Tanz, Theater und Musiktheater

Inszenierungen II Viele Fragen und einzigartige Tanz- und Theaterinszenierungen: Ist der Preis von Schweinespeck das Maß aller Dinge? Was passiert mit Träumen und Landschaften? Und wie klingen E-Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang in einer Glasfabrik, wenn sie tanzt?
Tanz, Theater und Musiktheater

Grafik: Lausitz Festival

Eröffnungsaktion: Verdi – Zimmermann

25. August | 19.30 Uhr | Hangar 1, Cottbus

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Das Festival wird dieses Jahr mit einem künstlerischen Ereignis eröffnet, das Giuseppe Verdis »Quattro pezzi sacri« (1887–1897) mit der »Ekklesiastischen Aktion« (1970) von Bernd Alois Zimmermann in der Regie von Luk Perceval auf eindringliche Weise verknüpft.
Zimmermann vollendete sein letztes Werk, das eigentlich den Titel »Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne« trägt, nur fünf Tage vor seinem Suizid. Es kombiniert biblische Verse aus dem 4. Kapitel Prediger mit Passagen der berühmten Großinquisitor-Legende aus Fjodor Dostojewskis Roman »Die Brüder Karamasow« und verkettet so im Wechsel von Singen und Sprechen Themen um Unrecht, Mühe und Einsamkeit mit Fragen nach der Unterdrückung und der Fähigkeit des Menschen zur Freiheit.

In Verdis vier geistlichen Stücken hingegen treffen lateinische Worte der katholischen Liturgie auf italienische Verse Dantes – zwischen A-cappella-Frauenchören und vierstimmig gemischten Chören mit großem Orchester. Dabei löst sich im »Te Deum« eine Sopranstimme aus dem Chor heraus – Verdi wollte hier explizit keine Diva, sondern eine Choristin: »Das ist die Menschheit, die Angst vor der Hölle hat.«

Hinter das abschließende, zuversichtliche »In te speravi« (»Auf dich habe ich meine Hoffnung gesetzt«) im Fortissimo-Aufschwung platziert der Komponist mit spitzer Feder ein im Verklingen vernehmbares Fragezeichen. Das damit aufgeworfene Problem wird in der »Ekklesiastischen Aktion« verhandelt.

Shakespeares »Kaufmann von Venedig«

26./27./30./31. August | Lehrofen, TELUX-Gelände, Weißwasser

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William Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig« sieht eigentlich über 20 Figuren und mehrere Handlungsstränge vor, doch konzentriert sich die hier gespielte Kammerfassung in der Regie von Stefan Pucher auf ein Minimum an Agierenden, deren vernichtende Auseinandersetzung Fragen provoziert nach dem Maß und dem Wert der Dinge.

Venedig ist der Markt, und dort wird nach allen Regeln der Kunst – vielmehr des Kommerzes – gehandelt. Der erfolgreiche Kaufmann und Schiffseigner Antonio, der qua Gesetz auf Zinsgeschäfte reduzierte jüdische Kaufmann Shylock und die aus Illyrien kommende unabhängige Portia sind in einen zunehmend drastischen Kampf involviert.

Die Diskussion um den ungewöhnlichen Schuldschein, der dem jüdischen Kaufmann Shylock ein Pfund Fleisch aus Antonios Körper zusichert und der – je nach Interessenlage – unterschiedlich interpretiert wird, sowie der folgende Richterspruch der als Mann verkleideten und zur Instanz erhobenen Portia kreisen mehrschichtig um die Fragen nach Möglichkeit und Unmöglichkeit der Präsenz von transzendenten Werten unter den Menschen.

In einer Nebenhandlung wird das Problem von Glauben und Glück an die Weltwirklichkeit gebunden und eindringlich auf den Punkt gebracht, als Shylocks Tochter vom Judentum zum Christentum konvertiert ist und zu hören bekommt: »Dies Christenmachen wird den Preis der Schweine steigern; wenn wir alle Schweinefleischesser werden, so ist in kurzem kein Schnittchen Speck in der Pfanne für Geld mehr zu haben.« Der Preis von Schweinespeck wird hier zum Maß der Dinge: Das Glück des Bauches will so über die Erlösung der Seele siegen und stellt damit ganze Systeme infrage – gerade an einem Ort, der von ehemaliger Ding-Produktion zur kulturellen Begegnungsstätte wird.

»Gletscher« – MusikTanzTheater

2./3./5. September | 19.30 Uhr | TELUX Gelände, Weißwasser

Uraufführung | Tickets

Ein MusikTanzTheater von Haggai Cohen-Milo und Margaux Marielle-Tréhoüart

»Am Anfang war die Endmoräne. Und Gott kam in Gestalt eines riesigen Gletschers und faltete die Erde auf und offenbarte dem Land die Schätze des Bodens. Und er zog sich zurück und überließ diese Landschaft am Mittelpunkt der Welt den Geistern und den Helden …«

Für ihr MusikTanzTheater bringen der israelische Komponist Haggai Cohen-Milo und die französische Choreografin Margaux Marielle-Tréhoüart Musiker:innen, Sänger:innen und Tänzer:innen aus aller Welt in die Lausitz. In der riesigen, leer stehenden Danner-Halle auf dem Telux-Gelände in Weißwasser entfesseln die jungen Künstler:innen jene Kräfte neu, mit denen hier einst Glas für die Welt hergestellt wurde. Ihr Spiel ist ein Kraftwerk der Rohstoffe, Elemente und Energien – ein Wir der Möglichkeiten.

Cohen-Milo, Marielle-Tréhoüart und ihr Ensemble entwickeln ihr Stück vor Ort und spüren in ihrer Arbeit dem Puls der Region nach. E-Gitarre, Bass, Schlagzeug, Synthesizer und Gesang entfalten daraus eine hoch rhythmische, texturreiche und melodieverzauberte Musik, die mit den bewegt-bewegenden Körpern, dem tanzenden Licht und den Wahrnehmungen des Publikums verschmilzt.
Geister und Helden erscheinen mitsamt ihren Mythen, Legenden, Halbwahrheiten, Lügen und Hochstapeleien. Die Aufführung wird zur Kartografie ihrer unvollkommenen Geschichte, erhofften Heimaten, zurückgelassenen Träumen, aufgefressenen und auffressenden Landschaften. Und zugleich erspielen die Darsteller:innen eine neue Form der Wertschöpfung: Aus der Freiheit von Veränderung wird die Freiheit zur Veränderung.

Mit Wendezeiten und Zeitenwenden kennt man sich hier in der Lausitz nämlich schon lange aus. Und so ist »Gletscher« eine laute, exzessive und bunte Feier der Verwandlungen.
Und sollte der Boden unter unseren Füßen nicht überall gleich sein, so sind wir vielleicht überall unter einem gleichen Himmel.

26.07.2023, 23:48

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