LINKSARISTOKRATISCHE PROVOKATIONEN EINES SOZIALISTISCHEN EREMITEN In seinen "Gedichten" ist für Peter Hacks die Liebe und die Sowjetmacht nur gemeinsam darstellbar
Man sollte nicht zögern, den Schriftsteller Peter Hacks, der seit 40 Jahren sein beträchtliches literarisches Talent in die klassizistische Denkmalspflege des Sozialismus investiert, als mittlerweile alleinigen Inhaber des Landesrekords in politischer und literarischer Dissidenz auszuzeichnen. Denn mit seinen Gelegenheitsgedichten des Zyklus' Jetztzeit, die er von 1998 an in der Zeitschrift konkret, der unerschütterlichen Trutzburg für Sozialismus-Apologetik, veröffentlichte, ist es ihm gelungen, alle jene Positionen zu besetzen, die gemeinhin als indiskutabel und semi-kriminell gelten. Die Edition Nautilus hat nun die Jetztzeit-Gedichte zusammen mit dem älteren lyrischen Âuvre von Hacks: also den Liedern zu Stücken, den Balladen und Gesellscha
n, den Balladen und Gesellschaftsversen im sechsten Band der Hacks-Werkausgabe gebündelt - und siehe da: die jüngsten poetischen Erzeugnisse von Hacks markieren nur die Radikalisierung einer älteren politischen Obsession.In seinen polemischen Verslein, die ein hohes Maß an Reimschmiedekunst bezeugen, geriert sich Hacks ein bisschen als ein Stefan George von links, freilich unter Verzicht auf eine devote Jüngerschar, die zur Anbetung des Meisters bereit wäre. denn einen ehrfürchtigen Dichterkreis wird Hacks für seinen ästhetischen wie politischen Extremismus nicht mehr finden können. Was er in seinen leichthändigen Heinrich-Heine-Liedern und Volksliedstrophen an politischen Überzeugungen ausbreitet, wird man nur als Resultat einer selbst gewählten Verblendung wahrnehmen können. Und dennoch ist sein provozierender sozialistischer Eskapismus nicht ohne Reiz.Kein deutschsprachiger Autor der Gegenwart hat mit ähnlicher Konsequenz und Halsstarrigkeit an einer politisch obsoleten Position festgehalten, keiner hat so sehr mit der Pose eines absoluten Nonkonformismus kokettiert wie eben Peter Hacks. Diese Brüskierung des politischen und literarischen Konsensus hat in seiner Werkgeschichte eine lange Tradition. Als in der DDR schon die erste Massenflucht einsetzte, entschloss sich der Münchner Jung-Dramatiker 1955 zur Übersiedlung in seinen sozialistischen Wunschstaat. Als in den 60er Jahren die Kulturpolitiker der DDR nach langen Krämpfen die literarische Moderne und den Expressionismus entdeckten, verschrieb sich Hacks der Klassik. Das Ende der DDR kommentierte er dann mit schrillen Sinnsprüchen, die in ihrem unvergleichlichen Misslingen fast schon wieder interessant klingen: Wer war der, der vom meisten Blute troff? / Wars Churchill, Hitler oder Gorbatschow? Was Hacks in seinen luziden Volksliedstrophen und boshaften Knittelversen aus jüngster Zeit zur Geltung bringt, ist ein linksaristokratischer, ästhetischer Fundamentalismus in Reinform.Zehn Jahre nach dem Kollaps der DDR besingt Hacks die Berliner Mauer als "der Erdenwunder schönstes" und träumt von den heroischen Zeiten, da Väterchen Stalin noch die Geschicke des real existierenden Sozialismus lenkte: Wer kann die Pyramiden überstrahlen? / Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower? / Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen / Der Erdenwunder schönstes war die