Peter Strieders Stuhl wackelt. Wenn der Parteivorsitzende der Berliner SPD am Wochenende zur Wiederwahl antritt, muss er sich mit zwei Gegenkandidaten auseinandersetzen, von denen einer, der mittelstandsfreundliche Linke Stefan Grönebaum, nicht ohne Aussichten ist. Business as usual? Nein. Denn da geht es auch um übergeordnete Fragen. Da scheint einer, der das gar nicht will, nämlich Strieder, die Kreise des Bundeskanzlers zu stören und wird deshalb vielleicht unschuldig geopfert.
Bestimmt versteht Strieder die Welt nicht mehr. Er sieht doch wie der geborene Gefolgsmann des Kanzlers aus. Tut dieser glatte Funktionärstyp mit Zigarre denn nicht alles, um es dem rechten Flügel der Bundes-SPD recht zu machen? Nachdem die Berliner SPD nach der letzten Landtagswahl n
en Landtagswahl nochmals und nun auf 22,4 Prozent abgerutscht war, hat er sie wiederum in die Große Koalition mit Eberhard Diepgens CDU geführt. Diese Dauerkoalition galt und gilt zwar als Grund der Kette immer schmerzlicherer Wahlniederlagen, aber was sollte er machen: eine Alternative hätte es nur mit der PDS gegeben, mit der aber wollen die Rechten nichts zu tun haben. Außerdem hat er auf seine Art aus der letzten Wahlniederlage gelernt. Die Rechten hatten ja vorher geglaubt, mit der Finanzsenatorin Fugmann-Heesing die große Trumpfkarte ausgespielt zu haben. Eine sparende und gesundschrumpfende, die CDU-Politik ein- und überholende SPD-Politikerin wollte sie sein, eine Frau mit Sachzwangverstand, eine Hans-Eichel-Vorbotin auf Landesebene gewissermaßen. Aber es wurde der Hauptstadt-SPD nicht gelohnt. Und nun dachte Strieder, dem Image würden die Senatorenämter für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen sowie für Verkehr und Umweltschutz, die er in Personalunion übernahm, vielleicht doch besser bekommen. Als aber erste Anzeichen darauf deuteten, dass seine Wiederwahl zum Landesparteivorsitzenden gefährdet sein könnte, entschloss er sich, seine Kandidatur mit dem Vorschlag zu verbinden, Frau Fugmann-Heesing solle eine seiner Stellvertreterinnen sein. Diese wiederum erklärte, sie übernehme das Amt nur bei Strieders Wiederwahl.So weit, so gut - aber Strieder hat das System Schröder nicht verstanden. Ist Schröder denn ein Parteirechter? Dagegen spricht einiges, angefangen mit seinem kurvigen Werdegang. Schröder regiert ohne Mitsprache seiner Partei, ob man in dieser nun Flügel unterscheidet oder nicht. Wenn's der Machterhaltung dient, bindet er gern auch eher linke Minister wie Klimmt ins Kabinett ein. Keineswegs will er die Macht nur verteidigen, sondern baut sie aus, indem er die Politik der Bundes-CDU übernimmt, um sie überflüssig zu machen. Das ist der Punkt, in dem die Berliner Parteirechten auf seiner Seite zu stehen glauben. Sie folgen der CDU ja auch. Aber Schröder tut das mitnichten. Er will die CDU durch seine eigene Partei, die er zum SPD-Simulacrum ummodelt, weitgehend ersetzen. Folgen und Ersetzen ist nicht dasselbe. Er strebt keine Große Koalition an, vielmehr die Alleinregierung.Damit nicht genug, steht auch die desolate Lage der Hauptstadt-SPD seiner Machtentfaltung im Weg. Man könnte sich zwar vorstellen, dass er es nicht so wichtig findet, ob in Berlin nun auch noch der Bürgermeisterposten von einem Parteifreund besetzt ist oder nicht. Aber warum hat er dann den Kulturbeauftragten Naumann berufen? Die Kulturhoheit liegt bei den Ländern. Ein Kulturbeauftragter des Kanzlers kann sich trotzdem in Fragen der Hauptstadtkultur engagieren. Naumann hat beim Mahnmal für die europäische Judenvernichtung mitzusprechen versucht. Er befürwortet den Wiederaufbau des preußischen Stadtschlosses. Aus dem Finanzzuschuss des Bundes für die Hauptstadt leitet er überproportionale Mitspracherechte ab. Mitte Mai aber sind Pläne des Kanzleramzs bekannt geworden, ihn als nächsten Bürgermeisterkandidaten der Berliner SPD aufzubauen. Dafür wurde er von Strieder, der sich selbst