Eine Reise in die Welt von morgen

Leseprobe Tägliche Nachrichten von Krieg bis Klimakatastrophe lassen die Zukunft wie einen Ort ohne Hoffnung erscheinen. Was wir brauchen, ist eine andere Sicht auf das Morgen - eine, die inspiriert und Mut macht
Zukunftsbild 2045: Berlin Rotes Rathaus
Zukunftsbild 2045: Berlin Rotes Rathaus

Foto: Oekom Verlag

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

wir möchten Sie zu einer Zeitreise in die Zukunft einladen. Nicht in die finstere Zukunft eines unbewohnbaren Planeten mit Überschwemmungen, Ressourcenkriegen und totem Boden, sondern in eine Welt, wie sie sein kann, wenn wir uns um sie kümmern. Die grün ist, lebensfroh, fruchtbar und fortschrittlich.

Schlägt man heutzutage die Zeitung auf oder wirft einen Blick auf Twitter, wird man überschüttet mit schlechten Nachrichten: Krisen, Kriege, Katastrophen. In der Debatte, was wir dem Klimawandel entgegensetzen können, wird vor allem über technische Maßnahmen, Kosten und Emissionseinsparungen geredet. Immer geht es um das Schlimme, das wirverhindern müssen, die Bequemlichkeiten, auf die wir verzichten sollten, die düstere Aussicht, die am Horizont droht. Das lässt die Zukunft wie einen Ort ohne Hoffnung erscheinen. Viele fühlen sich entmutigt, gelähmt, ohnmächtig und verzweifelt, besonders in der jungen Generation nehmen Depressionen besorgniserregend zu. Verstehen Sie uns
nicht falsch: Es gibt da wirklich so einiges, was wir verhindern müssen. Aber mit Angst, Hiobsbotschaften und Hoffnungslosigkeit wird das nichts.

Was wir brauchen, ist Begeisterung und Tatkraft für das Neue. Wir müssen Lust bekommen auf die Zukunft, die wir mitgestalten sollen. Und dafür brauchen wir ein Bild dieser Zukunft.

Das geht nur mit Neuentwürfen, die eine ganz andere Zukunft greifbar machen und aufzeigen, dass so mancher »Verzicht« – etwa auf ein Auto für jeden der acht Milliarden Menschen auf Erden – in Wahrheit ein Gewinn ist, nämlich an Natur, Gesundheit und Lebensqualität. In diesem Buch entwickeln wir deshalb in Bildern und Texten eine Vision
davon, wie eine erstrebenswerte Zukunft in ungefähr 20 Jahren aussehen könnte, wenn wir gemeinsam und konsequent unsere Wirtschaft und Gesellschaft umbauen. Damit laden wir Sie ein, über eine Zivilisation nachzudenken, die die ökologischen Grenzen des Planeten einhält und deshalb langfristig auf unserer Erde fortbestehen kann.

Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen, Stadtverwaltungen und Architekturgrafikern haben wir Zukunftsbilder für zahlreiche Orte in Deutschland und Europa entwickelt, um eine solche Entwicklung sinnlich erfahrbar zu machen. Bisher gibt es nahezu keine fotorealistischen Abbildungen einer möglichen positiven Zukunft. Mit diesem Projekt wollen wir diese Lücke schließen. Dabei ist unsere Vision nicht als perfekte Blaupause zu verstehen, sondern als offener Vorschlag, der zum Austausch über Zukunft einladen möchte.

Unser Buch spielt im Jahr 2045. Nachdem sich die Menschheit in den 2020er- und 2030er-Jahren durch eine Abfolge heftigster Krisen – Wetterextreme, Superdürre, Finanzcrash – hindurchgekämpft hat, ist die Welt in dieser Vision 2045 eine bessere geworden. Unsere Heimat ist schöner, grüner und lebenswerter als heute.

Natürlich wissen auch wir als Autorenteam nicht, was die Zukunft bringen wird. Die gigantischen Probleme der Welt von heute deuten keineswegs auf eine hoffnungsvolle Zukunft hin. Aber grundlegende Umbrüche können manchmal schnell passieren. Gesellschaften können sich binnen Kurzem tiefgreifend verändern und dabei enorme Kräfte mobilisieren, das hat man etwa am Mauerfall 1989 beobachten können.

Und obwohl wir keine hellseherischen Fähigkeiten haben, sind unsere Zukunftsbilder keineswegs reine Fiktionen. Viele der von uns geschilderten Innovationen und Lösungen existieren bereits: Von Permakultur über Schwammstädte und Pyrolyse bis hin zum Verantwortungseigentum. Diese real existierenden Lösungen und Projekte nennt man »Realutopien«. Sie haben das Potenzial, groß zu werden und utopisch wirkende Vorstellungen über unsere Welt in die Tat umzusetzen. Von manchen haben Sie vermutlich noch nicht viel gehört: Sie existieren in kleinen Nischen und werden von engagierten Menschen mit Herzblut vorangetrieben. In unserer Vision haben sich diese Initiativen untereinander vernetzt und gegenseitig gestärkt oder sind durch andere Einflüsse wirkmächtig geworden.

Wir haben jedoch keine allumfassende Geschichte verfasst, die alle Wandlungen und Themen behandelt und alle Umbrüche detailliert erklärt, die nötig wären, um die Menschheit auf einen regenerativen Pfad zu bringen – sonst wäre das Buch viel zu dick geworden. Was wir beisteuern wollen, ist die Lust, sich auf den Weg zu machen in eine bessere Zukunft. Und ganz nebenbei: Natürlich gibt es neben unserer Zukunftsvision viele weitere erstrebenswerte Ideen, wie sich die Welt entwickeln kann.