Mauer. / Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren. / Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren. Den wütenden Aufschrei von allen politisch korrekten Zeitgenossen hat der sozialistische Elfenbeinturmbewohner natürlich schon einkalkuliert. Mit seinem fein entwickelten Sensorium für politisch unpopuläre Fundamentalopposition kultiviert Hacks sein Wunschbild vom sozialistischen Staat als verlorenem Paradiesgärtlein, das nach dem Sturz von Walter Ulbricht ins Verderben geriet. Für den "Rumor" von Bürgerrechtlern und kritischen Sozialismusreformern hatte er schon immer seine poetisch wohlorganisierte Verachtung parat. Schon in der über zwanzig Jahre alten Ballade Die dreißig Tyrannen, eine der zahlreichen historischen Maskeraden des Autors, trifft der grimmige Spott des Dichters die "trüben Emigranten" und "Nörgler von zuhaus".Erzählt wird vom Schicksal Athens, das nach seiner Niederlage im Krieg gegen Sparta erleben musste, wie die beschützende Mauer(!) niedergewalzt und die "Nörgler" und "Emigranten" von den Besatzern mit den Regierungsgeschäften betraut wurden. Dass es mit den neuen "Tyrannen" nichts werden kann, verraten schon die Eingangsverse der Ballade: Leute gabs und gibt es heute, / Die im Dünkel abseits stehen. / Schwache Leute, eitle Leute / Gabs auch in der Stadt Athen. / Damals warens ihrer dreißig, / Die vom Ausland her gewühlt / Oder in der Heimat fleißig / Ihren Sonderwert gefühlt. Man kann schon aus diesen ätzend ironischen Balladen-Tönen die ganze Hackssche Poetik heraus präparieren. Denn sie besteht zum einen aus der literarischen Selbstverpflichtung zur "sozialistischen Klassik", zum anderen aber aus einer radikal hegelianischen Staatsvergötterung, die den Herrscher als Fürsten preist und alle Systemopponenten der Lächerlichkeit preisgibt.Die Staatsvernunft ist bei Hacks stets das Wirkliche, das es gegen unvernünftiges Dreinreden von "im Dünkel abseits stehenden" Eitelkeitssubjekten oder "Bürgerrechtlern" zu verteidigen gilt. Zu den Erben jener dreißig Tyrannen-"Bösewichte" in der Ballade gehören nach Hacks ästhetisch-politischer Vorstellung denn auch jene verdächtigen Existenzen von "Thierse, Schnur und Stolpe" bis hin zu "Schröder, Ull- und Eppelmann", die im viel später entstandenen Gedicht Appell zur Guillotine geführt werden. Der Entschluss zur hegelianisch eisernen, realsozialistischen Standhaftigkeit verwundert ein wenig, war doch Hacks selbst einst in Verdacht geraten, sich "eitler" Abweichung schuldig gemacht zu haben. Als er 1960/61 seine geliebte Wunschheimat mit zwei kritischen und doch linientreuen Zeitstücken beglücken wollte, dankte ihm das die Obrigkeit wenig. Mit den Stücken Die Sorgen und die Macht (1960) und Moritz Tassow (1961) glaubte Hacks auf dem Weg zur Planerfüllung des "Bitterfelder Weges" zu sein. Rasch sah er sich eines sozialistisch Besseren belehrt, als seine Stücke vom Spielplan abgesetzt wurden und er selbst seinen Dramaturgenposten am Deutschen Theater Berlin räumen musste.Als er dann zur Apotheose der sozialistischen Klassik überging, geschah das auch, um seinen dramatischen Antipoden Heiner Müller in die Schranken zu weisen. Auch davon handelt einer seiner späteren Sinnsprüche: Alle abscheulichen Stücke / Schrieb Heiner Müller bereits, alle erhabenen ich. Im gleichen Zusammenhang dieser "Beiseite"-Sprüche findet sich auch ein überraschendes Selbstporträt, das den Dichter als eher