Raus aus dem Üblichen

Zum Program Mit dem Festival Out Of The Box hat die whiteBOX.art im Werksviertel-Mitte ein neues Event in München installiert, welches außergewöhnliche Produktionen an der Schnittstelle zwischen Musik, Visuellem und Performance zeigt
Der Pianist Ralf Schmid nutzt Handschuhe, die es ihm ermöglichen, seine Klavierklänge während des Spiels zu kontrollieren und zu manipulieren
Der Pianist Ralf Schmid nutzt Handschuhe, die es ihm ermöglichen, seine Klavierklänge während des Spiels zu kontrollieren und zu manipulieren

Foto: Out of the Box/ whiteBOX.art

Im Januar 2020 findet nun die zweite Ausgabe von Out Of The Box statt. Das Festival beginnt am 10. Januar mit dem 20-jährigen Jubiläum von Terje Isungset ́s Ice Music und bespielt die folgenden vier Wochenenden lang das gesamte Werksviertel mit Konzerten, Installationen, Symposien und Workshops.

Der englische Begriff „thinking out of the box“ steht für die Fähigkeit, aus bewährten Denkmustern auszubrechen und die Grenzen des Üblichen zu überschreiten. Im Falle der whiteBOX hat der Titel „Out Of The Box“ noch eine weitere Bedeutung: So verlässt die whiteBOX.art ihre eigenen Räume und bespielt Flächen und Locations im gesamten gerade entstehenden Werksviertel-Mitte, verlässt also buchstäblich die eigene „Box“. Und das ist nicht die einzige Grenzüberschreitung: „Out Of The Box ist nicht nur ein spannendes Kulturevent“, erläutert die künstlerische Leiterin und whiteBOX-Geschäftsführerin Dr. Martina Taubenberger, „wir knüpfen bewusst an aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen an und versuchen diese mit künstlerischem Ausdruck in Zusammenhang zu bringen.“

Im Januar und Februar 2020 sind es zwei zentrale Anliegen, die neben der Förderung und Präsentation bahnbrechender künstlerischer Musikproduktionen die Programmgestaltung leiten. Zum einen das Thema Nachhaltigkeit / Ökologie in einem urbanen Umfeld mit kulturellen Inhalten zu verbinden, zum anderen, das Thema Digitalisierung zu emotionalisieren - als neue Naturgewalt. Klimawandel und Digitalisierung sind die zwei großen Herausforderungen unserer Zeit. Daraus ergibt sich die Faszination, diese Themen in einem Festivalkonzept zu kombinieren und in beiden Themen das Unmittelbare, Archaische und Emotionale herauszuarbeiten.

Wenn also der norwegische Perkussionist Terje Isungset vom 10. bis zum 12. Januar auf dem Dach des WERK3 ein internationales Line Up aus Musikern um sich versammelt und sie auf Eis-Harfe, Eis-Tuba und Eis-Bass musizieren lässt, ist dies nicht nur ein visuell und klanglich magisches Ereignis. Die Arbeit mit natürlich gewachsenem Eis, diesem scheinbar so massiven, aber gleichzeitig zerbrechlichen und vergänglichen Material, soll zu einem verantwortungsvollen Umgang mit unserer Schöpfung mahnen und auf die Gefährdung der Gletscher hinweisen. „Wir achten in diesem Jahr verstärkt auf Nachhaltigkeitsaspekte“, so Taubenberger, „Das Eis für die Instrumente wird daher diesmal nicht aus Norwegen antransportiert.“ Stattdessen wird heuer in Österreich aus dem Weißensee „geerntet“, wie Isungset und der aus Frankreich stammende Bildhauer Eric Mutel das Verfahren der Eisgewinnung nennen. Die Bestandteile, die aus industriell gefertigtem Eis geschnitten werden können – wie zum Beispiel Mutels Skulpturen oder die Trägerelemente der Percussioninstrumente – kommen diesmal aus Stuttgart.

Begleitend zu den Eismusikkonzerten findet in Kooperation mit der Almschule im Werksviertel ein Workshop mit jugendlichen zum Thema „Nachhaltigkeit im urbanen Umfeld“ statt. Im Vorfeld zum Konzert am 12. Januar soll es einen Klima-Workshop für die KonzertbesucherInnen geben, mit einem Vortrag zum Thema Klimaschutz und Gletscherkunde. Dabei gilt immer: Rohstoff und Produktion der Instrumente, aber auch die Durchführung der Konzerte bis hin zum Klang der Instrumente und dessen Veränderung während des Konzerts sind Witterung und Wetter unterworfen. KünstlerInnen wie auch BesucherInnen verneigen sich vor der Natur als zentralem gestaltendem Element.

Auch in der Produktion AQUASONIC des dänischen Ensembles „Between Music“ spielt Wasser eine übergeordnete Rolle. Das Wasser als Ursprung des Lebens und als das Element, in dem jeder von uns die ersten 9 Monate seiner Entwicklung verbracht hat, umgibt die PerformerInnen während der gesamten Aufführung. (Atem-)Rhythmus, Klang, Bewegung – alles ist den Bedingungen unter Wasser unterworfen. Im Umfeld zur Unterwassermusik auf dem Festival Out Of The Box soll daher verwiesen werden auf die Verschmutzung unserer Meere und zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Wasser gemahnt werden. Die Unterwasserkonzerte finden dieses Jahr im als Musicaltheater bekannten WERK 7 statt. Termine sind der 31. Januar und der 1. Februar 2020, ergänzt durch ein Kinderkonzert am 2. Februar.

