In Kooperation mit Neue Visionen Filmverleih

Ein Ort und vier Leben

Vier Mädchen, vier Zeiten, ein Hof: Ihr Alltag verschmilzt zu einem Strom aus Erinnerungen, Wiederholungen und inneren Bildern. Ein Film über das Unsichtbare, das uns prägt – Spuren der Vorfahren, flüchtige Momente, ein ewiger Sommer im Jetzt

Foto: Neue Visionen Filmverleih

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In die Sonne schauen

In die Sonne schauen

Mascha Schilinski

Drama

Deutschland 2025

149 Minuten

Ab 28. August 2025 im Kino!

In Kooperation mit Neue Visionen Filmverleih

In die Sonne schauen

Vier Mädchen, jede lebt in einer anderen Zeit, vom letzten Jahrhundert bis zur Gegenwart, am selben Ort: einem Vierseitenhof in der Altmark. Durch ihre Augen erfahren wir direkte Einblicke in ihren Alltag. Doch so unterschiedlich ihre Leben auch sind, hinter ihrem assoziativen Bilderstrom werden immer mehr Zusammenhänge sichtbar, Muster von Wiederholungen. Vier Jahrzehnte Sommer, die allmählich zu einem ewigen Sommer verschmelzen, einem ewigen Jetzt. Es geht darum, was in uns durch die Zeiten hindurch lebt, uns bestimmt und uns vielleicht sogar aus der Zeit heraus, aus der Zukunft anblickt.

Nach langer Recherche ist ein Drehbuch entstanden, dass die inneren Erlebnisse dieser vier Mädchen erforscht. In freier Assoziation springt der Film zwischen den unterschiedlichen Zeiten vor und zurück, fängt bruchstückhaft die persönlichen Alltagsbeobachtungen und Erinnerungsfragmente der Figuren ein. Es ist, als ob wir mitten in ihr Leben hineingeworfen werden, als ob wir direkt durch ihre Augen sehen könnten. Nach und nach wird das Filmmaterial vor unseren Augen zu einem kollektiven Erinnerungsstrom zusammengefügt. Eine Art physische Erinnerung an die Vorfahren wird greifbar. Bilder vergangener Erlebnisse tauchen plötzlich als verzerrte Re-Inszenierungen in anderen Zeiten auf und versetzen die Figuren in einen Déjà-vu-ähnlichen Rausch. Mich reizte besonders, dass der Film mit der Möglichkeit spielt, die einem im echten Leben verwehrt bleibt: Einen Blick hineinzuwerfen, in ein Davor und ein Danach.

Es geht auch um die Frage, was eventuell in unseren Körpern eingraviert ist, was vielleicht lange vor unserer Geburt geschah. Die kleinen Momente dazwischen. Die leisen inneren Beben, die im Verborgenen geschehen, die stets unentdeckt bleiben, weil es keine Worte für sie gibt. Momente, in denen die Figuren aus dem Benennbaren dieser Welt herausfallen, nicht mehr wissend, ob sie den Moment nur geträumt oder wirklich erlebt haben. Es ist interessant, wo sich etwas im Leben der Filmfiguren im Körper verselbständigt, auf das sie keinen Zugriff haben. Wo etwas geschieht, dass sie sich nicht erklären können.

Meine Ko-Autorin Louise Peter und ich trugen im Vorfeld Phänomene und Geschichten zusammen, die in den letzten Jahren unsere Aufmerksamkeit fanden: Ein Kind träumt Dinge, die es gar nicht erlebt haben kann, die aber eins zu eins Kindheitserlebnisse des Vaters sind. Ein kleiner Junge, der allein zu Hause auf einem großen Hof ist, rennt, vom lauten Knall einer Explosion erschreckt, quer durch den Wald und die anliegenden Felder. Er wird später viele Kilometer entfernt unter einer Brücke zusammengekauert gefunden, die Jahrzehnte zuvor Mitgliedern seiner Familie als Versteck in den letzten Gefechten des Zweiten Weltkriegs diente. Er selbst war aber vorher noch nie an diesem Ort. Ein Mädchen arbeitet in einer Therapie einen sexuellen Missbrauch auf, und es stellt sich heraus, dass nicht sie ihn erlebt hat, sondern ihre Mutter in ihrer Kindheit. Eine junge Frau hat über Jahre hinweg dieselben Bauchschmerzen wie ihre Mutter und Großmutter, organisch ist aber alles in Ordnung. Ein Mann aus der DDR, unternimmt die erste Westauslandsreise seines Lebens nach dem Mauerfall und fährt nach Frankreich, landet zufällig in einem kleinen Dorf, wo er seine Ferien verbringt. Dreißig Jahre später erfährt er, dass sein Vater nicht sein Vater war und er ein Kuckuckskind ist. Sein leiblicher Vater war ein französischer Soldat und hat zeitlebens in dem kleinen Dorf in Frankreich gelebt, in welchem der Mann ausgerechnet seinen ersten Urlaub machte...

Erlebnisse und Konfrontationen mit solchen Phänomenen waren die Ausgangspunkte für unsere Geschichte. Es sollte ein Gefühl entstehen, als hinterließen die Erlebnisse unserer Vorfahren in unseren Körpern Spuren. Wie sehr bestimmt uns etwas, das sich lange vor unserer eigenen Geburt abgespielt hat? Der Film will mit der Suche durch die Zeiten ein Gefühl für die Ahnen erzeugen, die Dimension innerer Geister untersuchen, immer mit dem Gedanken, dass irgendwas im Dunkeln bleiben wird, so sehr wir auch das Bedürfnis nach Aufklärung und Erklärung haben. Aber auch losgelöst von familiären Ahnenbezügen hat mich – aufgewachsen in einer typischen Berliner Altbauwohnung – schon als Kind die Frage beschäftigt, wer vor einem in den Räumen gelebt hat, in denen man zu Hause ist. Was hat sich hier ereignet? Was hat der Mensch, der früher hier stand, gedacht und gefühlt?

Schon in meinem letzten Film Die Tochter hat mich der kindliche Blick auf die Welt, sowie ein haptisches Erzählen, eine Konzentration auf sinnliche, körperliche Wahrnehmungsmomente interessiert. In diesem Film wollte ich das filmische Betasten physischer Erinnerung noch weiter treiben. So waren beim Schreiben des Drehbuchs zentrale Motive immer wieder die leisen, fast nebensächlich wirkenden Momentaufnahmen, in denen das Bild in etwas wie den Puls der Figuren hineinkriecht, wie das Flirren von Sonnenlicht hinter Augenlidern. Es ist dieses nicht Greifbare, Schwebende, Ambivalente, das mich erzählerisch interessiert und nicht eine historisch genaue, epochale Narration. Es ist eine Geschichte, die uns die Möglichkeit gibt, durch die teils radikal subjektiven Perspektiven von vier Mädchen das erste Aufkeimen des Erwachsenwerdens zu unterschiedlichen Zeiten erfahrbar zu machen. Es ist für mich aber auch ein Film über das Ineinandergreifen von Vorstellung und Erinnern an sich, als Phänomen unserer Identitätsbildung.

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