Facettenreiche Erzählung

Interview „Bis wir tot sind oder frei“ ist der neue Spielfilm von Oliver Rihs, eigentlich bekannt für Komödien wie „Affenkönig“ und „Brombeerchen“. Warum er glaubt, in Zukunft mehr ernsthafte und weniger komödiantische Filme zu drehen,erzählt er im Interview
Bei einer Pro-Stürm-Demo in Zürich.
Bei einer Pro-Stürm-Demo in Zürich.

Foto: Philippe Antonello/ Port au Prince Pictures

In „Bis wir tot sind oder frei“ werden zwei Lebensgeschichten miteinander verzahnt, die des letztlich unpolitischen Ausbrecherkönigs Walter Stürm und die der Anwältin und Politaktivistin Barbara Hug: Welche Ebene hat Sie da mehr gereizt?

Interessanterweise ging es ursprünglich nur am Rande um Barbara Hug und hauptsächlich um die Verfilmung des Lebens von Walter Stürm. Bei ihm hat mich vor allem seine Herkunft interessiert, er kommt aus sehr gutem, wohlhabendem Hause, ist also nicht aus Not in die Kriminalität abgerutscht, sondern hat sich ganz bewusst dafür entschieden, wohl auch, um seinem Vater zu provozieren. Auch dieser Vater-Sohn-Konflikt hat mich fasziniert, weil ich als jugendlicher Halbstarker ebenfalls meinem Vater so einige Sorgen bereitet habe und mich mit ihm gerne anlegte – auch wenn ich es nicht ganz so weit getrieben habe wie Stürm. Mit der Zeit erschien mir Stürm als Hauptfigur aber nicht mehr optimal, weil er ein fast soziopathischer Mensch war und in meinen Augen auch autistische Züge hatte. Ihn so ins Zentrum zu stellen und damit ja auch zu heroisieren, ihn sympathischer zu machen als er wirklich war, schien mir, wie auch seinem Biografen Reto Kohler, nicht richtig. Sicher, Stürm war ein faszinierender Typ, unglaublich talentiert, charmant und gerissen, aber eben kein Sympathieträger. So bin ich dann immer mehr auf Barbara Hug gekommen, die ihn vertreten hat. Ich stellte fest, dass es zwischen den beiden, neben ihrer juristischen Tätigkeit für Walter noch etwas anderes gab, eine Art platonische Liebe. Das fand ich spannend: Auf der einen Seite eine Frau, die gefangen ist in ihrem versehrten Körper, in gewisser Weise also auch in einer Art Gefängnis lebt. Die keine Achtsamkeit für sich selber hatte, die sich immer nur um andere gesorgt hat. Die die Schwachen unterstützt hat, bis zum Umfallen, ohne Rücksicht auf ihre eigene, angeschlagene Gesundheit. Sie hat viel getrunken, viel geraucht. Auf der anderen Seite Walter Stürm, der ein absoluter Egomane war und den größten Teil seines Lebens in Gefangenschaft lebte, aber auch x-fach wieder ausgebrochen ist. Diese Synergie von Gefangenschaft und Freiheit, die es zwischen den beiden gab, mit Anklängen einer nicht ausgelebten Liebesgeschichte, das war es, was ich an dem Stoff attraktiv fand. So kam Barbara Hug immer mehr ins Licht, bis wir die richtige Mischung hatten, und so wurde das Projekt letztendlich auch zu einem philosophischen Film über das Thema Freiheit, mit biografischem Background.

Sie sagen, Sie wollten Stürm lieber nicht zum Helden machen, aber auch Barbara Hug ist in Ihrer Ruppigkeit oft abweisend: Ist es in Ihren Filmen nicht generell so, dass Sie es den Zuschauern mit der Identifikation nicht so leicht machen?

