„Dies ist keine Geschichte über Gut und Böse“

Interview Regisseur und Drehbuchautor Emin Alper spricht über die Hintergründe seines Politthrillers „Burning Days“. Ein Film, der ursprünglich einen einsamen Kämpfer gegen eine korrupte Elite porträtieren sollte und letztendlich noch so viel mehr geworden ist
Szene aus „Burning Days“ von Emin Alper
Szene aus „Burning Days“ von Emin Alper

Foto: Cinemien

Wie sind Sie auf den Stoff von Burning Days gekommen? Haben Sie sich von wahren Begebenheiten inspirieren lassen?

Die ursprüngliche Idee war es, einen einsamen, idealistischen Menschen ins Zentrum zu stellen, der gegen die korrupte Elite einer Kleinstadt ankämpft. Natürlich wurde die Idee inspiriert von den neusten politischen Entwicklungen in meinem Land. Du kannst immer den Mut und die Energie aufbringen, gegen korrupte und autoritäre Politiker Widerstand zu leisten, aber wenn du dann siehst, wie populär solche Menschen sind und dass sie wieder und wieder gewählt werden, fühlst du dich niedergeschlagen, alleine und isoliert. Nach einer Weile denkst du, dass du deine Depression überwinden solltest und beginnst dich erneut aufzulehnen – bis zur nächsten Enttäuschung. Wir sind seit einigen Jahren gefangen in einem solchen Teufelskreis. Nicht nur in der Türkei, zahlreiche andere Länder machen ähnliche Erfahrungen. Ich beschloss daher, eine Geschichte zu schreiben, die diese beinahe universelle Entwicklung aufnimmt und die Einsamkeit von Menschen zeigt, die über den Aufschwung autoritärer Populisten empört sind.

Ist Yaniklar eine fiktive Stadt?

Ja, Yaniklar ist komplett erfunden. Ich wollte in der fiktiven Stadt einen Mikrokosmos der Türkei entwerfen. Mir war klar geworden, dass ich die Geschichte in einem Mikrokosmos ansiedeln musste, wie ihn Ibsen in seinem Stück «Der Volksfeind» erschaffen hatte. Dieses Theaterstück, das vor beinahe eineinhalb Jahrhunderten geschrieben wurde, war eine meiner wichtigsten Inspirationsquellen.

Nimmt die beschriebene Wasserkrise Bezug auf ein konkretes Problem in Gebieten der Türkei? Uber das Wasser übt der Bürgermeister Kontrolle über Bewohnerinnen und Bewohner aus. Sehen Sie hier eine Parallele zu anderen Formen der Kontrolle in populistischen Regierungen?

Der Wassermangel wird zunehmend zum Problem und Erdrutsche sind in Zentralanatolien ein Fakt. Mit dem Fehlen von Grundwasser erhöht sich das Phänomen drastisch und schafft echte Gefahren, dennoch bleibt der Wasserverbrauch konstant hoch. Populisten haben in solchen Zeiten Hochkonjunktur, weil sie immer einfache Lösungen parat haben, um die Bedürfnisse der Menschen schnell zu befriedigen. Sie präsentieren kontraproduktive Kurzzeitlösungen und nutzen die Naivität der Menschen und ihre Vorurteile aus. Das Wasserproblem der fiktiven Stadt Yaniklar könnte genauso gut für das Land stehen, das unter der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes leidet, das Ol, das angeblich alle reich machen wird, oder die Einwanderer, die sowieso an allem schuld sind.

Wie kamen Sie darauf, mit Elementen des Thrillers zu arbeiten?

Das war nicht von Anfang an vorgesehen. Nachdem das Grundgerüst rund um das Wasser skizziert war, brauchte es Elemente, die die Handlung anreichern und den Charakter des Staatsanwalts vertiefen würden. Mir schwebte eine Art Kriminalgeschichte vor, aber nicht nur, um Spannung aufzubauen, sondern auch, weil es mich immer wieder erstaunt, wie die Menschen kriminelle Akte ihrer geliebter populistischer Führer einfach ignorieren können.

Das Nachtessen im Garten des Bürgermeisters ist eine wichtige und lange Szene, die zuerst amüsant ist (der Schauspieler, der den Zahnarzt verkorpert, ist grossartig), dann verstorend. Wie haben Sie die Szenen erarbeitet?

Ich liebe lange Szenen von Essgelagen. Es gibt in fast all meinen Filmen eine solche Szene. Sie eignen sich hervorragend, um die Spannungen unter der Oberfläche sichtbar zu machen. Der grösste Teil der Dialoge war im Drehbuch festgehalten, wir probten aber auch sehr viel und ich liess die Schauspielenden bis zu einem gewissen Grad improvisieren. Ich notierte mir die besonders gelungenen Improvisationen und baute sie ein. Auf dem Set stand die Szene soweit fest, weil wir sie aber im Laufe von vier Nächten drehten, bestand die grösste Herausforderung darin, das emotionale Engagement aller Beteiligten über die Drehtage hinweg auf demselben hohen Niveau zu halten.

Emre versucht, sich an die Geschehnisse jener Nacht zu erinnern: Sind die Fragmente, die nach und nach auftauchen, echte Erinnerungen oder Hypothesen?

