Der charismatische Walter Stürm, gerade mal wieder aus dem Gefängnis geflohen, widerspricht allen Regeln, lebt bedingungslosen Egoismus und gerät dabei immer wieder mit dem System aneinander. Nicht nur Heike verfällt seinem jungenhaften Charme, auch Barbara fühlt sich zu ihrem Mandanten hingezogen. Als der Ausbrecherkönig erneut im Knast landet, kommt er in Isolationshaft. Und ausgerechnet Stürm, der keiner Ideologie anhängt, wird in linken Kreisen zum Symbol für Freiheit und die Würde des Einzelnen – und zum Objekt der Begierde zweier ungleicher Frauen.
Seine internationale Premiere feierte „Bis wir tot sind oder frei“ im Hauptwettbewerb des Internationalen Filmfestivals Tallinn, wo Marie Leuenberger mit dem Preis für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde. Auch beim renommierten portugiesischem Avanca Film Festival erhielt der Film u.a. Auszeichnungen als Bester Film, für die Beste Hauptdarstellerin und die Beste Kamera. Die Deutschlandpremiere fand beim Filmfest Hamburg statt.
Regiekommentar
Walter Stürm ist in der Schweiz ein Mythos: Für manche war er der große Ausbrecherkönig der 1980er- und 1990er-Jahre ein irrwitziger Robin Hood oder Mini-Che-Guevara, für andere einfach ein gefährlicher Soziopath. Die Faszination seiner Figur liegt in seinem radikalen Freiheitsdrang, der nicht nur ihn und die Gesellschaft, sondern letztlich auch seine langjährige Anwältin Barbara Hug prägte. Deshalb haben wir den Erzählfokus unseres Films auf die unkonventionelle Beziehungsgeschichte zwischen Walter Stürm und Barbara Hug gelegt. Sie, eine Juristin aus der linken Szene im Zürich der 1980er-Jahre, will Stürms Popularität für ihr Ziel nutzen, den Strafvollzug in der Schweiz zu reformieren. Doch je weniger Walter Stürm sich ihrer Logik beugt, desto mehr verfällt sie der Faszination seines kategorischen Freiheitswillens. Er wird der Felsen, an dessen Widerstand sie wachsen muss. Stürm ist das Rätsel, dessen Lösung für sie zur Lebensaufgabe wird.
Als ich die Biographie und Kriminalgeschichte von Walter Stürm gelesen hatte, ging mir das ungewöhnlich und überraschend nahe. Wie Walter Stürm war auch ich in meiner Jugend mit dem Wunsch nach Respekt und Zuneigung meines dominanten Vaters beschäftigt. Und auch ich habe für die erwünschte Aufmerksamkeit radikale Wege beschritten, die oft nicht ganz ungefährlich waren. Weder Walter Stürm noch Barbara Hug haben sich je wirklich von den Wunden ihrer Kindheit lösen können. Beide sind Gefangene ihrer eigenen Dämonen, die ihnen ihre Zwanghaftigkeit auferlegen: Stürm die manische Kriminalität, Hug die aggressive Arbeitswut. Ein Spannungsfeld zwischen Freiheit und Gefangenschaft, Geben und Nehmen.
Barbara Hug lebt, seit sie denken kann, in einem Körper, den sie als Feind empfindet. Momente innerer Ruhe findet sie nur im Kampf gegen Widerstände. Und zwar so sehr, dass sie den Kampf zum Selbstzweck werden lässt – je mehr sie an ihre eigenen Grenzen stößt, desto mehr übernimmt sie den Kampf für andere, scheinbar altruistisch. Hug kämpft für die Freiheit aller, während sich Stürm rücksichtslos seine eigene Freiheit nimmt. Das Schlimmste für ihn ist das Gefühl der Unfreiheit, nicht Herr seiner eigenen Handlungen zu sein, in etwas hineingezwungen zu sein, das er nicht leisten kann.
Freiheit, da bin ich überzeugt, ist inhärent egoistisch. Entweder man nimmt sie sich, oder man hat die Freiheit nicht. Nur wenn man sie hat, kann man sie auch geben. Sie ist wie die Atemmaske im Flugzeug: Helfen Sie zuerst sich selbst, dann helfen Sie den anderen. Und das ist letztlich die Aufforderung zur gesunden Selbstliebe und zur kollektiv sinnvollen Selbstbefreiung, die ich mit diesem Film transportieren will.
Mein Ziel war es, ein für das Publikum zugängliches Liebesdrama mit der ganzen Bandbreite an Emotionen zu realisieren; umgesetzt in einer Ästhetik, die sich Konventionen ebenso rebellisch entgegenstellt, wie dies Stürm und Hug getan haben.
– Oliver Rihs, Regisseur von „Bis wir tot sind oder frei“