Gesellschaftspolitische Herausforderung

Leseprobe Immobilienwerte und Wohnungsmieten: Wertzuwächse des urbanen Bodens sind ein wichtiger Faktor wirtschaftlicher Ungleichheit geworden. Sozialökologische Konflikte zwischen Wohnraum für alle und der Begrenzung von Flächenversiegelung scheinen unlösbar
Längst sind Kündigungen von Mieter:innen nach Übernahmen durch große Wohnungsgesellschaften in Deutschlands Großstädten zur Normalität geworden
Längst sind Kündigungen von Mieter:innen nach Übernahmen durch große Wohnungsgesellschaften in Deutschlands Großstädten zur Normalität geworden

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Editorial: Urbaner Boden [1]

Julian Degan und Bernhard Emunds

Vor etwa zehn Jahren beschleunigte sich in deutschen Großstädten der Anstieg der Immobilienpreise und Mieten. Mit dieser Entwicklung ist auch hierzulande städtischer Boden wieder zu einem zentralen Gegenstand gesellschaftlicher Konflikte geworden. Gestritten wird – wenn auch häufig unter anderen Begriffen – um das Eigentum an städtischem Boden, um das Einkommen daraus und um die Formen seiner Nutzung. So ist der rasante Preisauftrieb für urbanen Boden in Form steigender Immobilienwerte und steigender Wohnungsmieten zu einem wichtigen Treiber wirtschaftlicher – und folglich auch sozialer – Ungleichheit geworden. Mit Blick auf Teilaspekte dieser Problematik wird in politischen Debatten die Wohnungsfrage gerne als (eine oder gar die) neue soziale Frage tituliert. Zunehmend sichtbar wurden und werden aber auch sozialökologische Zielkonflikte, insbesondere „trade-offs“ zwischen bezahlbarem Wohnraum für alle und den Zielen, die Flächenversiegelung, die Zersiedelung der Landschaft und die Belastungen durch weite Pendelstrecken zwischen Wohnort und Arbeitsstätte zu begrenzen. Öffentlich diskutiert wird auch über die Frage, wann die Verdichtung urbaner Räume eine Grenze erreicht, jenseits derer eine weitere Verdichtung ungerecht bzw. mit zu großen Nachteilen für die dort bereits Wohnenden verbunden wäre. Und in einigen neueren ökonomischen Fachbeiträgen rückte in den Fokus, wie das Immobilienvermögen einerseits die Ungleichheit zwischen denen, die Vermögen haben, und denen, die kein Vermögen haben, erhöht, andererseits aber auch Ansatzpunkte bietet für eine – im Vergleich zum Betriebsvermögen – breitere Vermögensbildung. In der Schnittfläche vieler dieser Themenbereiche liegt die Debatte um die Zukunft des Eigenheims. Zuletzt nahmen vor dem Hintergrund stark steigender Preise auch Debatten über die Existenz und die Gefahr einer Immobilienblase in Deutschland an Fahrt auf. Sollten diese Befürchtungen einer Überteuerung zutreffen, dann droht ein mögliches Platzen der Blase nicht nur viele Immobilieneigentümer:innen, sondern womöglich auch die Gesamtwirtschaft in die Bredouille zu bringen.
Das vorliegende Vierteljahresheft zur Wirtschaftsforschung greift einen Teil dieser Konflikte sowie Problemlagen auf und beleuchtet diese aus den Perspektiven verschiedener wirtschaftswissenschaftlicher Fächer und benachbarter Disziplinen. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Blickwinkel, die im Band Urbaner Boden zum Ausdruck kommen, vermitteln den Leser:innen ein plastisches Bild von den vielfältigen Problemlagen rund um „städtischen Boden“. Der Band beginnt mit einer Bestandsaufnahme des Marktes für Wohnbauland in Deutschland, insbesondere in den großen Städten. Peter Ache vom Arbeitskreis der Oberen Gutachterausschüsse, Zentralen Geschäftsstellen und Gutachterausschüsse in der Bundesrepublik Deutschland und Matthias Waltersbacher vom Bundesinstitut für Bau-‍, Stadt- und Raumforschung stellen im Beitrag Der Markt für Wohnbauland – Preisentwicklung und Marktgeschehen unter besonderer Berücksichtigung der größten Städte die Entwicklung der Preise und Transaktionszahlen auf dem Markt für Bauland dar und fragen nach den ursächlichen Faktoren. Zudem gehen die Autoren darauf ein, wie sich steigende Baulandpreise auf die Preise für Wohnraum auswirken. Abschließend widmen sie sich der Frage, wie das Problem des Baulandmangels unter Berücksichtigung sozioökonomisch-ökologischer Zielkonflikte angegangen werden könnte.
In den drei folgenden Beiträgen geht es um die Rolle des städtischen Bodens in der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt – und zwar aus den Perspektiven von Konjunktur, Verteilung und Ökologie. Gerhard Illing von der LMU München untersucht in seinem Beitrag Schuldendynamik am Immobilienmarkt – Vom Kreditboom zur Stagnation? die Bedeutung des Immobilienmarktes als einer möglichen Ursache für finanzielle Instabilität, aber auch für Phasen lang anhaltender Stagnation. Illing beschreibt, wie Immobilienpreise und mit ihnen die private Verschuldung in Phasen eines wirtschaftlichen Aufschwungs häufig überproportional ansteigen, bevor zunehmende Kreditausfälle in Abschwungphasen dazu führen können, dass die Immobilienpreise einbrechen und die Gesamtwirtschaft in eine Krise stürzt. Um solche boom-and-bust-Phasen abzumindern, so Illings Fazit, bedarf es gezielter makro-prudenzieller Regulierungsmaßnahmen.