(lacht) Ich finde Barbara Hug schon sehr liebenswert, auch wenn sie ein bisschen sperrig ist. Das liegt hier schon anders als in bösen Komödien wie „Affenkönig“. Das war ein Film, in dem ich mich ganz bewusst über Männer in ihren Midlife-Krisen lustig gemacht habe, über das affige Verhalten von Mittvierzigern. Da bin ich von vornherein davon ausgegangen, dass sie mit ihren Schwächen und auch negativen und egozentrischen Seiten nicht unbedingt Sympathieträger sind. Was mich in meinen Filmen immer sehr interessiert, ist das Ego der Figuren, speziell in Komödien parodiere ich es gerne. Denn in meinen Augen ist Egoismus eines der größten Probleme auf diesem Planeten, das sieht man im Großen wie im Kleinen, in den Beziehungen innerhalb von Familien, genauso wie in der Politik. Mit Egozentrik löst ein Mensch natürlich nicht unbedingt Sympathie aus.

Trotzdem liegt es in der Natur des Kinos, dass man als Zuschauer auf die Seite der Protagonisten gezogen wird, sich auch mal dabei ertappt, dass man mit den Mördern bangt. Aber bei Ihren Filmen wird man eigentlich nie barrierefrei zum Verbündeten. Woran liegt das?

Ja, das kann schon sein. Grundsätzlich interessieren mich im Kino sehr ambivalente Charaktere mehr als die geradlinigen Sympathieträger. Wenn ich mir Filme von Antonioni oder Bergmann anschaue, die ich sehr bewundere – auch wenn meine Filme gänzlich anders daher kommen – dann interessiert es mich, Figuren zu folgen, bei denen ich nie so recht weiß, ob ich sie wirklich mag oder eher abstoßend finde. Gerade das Abstoßende, ihre Sperrigkeit finde ich interessant. Auch privat sind viele meiner Freunde recht eigensinnige, schräge Vögel, die es nicht jedem einfach machen, sie zu lieben oder zu verstehen. Schon möglich, dass es bei mir ein gewisses Misstrauen gegenüber klassischen Sympathieträgern gibt.

Die Geschichte von Walter Stürm hätte auch das Zeug zur Komödie. Aber „Bis wir tot sind oder frei“ ist Ihr bisher ernstester Film geworden. Ist das ein einzelner Ausreißer oder der Anbruch einer neuen Phase?

Gut möglich, dass das eine neue Phase ist, denn der Komödien bin ich ein bisschen überdrüssig geworden. Ich würde aber auch behaupten, dass mein erster Film „Brombeerchen“, mit Birol Ünel, der jetzt gestorben ist, im Grund der bisher traurigste ist, obwohl auch da sehr viel Schräges und Komisches vorkommt. Aber in der Verzweiflung der Figuren und der kafkaesken Entfremdung, der Weltfremdheit der jungen Protagonistin, die sich nicht zurechtfindet, liegt eine große Tragik. Das Problem war, dass ich danach mit zwei Komödien erfolgreich war und dann nur noch mit Komödienangeboten zugeballert wurde. Irgendwann traut einem dann niemand mehr ein Drama zu. Umso mehr habe ich mich gefreut, als der Produzent Ivan Madeo auf mich zukam und sagte, wenn du Komödie kannst, kannst du auch Drama. Das war eine Chance und mir hat es großen Spaß gemacht, die Leute mal eher zum Weinen als zum Lachen zu bringen, obwohl Stürm auch seine komischen Momente hat. Ich glaube, meine nächsten Filme werden sicher stärker in die dramatische Richtung gehen. Obwohl wir „Schwarze Schafe“ jetzt als Serie planen…

Sie sind 1971 geboren; Wie viel haben Sie von den im Film erzählten Ereignissen damals schon mitbekommen?

Walter Stürm war durchaus ein Thema. Einige Freunde, die ein bisschen älter waren, haben damals auch vor Stürms Gefängnis demonstriert. Für manche meiner Freunde war er eine Kultfigur, aber für mich nicht. Als Kind habe ich auch die Eröffnung der Roten Fabrik mitbekommen, das war ein linkes Jugendzentrum, das wir uns mit unseren Eltern angeschaut haben. Von der ganzen Bewegung und den zahlreichen Demos habe ich Einiges mitbekommen.

