Das Geheimnis der Wüste – Die Nazca-Linien
Wer sich nicht in den nächsten Flieger nach Peru setzen möchte, kann sie auch vom Schreibtisch aus bestaunen – denn auch auf Satellitenbildern in Navi-Apps sind sie deutlich sichtbar: die Nazca-Linien. In der Geröllwüste zwischen Pazifik und Anden, rund 450 Kilometer südlich von Lima, haben Menschen vor Jahrtausenden eines der größten Rätsel der Menschheitsgeschichte hinterlassen: riesige Bilder und Kilometerlange Linien, mit mathematischer Präzision in den Wüstenboden gescharrt: bis zu 20 Kilometer lange Linien, Dreiecke und trapezförmige Flächen sowie Figuren mit einer Größe von etwa zehn bis zu mehreren hundert Metern, darunter Abbilder von Menschen, Affen, Katzen, Spinnen, Vögeln oder Walen.
Inmitten der trockenen Pampa, wo manchmal jahrelang kein Regen fällt, schufen die Menschen der Paracas- und der Nazca-Kultur diese sogenannten Geoglyphen, indem sie die oberste, dunkle Gesteinsschicht entfernten und damit den helleren Untergrund freilegten. Die meisten der bislang entdeckten rund 1500 Bilder sind nur aus der Luft oder von gegenüber liegenden Hügeln aus erkennbar. Die frühesten dieser Linien stammen aus der Paracas-Kultur (ca. 800–200 v. Chr.), seinen Höhepunkt erreichte das Schaffen jedoch mutmaßlich in der Blütezeit der darauffolgenden Nazca-Kultur (200 v. Chr. - 450 n. Chr.).
Oft sind die Linien nur wenige Zentimeter tief. Ihre Bedeutung ist bis heute nicht abschließend geklärt. Einige Bilder könnten der Himmelsbeobachtung und der Bestimmung von Kalenderdaten gedient haben. Auch Prozessionswege und Fruchtbarkeitsrituale werden vermutet. Die Nazca waren nicht nur Künstler in der Wüste, sondern auch begabte Ingenieure. Davon zeugen bis heute die Aquädukte von Cantalloc – unterirdische Kanäle, die Grundwasser erschlossen und durch spiralförmige Öffnungen belüftet wurden. Und dann gibt es noch die Pyramiden von Cahuáchi: ein monumentales religiöses Zentrum auf einer Fläche von 24 Quadratkilometern, ein Zentrum des Glaubens und vermutlich eng mit den Linien verbunden.
Benannt sind die Linien, die Wüste und die Kultur nach der unweit der Ebene liegenden Stadt Nazca, ein Ort mit heute rund 23.000 Einwohnern, dem die Linien nicht nur ein historisches Erbe, sondern auch wirtschaftlichen Aufschwung gebracht haben. Trotz Anerkennung und touristischer Nutzung jedoch bleibt der Schutz der Linien eine Herausforderung. Klima, Erosion und unachtsame Eingriffe gefährden das Erbe.
Nachdem Maria Reiche sie im vorigen Jahrhundert vor der Zerstörung bewahrte und 1994 ihre Anerkennung als UNESCO Welterbe erreichte, müssen die Nazca-Linien auch heute noch verteidigt werden. Erst kürzlich verwarf die peruanische Regierung nach Protesten einen Plan, der den illegalen Bergbau Hunderter kleiner Minen in der Nazca-Wüste legalisiert hätte.
Die Nazca-Linien sind mehr als nur archäologische Spuren. Sie sind Botschaften aus einer anderen Zeit – stumm, monumental und geheimnisvoll. Sie erzählen vom Drang des Menschen, seine Welt zu ordnen, zu deuten, vielleicht auch zu verzaubern. Wer sich ihnen nähert, spürt: Diese Linien führen nicht nur durch die Wüste, sondern auch tief in unsere Vorstellungskraft. Und ihre Erforschung ist noch lange nicht abgeschlossen: Erst vor einigen Monaten wurden mit Hilfe von KI Hunderte neue Bilder im Wüstenboden entdeckt.
Maria Reiche – Bewahrerin der Nazca-Linien
Maria Reiche wurde 1903 in Dresden geboren. Sie studierte Mathematik, Physik und Geografie an der Technischen Hochschule Dresden und legte 1928 ihr Staatsexamen ab. 1932 verließ sie Deutschland und nahm zunächst eine Stelle als Hauslehrerin beim deutschen Konsul in Peru an. 1934 ging sie nach Lima und gab Sprach- und Gymnastikunterricht, ehe sie 1937 eine Sprachschule eröffnete. In Lima lernte Maria Reiche die US-Amerikanerin Amy Meredith kennen, die zunächst eine enge Freundin und später ihre Lebenspartnerin wurde.
Ab den 1940er Jahren begann Reiche mit der systematischen Vermessung der Nazca-Linien. Reiche vermutete, dass die riesigen Zeichnungen astronomischen Zwecken dienten – etwa als Kalender zur Markierung von Jahreszeiten oder Himmelsereignissen. Um die Muster klarer zu erfassen, säuberte sie jahrelang die erodierten Linien behutsam mit einem Reisigbesen und machte sie schließlich durch Luftaufnahmen weltbekannt.
Maria Reiche setzte sich zeitlebens dafür ein, die Nazca-Linien vor Zerstörung zu bewahren. Durch ihren hartnäckigen Einsatz wurde das Nazca-Gebiet 1973 unter Schutz gestellt, 1994 erhielten die Linien den Status eines UNESCO-Welterbes. Maria Reiche lebte bis zu ihrem Tod, 1998, in einer einfachen Hütte am Rand der Wüste, neben der sich heute ihr Grab befindet.