Charlotte Bartels und Lotte Maaßen vom DIW Berlin fragen nach dem Zusammenhang von Immobilien und Ungleichheit. Die Autorinnen untersuchen den Einfluss des Immobilienvermögens und der Mieteinkommen auf die Verteilung des Vermögens und der Einkommen. So stellen sie dar, wie sich die Entwicklung von Immobilienpreisen und Eigentümerquoten auf die Vermögenskonzentration auswirkt. Des Weiteren blicken sie darauf, wie hoch der Beitrag der immobilienbezogenen Ungleichheiten zur Ungleichheit der Vermögen bzw. Einkommen insgesamt ist. Dabei vergleichen sie die Situation in Deutschland mit der in einigen anderen Ländern des globalen Nordens, blicken aber auch auf regionale Unterschiede innerhalb der Bundesrepublik. Abschließend widmen sich Bartels und Maaßen den Verteilungswirkungen einzelner wohnungspolitischer Maßnahmen.
Im Fokus des Beitrags Ressource Boden: ökologisches Schutzgut oder Basis wirtschaftlicher Entwicklung? von Angelika Krehl (Hochschule Niederrhein, Niederrhein Institut für Regional- und Strukturforschung), Mathias Jehling und Tobias Krüger (Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung) stehen der Boden als ein mehr oder minder unvermeidlicher „Input“ wirtschaftlicher Entwicklung einerseits und die ökologischen Probleme, die mit dem entsprechenden Flächenverbrauch verbunden sind, andererseits. Dazu blicken Krehl, Jehling und Krüger zunächst auf verschiedene funktionale Zuschreibungen der Ressource Boden und ihrer Nutzung, um sie anschließend in den Kontext aktueller siedlungs- und wirtschaftsstruktureller Entwicklungen zu stellen. Anhand des Beispiels dynamisch wachsender Stadtregionen beleuchten sie ferner das Spannungsfeld zwischen sozioökonomisch günstigen und ökologisch sinnvollen Formen der Bodennutzung und zeigen schließlich auf, wie eine Verknüpfung ökonomischer und ökologischer Ziele in der Bodennutzung gelingen könnte.
Das Vierteljahrsheft schließen ein wirtschaftsgeschichtlicher und ein wirtschaftsethischer Beitrag ab. Hans Diefenbacher von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft stellt die Bodenreform-Bewegung in Deutschland dar und geht ihren zentralen Ideen sowie ihren Verbindungen zu dem US-amerikanischen Ökonomen Henry George nach. Diefenbacher lenkt den Fokus auf die sich im 19. Jahrhundert intensivierenden Debatten um das Privateigentum an Boden. Damals mehrten sich jene Stimmen, die die starke Konzentration des Immobilienvermögens skandalisierten und sich deshalb für eine weitreichende Verstaatlichung des Baubodens bzw. für ein vollständiges Abschöpfen oder zumindest für eine kräftige Besteuerung privater Bodenrenten aussprachen. Zudem skizziert Diefenbacher, wie die Bodenreformbewegung insbesondere unter Adolf Damaschke in Deutschland an Einfluss gewann, bevor sie Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich abebbte. Dennoch, so das Fazit des Autors, können die zentralen Ideen der Bodenreformer auch für die heutigen wohnungspolitischen Debatten aufschlussreich sein.
Der Band wird abgerundet durch Julian Degan und Bernhard Emunds vom Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik mit ihrem Beitrag Privates Bodeneigentum und die Stadt als Allmende. Unter dem Leitbild der „Stadt als Allmende“ reflektieren die Autoren die wirtschaftsethische Herausforderung durch schnell steigende urbane Bodenpreise. Dazu verdeutlichen sie zunächst, wie in der Katholischen Eigentumsethik jedes Eigentum auch auf die Lebensperspektiven aller Betroffenen ausgerichtet wird. Die damit angedeutete Einsicht in den Zusammenhang von Eigentümer- und allgemeinen Interessen vertiefen sie, in dem sie vor allem im Anschluss an die Commons-Forschung ein Verständnis der „Stadt als Allmende“ skizzieren, von deren erfolgreichen „Bewirtschaftung“ durch alle Bewohner:innen, die privaten Eigentümer:innen an städtischem Boden in besonderem Maße profitieren. Das mit dem Commoning verbundene Bild der Stadt als Kooperationszusammenhang diskutieren die Autoren aus einer wirtschaftsethischen Perspektive und befragen es nach möglichen Anregungen für eine gerechte städtische Bodenpolitik.

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[1] Die Herausgeber des Heftes haben das vorliegende Vierteljahrsheft im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsprojektes „Gibt es ein Recht auf urbanen Wohnraum? Sozialethische Analysen“ konzipiert, das am Nell-Breuning-Institut und am Berlin Institute for Public Theology der Humboldt-Universität durchgeführt wird.

18.08.2022, 09:27

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