„Bis wir tot sind oder frei“ ist Ihr erster Film, der eine fremde, historische Geschichte erzählt? Was hat sich dadurch verändert?

Ja, zum ersten Mal historische Figuren, die ich nicht persönlich gekannt habe. Dabei habe ich entdeckt wie spannend es ist, fremde Biographien zu erforschen. Und ich habe nicht das Gefühl, dass dieser Film mir fremder wäre, im Gegenteil, ich habe ja wirklich sehr viel Liebe in das Projekt gesteckt und dabei entsteht eine Beziehung zu den Figuren, auch wenn sie nicht aus meinem Umfeld kommen.

Die Schweiz wirkt in dieser Zeit schon sehr rückständig, in den Bereichen Medizin, Recht, Politik. Sie leben seit rund zwanzig Jahren in Berlin. Ist dieser Film auch eine Art Abrechnung mit Ihrem Heimatland?

Eher nicht. Zur Schweiz habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis. Einerseits liebe ich dieses Land und seine Qualitäten sehr, genieße es unglaublich, mich in den Bergen aufzuhalten und habe dort auch viele gute Freunde. Andererseits gibt es dort auch eine verstörende Selbstzufriedenheit und wenig Selbstkritik bei vielen Leuten. Sprüche wie „Was interessieren mich die Menschenrechte?“oder „Wir haben hier das beste Gesetz der Welt“, das haben die Staatsanwälte damals wirklich wortwörtlich so gesagt. Was da im Zusammenhang mit den Jugendunruhen bei den Gerichtsprozessen passierte, ist erschreckend, wirklich unfassbar, welche Sprüche da noch in den Achtzigern fielen. Das hat wohl damit zu tun, dass die Schweiz nach dem zweiten Weltkrieg nie mit sich selber ins Gericht gehen musste, da gab es keine Abrechnung, keine Kritik an der eigenen Vergangenheit. Das hat dazu geführt, dass diese konservativen Haltungen noch recht lange Bestand hatten und akzeptiert wurden. Erst in den 1980er-Jahren haben Frauen wie Barbara Hug daran gerüttelt. Die Sozialisten haben damals sehr viel bewegt, nicht wenige von denen landeten später in der Regierung. Das ist auch der Grund, warum wir einige Namen verändern mussten. Moritz Leuenberger, der einer der Anwaltskollegen Barbara Hugs war, wollte beispielsweise nicht, dass wir seinen Namen benutzen, denn später war er Bundespräsident der Schweiz. Da gab es viele steile Karrieren, viele, die aus dem radikal linken Flügel in die Sozialdemokratie gewechselt sind. Aber Abrechnung? Ich glaube nicht, im Gegenteil, ich fand es sehr schön, wieder an der Schweiz anzudocken, und auch in Schweizerdeutsch zu inszenieren, glücklicherweise konnten sich alle Schauspieler in der deutschen Fassung selber synchronisieren.

Es gab in dem Umfeld ja auch jede Menge männliche Anwälte. Die Entscheidung für Barbara Hug passt gut zum derzeit verstärkten Interesse an Frauengeschichten: War das eine Überlegung?

Sagen wir es mal so, ganz pragmatisch macht man es sich im Moment natürlich auch mit der Finanzierung leichter. Aber auch ganz persönlich war ich nach den vielen Männergeschichten an einem Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, mich zu wiederholen. Ich hatte richtig Lust darauf, mich mal einer Frau anzunehmen. Auch in meinem nächsten Kinofilm wird es wieder um eine Frau gehen.

Gab es da Bedenken, etwas nicht richtig zu machen?

