Abbild einer Zerreißprobe

Kommentar Regisseur Todd Haynes über die Hintergründe seines Kinofilm „Vergiftete Wahrheit“. Ein Film, der versucht das komplexe Bild einer amerikanischen Landschaft zu zeichnen, in dem die Verteilung der Wirtschaftsmächte scheinbar klar gegliedert ist ...
Rob Bilott (Mark Ruffalo)
Rob Bilott (Mark Ruffalo)

Foto: TOBIS Film

Man bekommt nicht jeden Tag ein Geschenk von Mark Ruffalo überreicht, aber genau das war „Vergiftete Wahrheit“ für mich, als es mir angeboten wurde.

Unter seiner Leitung und der Obhut von Participant hatte das Projekt schon volle Fahrt aufgenommen, als ich erstmals damit in Berührung kam. Das war ein Jahr nach dem bahnbrechenden Artikel von Nathaniel Rich im New York Times Magazine. Meine spontane Reaktion auf die Lektüre dieser Geschichte über DuPont und Teflon, denen der hartnäckige Unternehmensanwalt Rob Bilott auf die Schliche gekommen war, war eine Mischung aus Überraschung und Empörung.

Es wären eine Reihe von talentierten Regisseuren in Frage gekommen, um so einen Stoff filmisch umzusetzen, der gespickt ist mit aktuellen Bezügen zu nach wie vor stattfindenden Unternehmersünden und somit von hoher kultureller und politischer Relevanz ist. Aber aus unerfindlichen Gründen dachte Mark dabei an mich.

Dabei konnte er nicht wissen, dass ich insgeheim ein großer Fan dieses Whistleblower- Genres bin. Ich bin nicht der einzige, der Paradebeispiele wie Alan Pakulas „Paranoia- Trilogie“ „Klute, Zeuge einer Verschwörung“ sowie „Die Unbestechlichen“ aus den 1970ern bewundert. Oder spätere Meisterwerke wie „Silkwood“ (1983) von Mike Nichols und „Insider“ (1999) von Michael Mann. Mich fasziniert gar nicht mal in erster Linie der thematisierte Machtmissbrauch. (Keiner schaut „Die Unbestechlichen“, um sich über Richard Nixons korrupten Politikstil zu informieren.) Natürlich geht es auch um die Aufdeckung der Faktenlage, wie Unternehmen oder Regierungen massive Vertuschungsstrategien verfolgen und das Recht konsequent beugen. Aber zentrales Anliegen des Whistleblower-Genres ist die Person, die sich dieser geballten Macht entgegenstellt, und der emotionale, psychologische und oft sogar lebensbedrohliche Prozess, den sie dabei durchlaufen muss, während sie die Wahrheit ans Licht bringt.

In „Vergiftete Wahrheit“ bildet ausgerechnet der Unternehmensanwalt Rob Bilott den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Im Lauf der Enthüllungen wird seine Einschätzung der DuPont-Unternehmenspraktiken regelrecht auf den Kopf gestellt. Wie viele klassische Whistleblower ist Bilott von Natur aus argwöhnisch, unparteiisch und zurückhaltend, was ihn per se zu einem Einzelkämpfer macht. Diese Isolation nimmt im Lauf der Ereignisse weiter zu. Dieses Stigma wird gespiegelt in Wilbur Tennant, der die ganze Geschichte ins Rollen bringt. Die unsichtbare Bedrohung hängt wie ein Damoklesschwert über dem Netzwerk aus unabhängigen Mitstreitern, hinweg über Klassenunterschiede sowie Grenzen zwischen öffentlichem, privatem und kirchlichem Leben. Aber sogar ein so breit aufgestelltes Widerstandsbündnis droht im Kampf mit den Mächtigen an die Grenzen des Erträglichen zu geraten. „Vergiftete Wahrheit“ zeigt minutiös, welche Phasen so eine Zerreißprobe durchläuft.

Ich habe den Film zusammen mit einem inspirierenden Team vor Ort in Cincinnati und West Virginia während eines bitterkalten Winters gedreht. Uns standen mehrere Originalschauplätze zur Verfügung. Unsere brillante Schauspielerriege wurde ergänzt durch Schauspieler aus der Region. Der kühl-distanzierte visuelle Stil verbindet die kontrastierenden Locations und zeigt das komplexe Bild einer amerikanischen Landschaft, in der die Verteilung der Wirtschaftsmacht klar gegliedert ist, obwohl sie in dieser Geschichte mit ihren Grenzen konfrontiert wird.

Gerade solche Widersprüche oder unwahrscheinlichen Faktoren machen so einen Fall wie den von Wilbur Tennant und die daraus resultierende Sammelklage überhaupt erst möglich. Dazu zählt auch, dass Unternehmensanwalt Bilott von Berufs wegen Chemieriesen wie DuPont verteidigt, aber unvermittelt die Seiten wechselt und somit über die notwendigen

Ressourcen verfügt, um so einen Fall erfolgreich abschließen zu können. Ohne die Zustimmung seiner Kollegen Tom Terp und der Kanzlei Taft Law wäre das nie möglich gewesen. Auch nicht ohne die Hartnäckigkeit eines Wilbur Tennant oder Joe Kiger, das medizinische Kontrollsystem in West Virginia oder die über Bundesstaatengrenzen hinweg gültige Gesetzgebung von Ohio und West Virginia. Zusammen mit der Unterstützung von Robs Frau Sarah sind dies entscheidende Faktoren, ohne die so eine erstaunliche Wendung nicht möglich gewesen wäre und die Gefahren einer langlebigen Risiko-Chemikalie wie PFOA nie publik gemacht worden wären.

Aber solche Filme enden selten mit einem uneingeschränkten Triumph, immerhin basieren sie auf realen Begebenheiten. „Vergiftete Wahrheit“ ist da keine Ausnahme. Anstatt den Sieg als Höhepunkt zu feiern, zeigt er den Akt des Kämpfens als latente Grundlage unseres Lebens, das zwischen Wissen und Verzweiflung oszilliert. Dadurch wird die Geschichte universell.

„Vergiftete Wahrheit“ beginnt als regionaler, nationaler Umweltskandal und endet mit dem Wissen um das globale Ausmaß dieser Menschenleben gefährdenden Umweltvergiftung. Er zeigt uns auf, wie sehr der Mensch sich nicht mehr als Teil des Planeten begreift und gleichzeitig zum Opfer kapitalistischer und ideologischer Systeme wird. Doch wir alle sind Teil dieser von Menschen herbeigeführten Katastrophe. Unser Wissen und unser Bewusstsein verbindet uns alle so wie es Rob mit Wilbur und Taft Law mit Parkersburg, West Virginia, verbunden hat – in dem nie endenden Kampf für Gerechtigkeit und unser Überleben.

07.10.2020, 15:40

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