Der 1929 in Venedig geborene Luigi Nono verstand sich weniger als kommunistischer Komponist denn als komponierender Kommunist und nutzte die Kunst als Ausdrucksmittel seiner politischen Haltung – was beim konservativen Premierenpublikum bei der Venediger Biennale 1961 auf nur wenig Gegenliebe stieß. Das Werk irritierte, ja provozierte. Nonos Musiksprache ist der damals in Italien noch wenig bekannten seriellen Schule verpflichtet, doch handhabte er diese ebenso frei, wie der italienische Kommunismus die Lehre Lenins. Für Intolleranza 1960 griff Nono, dem die inhaltliche Basis stets ein großes Anliegen war, auf Texte so unterschiedlicher Autoren wie Wladimir Majakowski, Paul Éluard, Jean-Paul Sartres oder Bertolt Brechts zurück. An der Komischen Oper Berlin erklingt das Werk in der deutschen Übersetzung von Alfred Andersch.
Regisseur Marco Štorman, Bühnenbildner Márton Ágh und Kostümbildnerin Sara Schwartz nehmen gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Gabriel Feltz Nonos Idee des allumfassenden Klangerlebnisses, die schon für die Uraufführung angestrebt wurde, auf. Sie gehen sogar noch einen Schritt weiter, indem sie die Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne gänzlich aufheben. Die Bühne wird zur Tribüne, die Bestuhlung des Parketts weicht den Eisschollen, in denen nicht nur das Publikum Platz findet, sondern auch Chorsolisten und Ensemble der Komischen Oper Berlin agieren. Das Orchester schleudert die Komposition mal mit Wucht aus dem zweiten Rang, mal lässt sie sie fast sakral schlicht in den Theatersaal fließen.
Im Zentrum aber steht der Einzelne, der ganz auf sich gestellt einen Weg zu und aus den "Unhaltbarkeiten" dieser Welt finden muss und will. Einzig begleitet vom Blick von einer, die viel gesehen hat: Ilse Ritter agiert als stille Beobachterin und Kommentatorin. Marco Štorman ließ ihr von Carolin Emcke einen Text auf den Leib schreiben und hat das Werk so zusätzlich im Hier und Heute verankert. Sean Panikkar, der das Berliner Publikum schon in Barrie Koskys Inszenierung von Hans Werner Henzes The Bassarides als erotisch-urgewaltiger Dionysos begeisterte, verkörpert die Rolle des Gastarbeiters als inneren Kampf mit sich und den Verhältnissen.
Groß und ungelöst sind die Fragen, die Nono in seinem nur knapp eineinhalbstündigen Werk aufwirft. Doch in der Oper wie in Štormans Inszenierung wird klar, es bleibt nur eines: Die Herausforderungen mutig annehmen, nach bestem Wissen und Gewissen handeln und das Leben trotzdem – nein: gerade deswegen! – in all seinen Facetten feiern. "Lebendig ist, wer wach bleibt" lauten die ersten Worte des Abends. Ein Werk wie gemacht für den Auftakt eines neuen Kapitels in der Geschichte der Komischen Oper Berlin, ein Werk für den Aufbruch, das aufrüttelt und ermutigt. Ein Werk für diese Zeit.
Besetzung
Sean Panikkar | Emigrante
Gloria Rehm | Seine Gefährtin
Deniz Uzun | Eine Frau
Tom Erik Lie | Ein Algerier
Tijil Faveyts | Ein Gefolterter
Josefine Mindus | Sopran-Solo
Ilse Ritter | Engel der Geschichte
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin und Vocalconsort Berlin u. a., es spielt das Orchester der Komischen Oper Berlin.