Eindringliche Erzählung

Kommentar York-Fabian Raabe beschreibt die Idee, die hinter seinem neuesten Film steht – die Untersuchung der (Ver-)Bindungen, die zwischen Menschen entstehen. Ihm ist es ein großes Anliegen, dass „Borga“ dazubeiträgt, dass andere Perspektiven anerkannt werden
BORGA | Filmstill
BORGA | Filmstill

Foto: Chromosom Film GmbH | Tobias von dem Borne

Ghana hat sich einen besonderen Platz in meinem Herzen geschaffen. Was mich begeistert, ist die Lebensfreude der Menschen und ihr Drang, sich auf das Positive im Leben zu fokussieren. Hinzu kommt die Liebe zur eigenen Gesellschaft und Kultur ohne dabei abgrenzend zu sein.

Dabei gibt es in Ghana krasse Gegensätze und Widersprüche. Beispielsweise Agbogbloshie, als eines der verschmutztesten Orte der Welt, ist es für viele ein Platz der Hoffnung, ein Platz von dem sie glauben, dass er ihre Träume wahr machen könnte. Hier gibt es Kinder, die lieber auf der Straße leben als bei ihren Eltern. Hier ist einer der größten Gemüsemärkte des Landes. Und hier steht eine Abfüllanlage von Pepsi Cola. Bei meinem ersten Besuch vor acht Jahren brauchte ich einen Moment, um meine „deutsche Brille“ abzusetzen und mich stattdessen auf die Menschen und nicht den Ort zu konzentrieren.

Eine große Hilfe war für uns die Kinderhilfsorganisation Chance for Children. Sie haben uns gezeigt, dass jedes Kind eine komplexe Geschichte hat, auf die sie individuell eingehen. So wurden manche Kinder von ihren Eltern geschickt und trauen sich jetzt nicht mehr nach Hause. Andere sind von zu Hause weggelaufen, um bei ihren Freunden auf der Straße zu leben.

Und darum geht es mir in „Borga“, um die Vielschichtigkeit menschlicher Leben. Im Fokus steht dabei meine Hauptfigur Kojo. In ihm und in seinem inneren Antrieb verbinden sich die Geschichten von Eugene, meinem Hauptdarsteller und von mir, wenn auch in einer ganz anderen Ausprägung.

Im Kern ist „Borga“ eine Geschichte über das Verhältnis zu unserer Ursprungsfamilie (die Familie, in die wir geboren werden) und der Familie, die wir gründen. Alle anderen Themen, wie Elektroschrott, Flucht, Armut vs. Reichtum, usw. ordnen sich dieser Geschichte unter. Sie sind die Basis auf der Kojos Charakter sich entwickelte und die ihn auf seinen Weg beeinflussen. So spannend beispielsweise die Frage auch ist, wie es zu Agbogbloshie mit seinen Teufelskreisen (siehe Abschnitt: Hintergründe im Presseheft) kommen konnte und welchen Anteil unsere westliche Gesellschaft daran hat, sie dient nur dazu, Kojos Charakter und Verhalten einzuordnen.

Und das ist mein Anliegen. Ich möchte dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft im Geiste offener wird. Dass mehr relativiert wird, mehrere Perspektiven zumindest anerkannt werden, auch wenn sie nicht geteilt werden. Und, dass sich mehr gefragt wird, warum der jeweilige Mensch so handelt, wie er handelt.,

Deshalb erzähle ich auch so gerne aus fremden Kulturen. Über sie lerne ich meine eigene Kultur besser verstehen. Selbstverständlichkeiten, Werte und Vorstellungen in unserer Gesellschaft relativieren sich und veranlassen mich, über uns und mich selbst nachzudenken.

Gleichzeitig ist es aber auch eine große Verantwortung, aus einem anderen Kulturkreis heraus zu erzählen. Ohne die jahrelangen Recherchen zusammen mit meinem Kreativpartner Eric Golub und der intensiven Weiterentwicklung mit meinem Hauptdarsteller Eugene Boateng hätte ich das Projekt nicht machen können.

Daraus entstanden ist ein für Deutschland seltener Film, der aus einer ghanaischen, schwarzen Perspektive erzählt. Er zeigt in großer Vielfalt, wie stark und authentisch unsere schwarzen Schauspieler in Deutschland sind und wie außergewöhnlich ihre ghanaischen Kollegen. Für mein Team und mich ist BORGA mehr als ein Film! Es ist eine Reise, eine Erfahrung, die uns Ghanaen, Deutsche und Deutsch-Ghanaen einander näher gebracht hat. Ich hoffe, dass dieser Geist des Respekts, vor und hinter der Kamera, mitschwingt und dass wir neue Perspektiven eröffnen, die Menschen unterschiedlicher Herkunft einander näher bringen.

York-Fabian Raabe, Regisseur von „Borga“

26.10.2021, 10:42

Film: Weitere Artikel


Voller Empathie und Schönheit

Voller Empathie und Schönheit

Zum Film Als Borga bezeichnet man in Ghana, jene Leute, die es im Ausland zu Ansehen und Wohlstand gebracht haben. Der gleichnamige Film von Eugene Boateng und York-F. Raabe erzählt die Geschichte von Kojo, dessen großer Traum es ist nach Deutschland zu gehen
Ausgezeichnetes Ensemble

Ausgezeichnetes Ensemble

Biografie Mit ausgezeichneten Darsteller*innen und seinem deutsch-ghanaischen Filmteam ist es dem Regisseur York-Fabian Raabe mit „Borga“ gelungen, einen wahrhaftigen, teils beklemmenden Film zu drehen, der weit mehr ist als nur eine Geschichte über Migration
Ganz großes Kino!

Ganz großes Kino!

Netzschau „Als ein Schicksal von vielen erzählt Raabe seine Geschichte, die vor allem deshalb so bewegt, weil sie authentisch eingefangen wird, mit einem genauen und wahrhaftigen Blick für feine zwischenmenschliche Nuancen und die realen Vorgänge in Ghana.“

Borga | Trailer

Video Die Brüder Kojo und Kofi wachsen auf der Elektroschrott-Müllhalde Agbogbloshie in Ghanas Hauptstadt Accra auf. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie im Betrieb ihres Vaters mit dem Sammeln von Metallen, die sie aus westlichem Elektroschrott gewinnen


Borga | Filmkritik

Video York-Fabian Raabe fügt dem Genre um Flucht und Migration mit BORGA eine neue, eine bemerkenswerte Perspektive hinzu. Denn eigentlich erzählt er erstmal nur vom Erwachsenwerden zweier Brüder in Ghana ... Ab dem 28. Oktober im Kino!


Borga | Interview

Video Der Saarländische Rundfunk beteiligt sich an der Online-Ausgabe des 42. Filmfestivals Max Ophüls Preis als Film(Ko)Produzent und begleitet das Festival als traditioneller Medienpartner. Sonja Marx im Gespräch mit den Machern von „Borga“


Borga | Interview

Video Die Filmemacher*innen von Borga im Interview mit Stefan Müller. Der Spielfilm „Borga“ von York-Fabian Raabe ist beim 14. LICHTER Filmfest online gezeigt worden