Wenn man sich zu viele Gedanken macht, wird das nur verkrampft. Damals, bei „Schwarze Schafe“, haben viele moniert, „da kommst du als Schweizer und drehst einen Berlin-Film“, fanden dann aber, dass es bestens funktioniert. Natürlich haben mir die Berliner, die da mitgespielt haben, geholfen, das Berlinerische reinzubringen. Bei Barbara Hug hatte ich Marie Leuenberger an meiner Seite, mit ihr habe ich viel über das Buch gesprochen, und mich gerade bei den intimen Szenen sehr von ihr leiten lassen. Wenn sie gesagt hätte, das fühlt sich für mich nicht richtig an, in so einem Moment nackt vor dem Spiegel zu stehen und sich anzuschauen, dann hätten wir etwas anderes ausprobiert. Skrupel, irgendetwas falsch zu machen, habe ich eher nicht, denn spätestens beim Inszenieren merkt man doch, ob es sich echt anfühlt oder erzwungen ist.

Der Film ist insgesamt relativ nüchtern erzählt, mit Ausnahme der Traum- und Alptraum- Szenen um die Körperwahrnehmung herum: Wie sind Sie da herangegangen?

Wir haben lange überlegt, wie weit wir da gehen können. Es war mir wichtig, in ihre Wahrnehmung zu schlüpfen, dieses Gefühl, im Körper gefangen zu sein zu vermitteln. Aber natürlich ist es riskant, da nicht in den Horrorbereich zu kommen, oder in Kitsch abzugleiten.

Ein Schlüsselbegriff des Films ist die Freiheit, die im Laufe des Films unterschiedlich definiert wird. Was bedeutet sie Ihnen?

Freiheit ist für mich etwas, wonach ich wahrscheinlich mein Leben lang auf der Suche sein werde. Die Frage nach Freiheit lässt sich nie ganz von der Frage nach dem Sterben lösen. Wirklich frei kann man wohl nur sein, wenn man zumindest den Tod nicht mehr fürchtet. Meine Ängste, die mich nicht frei sein lassen, sind fast immer an die Angst vor dem Tod geknüpft, mit diesen beiden Themen werde ich wohl ein Leben lang jonglieren. Ich habe ein sehr großes Bedürfnis nach Freiheit, nach Unabhängigkeit. Gleichzeitig sehne ich mich aber auch nach Abhängigkeit und Unfreiheit, denn zu viel Freiheit ist auch schwer zu ertragen. Das ist für mich ein Wechselbad, mit Phasen, in denen ich mich sehr frei fühle, und Phasen, in denen mich sehr gefangen fühle, in Gedankenkonstrukten und emotionalen Unklarheiten. Ein Riesenthema, das nicht einfach zu klären ist.

In den Zeiten der Corona-Demos hat die Auseinandersetzung mit Freiheitsrechten ja auch einen sehr aktuellen Bezug.

Obwohl wir von einer anderen Zeit erzählen, trifft das im Moment schon sehr ins Schwarze. Freiheit ist ein Thema, das uns im Moment alle umtreibt: Wie stark werden wir vom Staat kontrolliert? Inwieweit ist das gut oder gefährlich? Wieviel sollte der Staat entscheiden? Ab wann wird es kritisch? Wann sollte man sich nicht mehr fügen und um die Freiheit kämpfen? „Bis wir tot sind oder frei“ reflektiert sehr viele Fragen, die für die heutige Zeit relevant sind.

Barbara Hug sagt im Film einmal, jede wichtige Revolution habe mit einem Buch angefangen: Glauben Sie, dass die Kunst, das Kino etwas ausrichten kann in der Welt?

Ja, glaube schon, vielleicht nicht gleich die ganze Welt, aber zumindest im Kleinen kann das Kino etwas verändern. Wahrscheinlich nicht so viel wie einzelne Bücher und theoretische Werke. Als ich etwa das erste Mal „Solaris“von Tarkowski gesehen habe, war ich ganz sicher danach nicht mehr der gleiche Mensch.

19.03.2022, 18:18

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