Postdramatisches Theater

Artist in Focus Künstlerin im Fokus ist in diesem Jahr die Regisseurin Elizabeth LeCompte mit ihrem Kollektiv The Wooster Group (New York). In einer Garage in Manhattan gegründet, definierte die Gruppe vor einem halben Jahrhundert eine völlig neue Theatersprache
A PINK CHAIR, von: The Wooster Group
A PINK CHAIR, von: The Wooster Group

Foto: Steve Gunther

Zum dritten Mal in Folge widmet das Festival einer der bedeutendsten lebenden Persönlichkeiten des internationalen Theaters einen Programmschwerpunkt. Nach Angelica Liddell im Jahr 2021 und Robert Lepage im Jahr 2022 sind beim FIND 2023 die New Yorker Regisseurin und Autorin Elizabeth LeCompte und ihr Kollektiv The Wooster Group zu Gast.

Die legendäre Kompanie The Wooster Group ist eine transdisziplinar arbeitende, international gefeierte Gruppe, die in ihren Produktionen Video, Film, Sound und Raum auf virtuose Weise miteinander verbindet. Sie wurde 1975 von Elizabeth LeCompte und dem Autor, Performer und Schauspieler Spalding Gray gegründet und nach der New Yorker Wooster Street benannt, in der sie noch immer ihren Spielort hat. Weniger ein festes Ensemble als ein Kollektiv, das sich immer wieder neu formiert und weiterentwickelt und so offen bleibt für neue Impulse, wurde The Wooster Group schnell zu einer der einflussreichsten Theaterformationen der 1970er-, 80er- und 90er-Jahre. Heute gilt sie als Vorreiterin des postdramatischen Theaters und des Theaters der Dekonstruktion. Ihren internationalen Durchbruch erlangte sie mit den Projekten»Route 1 & 9« (1981) und»L.S.D. (Just The High Points)«(1984)beides Reflexionen über die Hybris und Gewalt, die die amerikanische Gesellschaft prägen. Zu den Künstler:innen, die mit der Gruppe zusammenarbeiteten, gehören Joan Jonas, Ken Kobland, John Lurie, Jim Strahs, Richard Foreman und Schauspieler:innen wie Steve Buscemi, Frances McDormand und Maura Tierney. Einige Mitglieder, die über die Jahre anderen Projekten nachgingen, kehren regelmäßig zurück. Eine besonders lange und entscheidende Zusammenarbeit besteht mit Kate Valk, die seit den Anfängen Teil der Gruppe und beim diesjährigen FIND in zwei Inszenierungen auf der Bühne zu sehen istin »A PINK CHAIR (In Place of a Fake Antique)« und »NAYATT SCHOOL REDUX«, die jeweils auf die Geschichte der Theateravantgarde und die der Kompanie Bezug nehmen. Eine langäahrige Zusammenarbeit verbindet die Gruppe auch mit Willem Dafoe, der als Protagonist in Inszenierungen der Gruppe auf der Bühne stand und in den Filmarbeiten im Festivalprogramm zu sehen ist, sowie mit dem 2004 verstorbenen Spalding Gray: Im Programm ist er sowohl im szenischen Reenactment seiner Arbeit»NAYATT SCHOOL«als auch in einer filmischen Rekonstruktion der wegweisenden Inszenierung»Rumstick Road«zu sehen. Die Stücke, im Kollektiv entworfen und von Elizabeth LeCompte inszeniert, beschäftigen sich mit Themen wie Repression und Gewalt, Kollision von Kulturen und Integration, Verlust und Tod, spiritueller Transformation und Materialismus, sozialem Verfall und Regeneration und letztendlich mit der Stellung von Künstler:innen in der Gesellschaft. Darüber hinaus zeichnen sie sich durch einen raffinierten Einsatz von Ton, Film und Video aus. Kanonische Theatertexte und Bilder werden zitiert, überschrieben und mit aktuellen Debatten und Autobiografischem verknüpft. Virtuose Wechsel zwischen verschiedenen Realitatsebenen und Bildwelten, Live-Aktionen und vorproduziertem Material sowie zwischen formalen und zufälligen Strukturen sind dabei ebenso zentral wie die Einbeziehung und gleichzeitige Zerstörung naturalistischer Konventionen. So entsteht eine Theaterwirklichkeit, die das Leben nicht nur darstellt, sondern einverleibt, und ihrerseits eine ganz eigene Wirklichkeit der Kunst hervorbringt.

Neben den zwei aktuellen Inszenierungen werden an zwei Abenden auch Filmarbeiten der Gruppe unter der Regie von LeCompte zu sehen sein. Im Rahmen eines Podiums werden Elizabeth LeCompte und Kate Valk das Publikum in seine Geschichte und Gegenwart eintauchen lassen. Als digitales Highlight verlinkt The Wooster Group zudem für die Dauer des Festivals ihr umfangreiches Videoarchiv mit der Website der Schaubühne und erweitert so den diesjahrigen Fokus um eine virtuelle Werkschau.

10.04.2023, 17:24

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