unfreiwilligen Opponenten des Staates zeigt: Herzlich schütz ich mein Land, das mich, und von Herzen missbilligt. / Das ist fad. Und doch: fader wärs andersherum.Nach der kurzen atmosphärischen Verstimmung zwischen Staat und Dichter um 1960 entwickelte sich dann aber - zur nicht geringen Irritation der westdeutschen Kritik, die dem bis Mitte der 70er Jahre auf allen deutschen Bühnen omnipräsenten Dramatiker Hacks ihren Respekt zollte - ein Verhältnis von immer größerer "Herzlichkeit". Hacks wurde in der DDR zur Instituion - ohne jedoch auf einschlägigen Schriftstellerkongressen als Bauchredner des Parteidogmas aufzutreten. Das überließ er minderen Geistern. Nur einmal, 1976, ließ sich Hacks aus der tagespolitischen Reserve locken, als er zur Biermann-Ausweisung anmerkte, aufgrund der schauderhaften Verse des "Liedermachers" sei das Vorgehen der DDR-Behörden zu begrüßen. Das hat man ihm im Westen nie verziehen. Seither gefällt sich Hacks in seinem realsozialistischen Trotz und nutzt jede Gelegenheit, mit seiner ganz unironischen Affirmation des Stalinismus die linksliberale Intelligenz aufzuscheuchen.In seiner Werkausgabe der Gedichte findet man zahlreiche Exempel eines ästhetischen Widerstands gegen die "finale Niedergangsepoche", die nach dem Sturz Ulbrichts und erst recht nach der Wende seinem "Vaterland" droht. Auch in seinem Formengebrauch präsentiert sich Hacks dabei als rigider Traditionalist. Den Versuchungen der "modernen Lyrik" und ihrem Fragmentarismus der Formen hat er schon früh abgeschworen, zuletzt in seinen Belinde-Briefen von 1974. Wer nun den lyrischen Hacks mit dieser Werkausgabe kennenlernen will, dem wird 460 Seiten lang die Ansicht des Dichters demonstriert, dass sich ein gelungenes Gedicht vor allem in der "richtigen Handhabung des Versmaßes" und der "Tüchtigkeit der Reime" bewährt.Nicht selten taucht in diesen durchweg reimgestützten Texten Stalin als idyllisierter Übervater auf, der das letzte Refugium vor dem kapitalistischen Elend bietet. In einem der groteskesten Texte des Bandes, den der Autor mit der ihm eigenen Chuzpe den Liebesgedichten zugeordnet hat, erleben wir dann Stalin in einer anakreontischen Szene gemeinsam mit Venus. Sie vergegenwärtigt die nackte Venus beim Bad, auf ihr ruht das wohlgefällige Auge Stalins. Während die Göttin dem All in Sommerheiterkeit / Den Hintern und die weltberühmten Brüste" zeigt, erledigt Stalin seine Schreibarbeit, prüft "Berichte" und erlässt womöglich mehr oder minder tödliche Befehle. Auch diese Form einer stalinistischen Idyllik mit frivolem Witz hat Hacks bewusst bis zur Unerträglichkeit ausgereizt: Gelegentlich läßt er das Auge ruhn, / Das väterliche, auf den prallen Lenden / Der Göttin, die, versunken in ihr Tun, / Ein Bein gewinkelt hebt mit beiden Händen. // Ein milder Glanz geht, eine stille Pracht / Unwiderstehlich aus von diesem Paar. / Die Liebe und die Sowjetmacht / Sind nur mitsammen darstellbar. Selbst in der sozialismusseligen Konkret empfanden einige Leser dieses "Stück stalinistischer Seniorenerotik" als Zumutung. Und tatsächlich sind diese alten und neuen Reimarbeiten des Peter Hacks nur als linksdandyistische Provokationen eines sozialistischen Eremiten goutierbar.Peter Hacks: Die Gedichte. (6. Band der Werkausgabe). Edition Nautilus, Hamburg 2000, 480 S., 68,- DM
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