Fokus auf das Wesentliche

Kommentar Erler wurde '82 in Ost-Berlin geboren und erfuhr selbst noch als Kind, wie es sich anfühlt, pötzlich sein Zuhause verlassen zu müssen. Heute lebt er wieder in Berlin, in Prenzlauer Berg, einem mittlerweile nahezu vollständig gentrifizierten Bezirk
Der Sohn des letzten Mieters, Matthias Ziesing (Tobias Heine).
Der Sohn des letzten Mieters, Matthias Ziesing (Tobias Heine).

Foto: Dualfilm Verleih

Es war im August 1989 und ich war unglaublich stolz. Mein Vater öffnete die Badtür und zeigte mir sein Werk: Ein neu gefliestes Bad, neue Armaturen und – am aller wichtigsten – eine komplett in den Boden eingelassene Eckbadewanne. So etwas hatte ich und auch meine Freunde bis dahin nicht gesehen. Erst recht nicht im Osten zu dieser Zeit. Meine Eltern hatten nie viel Geld, aber mein Vater war Klempner und die Badewanne war per Annonce gegen diverse „blaue Fliesen“ (Code für „West-Mark“) eingetauscht worden.

Wenige Monate später fiel die Mauer und wir mussten wegen Rückübertragungsansprüchen – zu Recht – das Haus mit dem wunderschönen Bad verlassen. Für mich als 7-Jähriger ein Stich ins Herz. Bereits einen Monat nach unserem Auszug war das nagelneue Bad herausgerissen, mittlerweile ist das Haus eine unbezahlbare Villa in Bestlage. Heute sind es natürlich ganz andere Gründe, aber fühlt es sich für einen altberliner Mieter nicht genauso an, wenn er nach 40 Jahren plötzlich aus seiner Wohnung muss?

Wir wollten dem sperrigen Thema „Gentrifizierung“ emotionale Figuren geben. Kein erhobener Zeigefinger, kein Befindlichkeits-Drama. Auch wenn der Film tagsüber in einer deutschen Großstadt spielt, orientieren sich Kamera und Licht am skandinavischen Thriller. Wenige, aber ausgewählte Settings. Ein übersichtlicher, aber hochtalentierter Cast. Eine visuell fesselnde Bildsprache, immer dicht an den Menschen, dicht an der Action.

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unseren geringen Mitteln und autark finanziert einen großartigen, emotionalen und sehr relevanten Film gedreht haben. Nahezu täglich lese ich Zeitungsartikel, sehe Nachrichtenausschnitte und lese Blogs, die genau die Schicksale beschreiben, die wir im Film sehen. Nach meinem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg bin ich wieder zurück in meine Heimatstadt Berlin, wohne im Prenzlauer Berg und gehöre damit indirekt selbst zu den Gentrifizierern. Dennoch oder gerade deswegen habe ich dieses Buch verfilmt – mit dem Gefühl, das ich als Kind hatte, und um all den betroffenen Menschen einen Film zu geben.

Gregor Erler
im September 2018

30.07.2020, 10:02

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