Unsere Vision orientiert sich an den Zielvorgaben, die die Klima- und Umweltforschung zur Bewältigung der Ökokrise entwickelt hat. Der UN-Klimarat, das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, das Stockholm Resilience Center, der Club of Rome, das Wuppertal
Institut und viele andere Institutionen haben Leitplanken für die Einhaltung der planetaren Grenzen entworfen. Sie alle sagen: Es braucht einen tiefgreifenden Umbau unserer Gesellschaft. Sie zeigen auf, welche Industriezweige in einer zukunftsfähigen Gesellschaft nicht mehr tragfähig oder welche regenerativen Prinzipien nötig sind, um die Klimaneutralität zu erreichen, wie etwa Begrünung, Kreislaufwirtschaft und Re-Regionalisierung der Ökonomie. In Deutschland und innerhalb der Europäischen Union wollen wir – Stand heute – bis 2045 klimaneutral werden. Wie wird uns dies gelungen sein?

Expertenentwürfe und künstliche Intelligenz helfen uns dafür nur bis zu einem gewissen Punkt. Wissenschaftsteams und Sprachmodelle wie ChatGPT können nicht angeben, wie wir die sogenannte sozial-ökologische Transformation – also den Wandel der Gesellschaft hin zu einem gemeinsamen nachhaltigen Leben – im Konkreten gestalten wollen. Denn
das müssen wir gesamtgesellschaftlich aushandeln und ausprobieren. Dafür brauchen wir – alle zusammen und jede und jeder für sich – ein neues Verständnis von Wohlstand und eine Vision einer Menschheit, die ihre Lebensweise mit der Natur und nicht gegen sie gestaltet.

Sie werden im Buch immer wieder das Wort »Regeneration« oder »regenerativ« lesen, viel häufiger als das Wort »nachhaltig«. Denn die Schäden an der Natur sind inzwischen so groß, dass »Nachhaltigkeit« längst nicht mehr genügt. »Nachhaltig« zu wirtschaften bedeutet, etwas so zu erhalten, wie es ist. Die Ökosysteme des Planeten sind jedoch mittlerweile so schwer geschädigt, dass das nicht mehr ausreicht. Es braucht stattdessen Aufbau, Wiederbelebung, Heilung. Das geht am besten, indem man die Prinzipien der Natur auf gesellschaftliche Systeme überträgt und ein Denken in Kreisläufen fördert. Wenn zum Beispiel Städte wie Ökosysteme funktionierten, dann gäbe es keinen Müll mehr, dann wäre jeder Abfall Ausgangsstoff für Neues – so, wie es die Natur selbst vormacht. »Regenerativ« zu sein bedeutet, sich wieder als lebendiger Teil der Erde zu begreifen und in ein Weltbild der Verbundenheit einzutreten. In unserer Zukunftsvision sind die Menschen auf dem Weg, Regeneration schrittweise zum neuen Paradigma des menschlichen Lebens zu machen.

Bei der Entwicklung der Zukunftsbilder haben wir versucht, lokale Besonderheiten zu berücksichtigen und Vielfalt zu schaffen. Wir empfehlen, sich beim Anschauen etwas Zeit zu nehmen, um auch die Details zu entdecken. Teilweise haben wir auch Stadtfotos von heute vorangestellt, damit der Kontrast der Veränderung und das Potenzial der zukünftigen Entwicklung greifbar wird.

Wir hoffen, dass unsere Bilder und Texte Lust machen, allein oder in Zusammenarbeit mit anderen eigene positive Visionen zu entwerfen und umzusetzen. Wie könnten Politik, Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft oder Ihr eigenes Zuhause oder Ihre Organisation in regenerativer Form aussehen? Was kann jeder und jede selbst dafür tun? Für die eigene
Visionsarbeit und praktisches Engagement geben wir am Ende des Buches Anregungen.

Vielleicht kommen in Ihnen beim Lesen der Geschichte sehr unterschiedliche Gefühle auf – Freude, Ablehnung, Wut oder ein kribbeliges Bauchgefühl, wenn die Lücke zwischen Realität und Utopie unaushaltbar wird. Wir möchten Sie einladen, diese Gefühle beim Lesen und Nachdenken bewusst wahrzunehmen. Wir alle haben unterschiedliche Stimmen in uns. Es gibt die innere Stimme des »Realisten«, der alles auseinandernimmt und bezweifelt. Es gibt die Stimme der »Zynikerin«, die jede Hoffnung für vergeblich erklärt. Und die Stimme des »Bequemlings«, der liebgewonnene Gewohnheiten nicht aufgeben will, weil Veränderungen bewusste Anstrengung und Energie erfordern. Der »Weltverbesserer« will gleich den Spaten in die Hand nehmen und alles andere beiseitelegen. Vielleicht hören Sie auch die Stimme der »Sehnsüchtigen«, die Hoffnung schöpft, weil sie im Herzen weiß, dass eine bessere Welt möglich ist.

Wenn Sie Ihre eigenen Denkmuster und Reflexe beobachten, können Sie vielleicht Neues über sich selbst und Ihre Umgebung erfahren. Betrachten Sie unsere Visionen gerne als ein Werkzeug für Veränderung und Innovation. Vorstellungskraft ist gerade in Krisenzeiten eine wichtige Zukunftskompetenz.

Positive Zukunftsbilder können uns wie Leitsterne die Richtung weisen. Wir alle sind Akteure und Akteurinnen der Veränderung. Machen wir uns auf den Weg!

Dies ist ein Auszug aus dem Vorwort des Buches »Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von morgen«.

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10.07.2023, 19:57

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