in dieser Rolle sah, am Rand einer Ausstellungs-Eröffnung mit starken Worten ("Dreck", "Scheiße") vor Zeugen angepöbelt.Der Mann begreift nicht, wie man das macht: die CDU ersetzen und ihre Politik fortsetzen. Man muss doch dann mit der Wut der eigenen Stammwähler rechnen. Denen mit Frau Fugmann-Heesing zu kommen, ist kaum der richtige Weg. Die Stammwähler mit symbolischer Politik zu beschäftigen, ist besser. Gerhard Schröder hat deshalb für die deutsche Ausrichtung der Fußball-WM 2006 gekämpft. Das Endspiel wird in Berlin stattfinden. Die unmittelbare Folge ist, dass der Stadtentwicklungssenator nach einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Klimmt den Bau der "Kanzler-U-Bahn" zurückstellt, um erst einmal das Berliner Olympiastadion kostspielig zu erneuern. Da sieht man wieder, wie er Schröders Wünsche doch ausführt. Und auch den Wiederaufbau des Stadtschlosses könnte er so gut wie Naumann vorantreiben. Aber Naumann ist überzeugender.Strieder mag noch so sehr der CDU folgen, niemals wird man ihn deshalb für überparteilich halten. Leute seines Schlages werden immer als SPD-Funktionäre gelten, die alles mitmachen, um nur ein Amt ergattern oder festhalten zu können. Naumann kann das "Ich kenne keine Parteien mehr" des Kanzlers viel besser ausstrahlen. Er dürfte auch bei nicht wenigen CDU-Wählern ankommen. Wie wichtig das ist, zeigt gerade die Stadtschloss-Frage. Dass Strieder überhaupt Stadtentwicklungs-Senator werden konnte, verdankt er auch der Unzufriedenheit von CDU-Wählern über seinen Vorgänger Kleemann. Vor ein paar Wochen wurde das Thema in der Jahreshauptversammlung der Gesellschaft Historisches Berlin diskutiert. Kleemann habe die Erwartungen bezüglich des Schlosses nicht erfüllt, hieß es, und das habe man Eberhard Diepgen auch gesagt. Und überhaupt komme in der Stadt wegen der Dauerkoalition mit der SPD nichts mehr voran. Deshalb will Anette Ahme, die Sprecherin der Gesellschaft, in den nächsten Monaten eine neue Berliner Partei mit dem Profil einer Bürgerbewegung gründen, wie dergleichen bei Wahlen in südlichen Stadtbezirken schon erfolgreich war. Die SPD wird sich über die Entwicklung freuen. Statt aber nur der Spaltung der CDU zuzusehen, kann sie mit einem Bürgermeisterkandidaten Naumann viele Menschen, die als Wähler der neuen Partei infragekommen, zu sich selbst hinüberziehen.Im Übrigen ist auch eine andere Entwicklung geeignet, Strieder das Wasser abzugraben. Wie gesagt, der Kanzler ist über "rechts" und "links" erhaben. Wenn er will, dass die SPD schon nach der nächsten Hauptstadtwahl den Bürgermeister stellt, reicht es nicht, einen überparteilichen Kandidaten aufzustellen. Er muß auch grünes Licht für eine Koalition mit der PDS geben. Die entsprechende Umorientierung ist kürzlich schon erfolgt. Auf einem bewusst medienwirksam inszenierten Treffen tauschten sich Klaus Wowereit, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Abgeordnetenhaus, und Gregor Gysi, der Fraktionsvorsitzende der PDS im Bundestag, darüber aus, dass sie die Zusammenarbeit ihrer Parteien nun beide nicht mehr ausschlössen. Schröders SPD hat keine Zeit zu verlieren: Schon Ende des Jahres will sie den Bezirksbürgermeisterposten im neuen Bezirk Mitte besetzen, weil der so symbolträchtig ist, und braucht dazu PDS-Unterstützung.Vielleicht kann Strieder sich am Wochenende noch einmal knapp behaupten. Zwar hat er bei Vorwahlen in den Bezirken zum Teil herbe Niederlagen eingesteckt. In Spandau bekam er nur zwei von 29 abgegebenen Stimmen. Diese Vorwahlen gelten aber nicht unbedingt als aussagekräftig. In ihnen wird jetzt Wut über die Große Koalition abgelassen, deren Symbolfigur auf sozialdemokratischer Seite Strieder geworden ist. Doch selbst wenn er es noch einmal schafft, andere arbeiten schon am vorzeitigen Ende der Großen Koalition. Spätestens dann wäre Strieders Zeit abgelaufen.
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