Das zweite Veranstaltungswochenende, das vom 17. bis 19. Januar unter dem Motto „Digitale Poesie“ steht, wird ebenfalls von zahlreichen Workshops begleitet. In Kooperation mit dem Zentrum Digitalisierung Bayern entsteht ein vielseitiges diskursives Programm, unter anderem mit einer Podiumsdiskussion zu Fragen wie: Wie verändert die Digitalisierung unsere Kultur? Wie verändert sich Kommunikation? Welche Auswirkungen hat das auf Formate wie z.B. Konzert, Performance, Ausstellung, etc. als Kommunikationsformen künstlerischer Inhalte? Wo liegen Synergien zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst? Wie setzen KünstlerInnen das Digitale als Stilmittel ein? Warum? Wie gehen sie mit den Kategorien Ästhetik / Original / Poesie/ Emotion um?

In einem Schulprojekt beschäftigen sich Jugendliche mit dem Zusammenspiel aus Visuellem und Klang, Digitalem und Analogem. Im 2-tätigen Workshop „The Digital Identities Storytelling Lab“ diskutieren Kreativwirtschaftsunternehmer und Kulturschaffende die Veränderung unserer Arbeitsweisen und Kommunikationsformen in Zeiten rasanter technologischer Entwicklungen und erarbeiten konkrete Ansätze, wie die Kultur- und Kreativwirtschaft einen positiven gesellschaftlichen Mehrwert in unseren Städten und Communities schaffen kann. Kinder und ihre Eltern gestalten im „Makerspace Wearables“ gemeinsam Kleidungsstücke, in die elektronische Klangerzeuger und Lautsprecher eingenäht sind.

Und natürlich komm auch das Künstlerische nicht zu kurz. Der Komponist und Pianist Ralf Schmid präsentiert in einer Weiterentwicklung des Formats PYANOOK seine mitreißende Kombination aus Video und Sensorik und Klaviermusik diesmal gemeinsam mit einer Tänzerin. Mit dabei ist auch die Produktion „Distorted Vanity“ von mayer+empl.
Im wahrsten Sinne atemberaubend ist die Installation SHRINK des belgischen Choreografen und Künstlers Lawrence Malstaf, die am 25. und 26. Januar 2020 in der whiteBOX zu sehen ist. Im Raum hängen Plastikfolien, zwischen denen sich ein Performer bewegt. Allmählich wird die Luft zwischen den Folien abgesaugt. Über einen Schlauch reguliert der Künstler die Luftzufuhr, bewegt sich langsam, wechselt die Position. Weckt Assoziationen zwischen Embryohaltung und Kreuzigungsszene. Der Körper wird regelrecht vakuumverpackt.

Die Schweizer Produktion PIANO VERTICAL ist gleichzeitig atemberaubender Stunt, urbane Poesie in Perfektion und technologisches Meisterstück. Der Pianist und Komponist Alain Roche schwebt in der Luft an einem Konzertflügel, der von einem Kran herabhängt. Speziell für den Künstler wurde ein Instrument entwickelt, das vertikal in der Luft hängend live gespielt werden kann. Das Klavierkonzert in schwindelnder Höhe findet unmittelbar über dem Grundstück statt, auf dem in wenigen Jahren das neue Münchner Konzerthaus stehen wird. Die ZuhörerInnen sitzen ebenerdig auf Liegestühlen und folgen der Melange aus live gespielten Klavierkompositionen und eine Klanginstallation aus Baustellengeräuschen über Kopfhörer. Das Besondere: Die Konzerte am 24., 25. und 26. Januar finden jeweils um 6:45 Uhr morgens statt – in den Sonnenaufgang und die „blaue Stunde“ hinein. Im Anschluss gibt es – selbstverständlich im Ticket inkludiert – ein Frühstück und ausreichend Heißgetränke.

Der Abschluss des Festivals schließlich widmet sich dem „Community“-Gedanken. Im ganzen Werksviertel-Mitte verteilt sollen am Sonntag, 2. Februar Münchner Formationen und Bands auftreten – in der Gastronomie, in Büroräumen, auf Dächern und auf Baustellen. Im Vordergrund stehen das Entdecken und die Neugierde, in Kombination mit einer Expedition durch die vielfältige Münchner Musikszene und das

Werksviertel-Mitte. Der Eintritt zum Festival-Finale ist gegen Vorlage eines x- beliebigen Festivaltickets frei. Am Ende des Tages trifft sich alles wieder in der whiteBOX zu „Dissolving Localities“. In diesem audio-visuellen Projekt wird Alltag in Kunst verwandelt. Die Komponisten und Klangkünstler Emmanuel Witzthum (Israel) und Thomas Koner sowie der Videokünstler Arik Futterman (Israel) haben während des gesamten Festivalzeitraums Bilder und Klänge aus dem Werksviertel und von den Festivalveranstaltungen eingefangen und benutzen diese Aufnahmen als Quelle für eine künstlerische Performance, die am Abend des Festivalfinales präsentiert wird. Den wirklich finalen Schlusspunkt setzt dann die Out Of The Box Dance Night, gehostet von der seit vielen Jahren im Werksviertel-Mitte verorteten Band „Organ Explosion“.


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Das Festival Out Of The Box wird unterstützt durch Audi ArtExperience und das Werksviertel-Mitte und gefördert durch die Beisheim Stiftung.

09.01.2020, 21:13

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