„Kann man selbst das Monster werden?“

Kommentar Mit „Plan A“ widmen sich die Regisseure einem lange verschwiegenen Thema: der jüdischen Rache. Zahllose Interviews haben sie die Zerrissenheit der Überlebenden verstehen lassen. Ihr Film soll auch die Erinnerung an den Holocaus aufrechterhalten
Abba (Ishai Golan, r.) will Max (August Diehl, l.) unbedingt für seine Rache-Aktion gewinnen.
Abba (Ishai Golan, r.) will Max (August Diehl, l.) unbedingt für seine Rache-Aktion gewinnen.

Foto: CAMINO FILMVERLEIH 2021

Wie bei den meisten Familien von Holocaust- Überlebenden in Israel, so ist auch unsere Familiengeschichte voll unmenschlicher
und grausamer Geschichten über enge Familienmitglieder, die von den Nazis ermordet wurden. Als Kinder erlebten wir diese Erzählungen, als ob permanent große und dunkle Schatten über uns lagen. Aber es gab auch Geschichten in unserer Familie, die nicht von Vernichtung handelten. Diese wurden eher hinter vorgehaltener Hand erzählt. Es waren Geschichten von Vergeltung. Diese ambivalenten Rachegeschichten wurdennie wirklich erzählt und das nicht nur in unserer Familie. Und so wurden sie weder wirklich Teil unserer persönlichen familiären Vergangenheit, noch unseres nationalen Geschichtsbildes.

Wir stammen aus einer Familie von Filmemachern. Schon früh wussten wir, dass das auch unser Weg sein würde. Wir empfinden es als unsere wichtigste Aufgabe, diese beinahe „inoffizielle“ Seite der Geschichte zu erzählen. Die Zeit ist JETZT reif. Weder unsere Großeltern noch unsere Eltern waren dazu in der Lage. Aber wir,als dritte Generation, MÜSSEN es tun. Es geht um ein Thema, das über all die Jahre nicht beleuchtet wurde: jüdische Rache. Es ist wichtig für uns, die Generation unserer Großeltern so zu zeigen, wie sie WIRKLICH war. Menschen, die durch die Hölle gegangen waren, alles verloren hatten und die sich verzweifelt nach Gerechtigkeit und Vergeltung sehnten. Auch wenn sie sich entschieden, ihr Leben nach den Konzentrationslagern voller Leidenschaft und Liebe zu leben.

Im Rahmen unserer Recherche für den Film führten wir stundenlange Interviews mit Überlebenden der Nakam-Gruppe, die eine aktive Rolle in diesem monströsen Racheplan spielten. Wir erlebten Menschen mit einem moralischen Gewissen und einem hohen Ausmaß von Selbstreflektion über die Situation, in der sie sich vor vielen Jahren befunden hatten. Einer Situation, in dersie sich mit Rache anfüllten, um überhaupt weiter existieren zu können. Während wir immer tiefer in die Seelen dieser Menschen eintauchten, wurde uns klar, wie schwierig es für sie wurde, unschuldige Menschen zu töten, um den Tod ihrer Familien zu rächen.

Vitka Kovner (die weibliche Hauptrolle ANNA ist an sie angelehnt) sagte, die Rache würde sie „innerlich auffressen“. Es war spannend und bewegend vonden emotionalen Konflikten zu hören, die Mitglieder der Gruppe bei der Planung, Vergeltung zu verüben, dennoch empfanden. Dieser Konflikt ist der dramaturgische Antrieb, der uns in dieser Geschichte fasziniert hat. Kann man selbst das Monster werden? Wir erzählen die Geschichte einer terroristischen Splittergruppe, deren Pläne die Hagana zu vereiteln versucht. Nichts soll die Chance auf einen eigenen Staat gefährden. Die Haltung der Figur MICHAEL und der Hagana spiegelt auch die Meinung der jüdischen Gesellschaft wider: Die wahre „Rache“ des jüdischen Volkes ist der Aufbau eines eigenen Staates und darin ein möglichst erfülltes Leben in einer Familie zu leben.

Die Erinnerung an den Holocaust aufrecht zu halten ist eine Aufgabe und große Verantwortung, die unsere Generation sehr bald schon alleine tragen wird, da es nicht mehr viele Überlebende gibt. Die Erinnerungskultur wird also nur noch aus weitergegebenen Erinnerungen genährt werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass jede Generation ihre ganz eigenen Filme machen muss, um das Thema am Leben zu erhalten, um die Toten des Holocaust zu ehren und für die Zukunft daraus zu lernen.

Während der Arbeit an diesem Projekt haben wir viel Zeit in Deutschland verbracht und Seite an Seite mit tollen Menschen gearbeitet. Es wärmt unser Herz und ist eine ganz besondere Erfahrung für uns als israelische Juden, wie leidenschaftlich und engagiert unser deutsches Team mit uns an diesem Film gearbeitet hat. Wir fühlen uns geehrt, gemeinsam die Geschichte der tapferen Menschen zu erzählen, die schließlich das Leben gewählt und sich gegen Rache und Zerstörung entschieden haben. Ein Blick auf die Weltlage zeigt uns, dass unsere Geschichte sehr aktuelle Elemente beinhaltet.

– Doron und Yoav Paz, Regisseure von „Plan A – Was würdest du tun?“

05.12.2021, 14:43

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