Es ist eine Mischung von echten Erinnerungen, Hypothesen und Wunschdenken. Ich wollte keinen gradlinigen Prozess beschreiben, bei dem nach und nach die Erinnerung zurückkommt und schliesslich die Wahrheit zu Tage tritt. Das wäre zu klassisch. Dem Publikum wird zum Ende keine absolute Wahrheit präsentiert. Die Erinnerungen stehen manchmal im Widerspruch zueinander. Einige können real sein, andere wurden höchstwahrscheinlich nach Geschichten geformt, die er gehört hatte. Manche wiederum sind vermutlich so zurechtgebogen, wie sie der Staatsanwalt in Erinnerung behalten möchte.

Murats Charakter ist zwiespältig, hilft er Emre oder manipuliert er ihn? Konnen Sie etwas genauer sagen, was in seiner Jugend passiert ist?

Für mich ist eines der wichtigsten Themen im Film, dass du nicht vollkommen rein und moralisch bleiben kannst, wenn du gegen den Teufel kämpfst. Murat kämpft gegen die Korruption, lebt aber seit seiner Kindheit in dieser korrupten Umgebung. Es ist unvorstellbar, dass er unter diesen Voraussetzungen unschuldig bleiben kann. Also ja, er manipuliert, gleichzeitig ist er aber auch aufrecht in seiner Sache. Ich wollte ihn nicht in eine Schublade stecken. Er ist wirklich überzeugt davon, dass der Mangel an Grundwasser gefährlich ist. Dennoch ist er käuflich, um seine Ziele zu erreichen. Wahrscheinlich, weil er glaubt, dass er sonst keinen Erfolg hat. Murats Vergangenheit ist unklar, implizit wird aber angedeutet, dass er in jüngeren Jahren der Stricher der Stadt war. Dieser Punkt war mir wichtig, um die Scheinheiligkeit konservativer Kleinstädter hervorzuheben. Natürlich gibt es auch in solchen Städten Beziehungen zwischen Männern, gleichzeitig aber ist es ein absolutes Tabu, schwul zu sein oder sich zu prostituieren. Murats sexuelle Ambivalenz war ein erzählerisches Mittel, um diese Doppelmoral sichtbar zu machen. Es gibt noch ein Mysterium im Zusammenhang mit Murats Vergangenheit. Wurde er vom früheren Staatsanwalt in der Absicht adoptiert, ihn sexuell auszubeuten oder wollte er ihm wirklich helfen? Das ist nicht eindeutig, aber Murats harsche Reaktion auf Emre am See impliziert Letzteres.

Was soll das Publikum am Ende des Films glauben: dass Emre unschuldig ist und in eine Falle gelockt wurde?

Nicht unbedingt. Dies ist keine Geschichte über Gut und Böse, sondern über «weniger Gut und Böse». Das rein Gute gibt es nur im Märchen. Wie ich schon sagte, kann man im Kampf gegen das Böse selbst einen teuflischen Charakter entwickeln oder zumindest seine dunklen Seiten ans Licht zerren. Erstens führt Emre nie eine rundum seriöse Untersuchung durch. Vermutlich manipuliert er Pekmez’ Aussage, um die gewünschte Schlussfolgerung zu rechtfertigen. Er versteckt Beweismittel, ist jedoch mutig und ehrlich genug, um die Ermittlungen fortzusetzen, obwohl er merkt, dass er in den Fall hineingezogen wird. Zweitens ist Emre nie ganz sicher, was in jener Nacht wirklich passiert ist. Als Mann voller unterdrückter Begierden schliesst er nicht aus, dass auch er ein potenzieller Vergewaltiger sein könnte. Was Emre am Ende so tugendhaft erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass er aller Widerstände zum Trotz weiterkämpft, wie auch immer es ausgehen möge. Der Weg des geringsten Widerstands wäre für ihn, den Fall aufzugeben, was er aber nie ins Auge fasst. Am Ende ist er nicht ganz unschuldig, versucht aber wenigstens, etwas Gutes in sich zu bewahren. Das lässt ihn in eine Falle tappen, die nicht etwa ein lang geplanter Komplott ist, er überschätzt ganz einfach seine eigene Macht in Bezug auf die korrupten Lokalpolitiker, die die Stadt fest im Griff haben.

Der Film beginnt mit einer spektakulären Wildschweinjagd, zur Beute werden am Ende aber Emre und Murat. Ist Homophobie stark verbreitet in der Türkei?

Leider ja. Mehr noch, ist sie in den letzten Jahren sogar auf die Agenda der Politik gerückt. Bis vor Kurzem war die LGBTI+-Community in der Türkei trotz vorherrschender Queerfeindlichkeit vermehrt in den Blick der Offentlichkeit gerückt und hat sich zu Wort gemeldet. Vor einigen Jahren startete die Regierung einen eigentlichen Kreuzzug gegen die öffentliche Sichtbarkeit von LGBTI+-Menschen und hat die Homophobie im Volk geschürt. Das ist bei Rechtspopulisten fast weltweit zu beobachten, denken Sie an Putin und Orban.

Ist Burning Days ein Konflikt zwischen Tradition und Moderne?

Nicht zwingend oder nur teilweise. Sicher, Emre ist ein Stadtjunge und ziemlich modern. Die ersten Spannungen tauchen auf, als er mit der traditionellen Lebensweise kollidiert, gleichzeitig ist das Problem komplexer. Der Bürgermeister und sein Sohn sind nur in dem Masse traditionell, wie es Le Pen, Orban oder Putin sind. Populistischen Führern gefällt es, sich traditionell und volksnah zu geben. Sie neigen dazu, sich auf traditionelle, konservative Werte zu beziehen. Allerdings sind dies für sie in der Regel manipulative Instrumente. Wir sollten uns vor Augen halten, dass der autoritäre Populismus ein modernes Phänomen ist.

22.09.2023, 13:05

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