Großes politisches Musiktheater

Zur Inszenierung Der Glaube des Komponisten Luigi Nono an die Macht der Kunst war groß und ist es wert – gerade in Zeiten wie diesen – überprüft zu werden. Eine Ermutigung, die Stimme da zu erheben, womit wir uns nicht abfinden wollen
Szene aus „Intolleranza 1960“ von dem Komponisten Luigi Nono
Szene aus „Intolleranza 1960“ von dem Komponisten Luigi Nono

Foto: Barbara Braun

Ein Gastarbeiter flieht aus dem Moloch einer Bergarbeitersiedlung. Seine verständnislose Frau lässt er zurück und gerät auf der Suche nach dem Heimweg in politische Unruhen, wird schuldlos verhört, gefoltert und in ein Konzentrationslager gesperrt. Er erlebt Brutalität und Willkür, auch Solidarität. Kann fliehen, will kämpfen, gegen die Ungerechtigkeit, findet Halt in der Liebe einer Gefährtin. Schließlich strandet er in einem Dorf, das von den Fluten eines Hochwassers fortgerissen wird. Die letzten Worte des Chors stammen aus dem Gedicht von Bertolt Brecht An die Nachgeborenen: »… ihr, wenn es soweit sein wird, dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist, gedenkt unsrer mit Nachsicht.»

Für die Inszenierung an der Komischen Oper Berlin verfasste die Kriegsberichterstatterin, Publizistin und Autorin Carolin Emcke den Essay »Es ist genug».

Musikalisch bedient Luigi Nono sich einer frei gehandhabten Serialität, die in ihrer hohen Komplexität gewaltige Farbigkeit und emotionale Durchlässigkeit behält. Gerahmt durch zwei große kontemplative Chöre zeigt der Komponist mit aller Vehemenz die Missstände einer dysfunktionalen Gesellschaft auf. Die finale Flut scheint heute mehr noch als zur Entstehungszeit eine erschreckend plausible Konsequenz menschlicher Unzulänglichkeit.

Regisseur Marco Štorman findet seinen Weg jenseits illustrativer Bilder: Die wahren Kämpfe toben im Inneren. Márton Ághs das gesamte Bühnenhaus einnehmender Bühnenraumentwurf zieht jede:n mitten ins Geschehen und macht spürbar, was kommen mag, wenn die Flut gegangen ist: Stille.

Bühnenbildner Márton Ágh lässt zum Auftakt der Saison keinen Stein auf dem anderen und verwandelt das Opernhaus in eine Eiswüste. Sie werden Bühne und Zuschauerraum nicht wiedererkennen!

Am 29. September diskutiert die Komische Oper Berlin im Anschluss an die Vorstellung auf einem Podium im Rahmen der Jahrestagung der Theaterwissenschaftlichen Gesellschaft Unbequeme Positionen. Intolleranza 1960 heute. Es nehmen teil: Sean Panikkar, Marco Štorman, Irene Lehmann, Prof. Dr. Clemens Risi und Johanna Wall.

22.09.2022, 20:53

Event: Weitere Artikel


„Lebendig ist, wer wach bleibt!“

„Lebendig ist, wer wach bleibt!“

Biografie Die erste Spielzeit des neuen Intendanten-Duos wird glanzvoll eröffnet: Nicht nur gestaltet Bühnenbildner Márton Ágh Bühne und Zuschauerraum bis zur Unkenntlichkeit um – auch die Besetzung macht „Intolleranza 1960“ zu einem außergewöhnlichen Erlebnis
Doppelte Kraft voraus!

Doppelte Kraft voraus!

Spielzeit 2022/23 75 Jahre Komische Oper Berlin! In der kommenden Spielzeit wird nicht nur Geburtstag gefeiert: Susanne Moser und Philip Bröking übernehmen im August 2022 als neue Doppelspitze die Intendanz des Opernhauses. Das Haus kennen beide seit über 15 Jahren
Wütender Aufschrei

Wütender Aufschrei

Netzschau „Ein visuell bestechender Saisonauftakt kündigt sich da an – es wird die erste Premiere unter dem neuen Intendanzduo. Und die letzte Spielzeit vor Umzug und Sanierung der Komischen Oper, ein Auftakt mit einem politischen Statement.“

Intolleranza 1960 | Teaser

Video Der Glaube des Komponisten Luigi Nono an die Macht der Kunst war groß und ist es wert – in Zeiten wie diesen – überprüft zu werden. Teaser zu „Intolleranza 1960“ – die Inszenierung eröffnet am 23. September die Spielzeit an der Komischen Oper Berlin


Intolleranza 1960 | Bühnenbild im Zeitraffer

Video Der Countdown zur Eröffnungspremiere dieser Spielzeit #KOBIntolleranza läuft! Seit Mitte Juli arbeiten die technischen Abteilungen daran, das Innere der Komischen Oper Berlin in eine Eiswüste zu verwandeln – der Saal ist kaum wieder zu erkennen!


Intolleranza 1960 | Probeneinblick

Video »Wir leben trotzdem und das gemeinsam ...« In unserem Probeneinblick zu #KOBIntolleranza sprechen Marco Štorman, Sean Panikkar und Ilse Ritter über Luigi Nonos monumantale Oper und die Herausforderungen der Produktion an der Komischen Oper Berlin


Komische Oper Berlin | Erweiterung

Video Ein Blick in die Zukunft braucht auch einen Blick in die Vergangenheit. Der Film zeigt die bewegte und bewegende Geschichte des Hauses. Vom Metropoltheater 1982 bis zur Komischen Oper Berlin von heute mit Ausblick zum Opernhaus des 21. Jahrhunderts