit indirekt auch zur Amtszeit des damaligen Innenministers Horst Seehofer (CSU) – haben allerdings kaum Aussichten auf Erfolg. Toralf Staud beschreibt im Buch, wie der Geheimdienst unter Hans-Georg Maaßen mit teuren Rechtsanwält:innen und einem jahrelangen Zivilrechtsprozess die journalistischen Recherchen zum Umgang des Kölner Amts mit dem NSU-Aktenvernichter und BfV-Referatsleiter Lothar Lingen behindern wollte. Dass in dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Leipzig 2022 schließlich ein wichtiger Teilsieg zugunsten der Pressefreiheit errungen wurde, ist wegweisend. Denn wenn es um Medienanfragen zu Disziplinarmaßen gegen »extremistische« Beamt:innen geht, sind nicht nur Geheimdienste, sondern auch Polizeibehörden wenig zu Auskünften bereit, wie Alexander Roth anhand von mehreren Fällen in Baden-Württemberg beschreibt. Hier stärkt die Entscheidung im Verfahren Die Zeit versus Bundesamt für Verfassungsschutz hartnäckigen Journalist:innen den Rücken.

In Thüringen hat sich jedenfalls Hans-Georg Maaßen inzwischen selbst auf den Radar seiner früheren Kolleg:innen im Verfassungsschutzverbund gebracht. Und sein Amtsnachfolger Thomas Haldenwang in Köln zeigte sich entsetzt über Maaßens Behauptungen von einer angeblich »rot-grünen Rassenlehre«, wonach Weiße als minderwertige »Rasse« angesehen würden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse. Dass bei der Auswertung von Chatkontakten von Beschuldigten im Reichsbürgerterrorverfahren auch ein Geburtstagsgruß des jetzigen Chefs der rechten Werteunion an den neurechten Lieblingsautor und Verschwörungsideologen Markus Krall zutage kam, ist für Beobachter:innen des breit gefächerten verschwörungsaffinen Lagers wenig überraschend. Schließlich leitet Hans-Georg Maaßen seit Januar 2023 mit der Werteunion einen Verein, in dem man Berührungsängste echter Konservativer mit der AfD mit der Lupe suchen muss und stattdessen die Türen nach rechts sperrangelweit offen stehen – auch für die Thüringer AfD. Oder in den Worten ihres Bundesvorsitzenden Hans-Georg Maaßen im Juli 2023 auf X, vormals Twitter: »Wir werden alles dafür tun, dass es im nächsten Jahr in Thüringen eine antisozialistische Politikwende geben wird, entweder mit oder ohne die CDU.« Der Historiker und Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, der den offenen Antisemitismus des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten wiederholt öffentlich kritisiert und auch schon zur Anzeige gebracht hat, warnt, Maaßens »Politik der gezielten Normbrüche« nehme zunehmend an Fahrt auf.

Eine demokratische Gesellschaft braucht eine Polizei und eine Armee, die das Vertrauen aller Bürger:innen haben. Wir möchten mit diesem Buch deshalb allen Dank aussprechen, die oft mit dem Rücken zur Wand den Rechtsstaat und die offene Gesellschaft verteidigen. In rauer werdenden Zeiten braucht es umso mehr Rückendeckung für diejenigen, die in ihren Polizeidienststellen und Bundeswehreinheiten als Nestbeschmutzer:innen gemobbt werden, weil sie dem Antisemitismus des Reichsbürgerkollegen und dem Rassismus des Stubenkameraden mit Neonazikontakt widersprechen.

Wir freuen uns, dass der Herder-Verlag uns mit diesem Buch zu einem Nachfolgeprojekt von Extreme Sicherheit ermutigt hat. Unser Dank gilt allen Autor:innen, unserem Rechtsanwalt Björn Elberling, unseren Lektor:innen Patrick Oelze und Florentine Schaub und dem Team des Verlags sowie Andrea Dernbach für die redaktionelle Beratung. Danke auch an unsere Familien, Freund:innen und Kolleg:innen für alles, was ein Buch zu diesem Thema braucht. Ein besonderer Dank gilt allen Hinweisgeber:innen aus der Zivilgesellschaft – für ihre Recherchen und für ihr unermüdliches Engagement.

20.11.2023, 10:54

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