Der Ort konnte kaum symbolischer sein. Als sich Bundesregierung und Angehörige auf der Expo in Hannover zum Gedenken an die Opfer des Concorde-Absturzes bei Paris versammelten, wurde auf dem Freizeitpark des Technooptimismus einer seiner letzten »Weißen Riesen« zu Grabe getragen, eines jener gescheiterten technologischen Großprojekte und Investitionsruinen, denen die Hybris der Utopien des 20. Jahrhunderts an der Cockpitschnauze anzusehen war. Im August 1995 hat eine Concorde der Air France die Erde in der damals neuen Weltrekordzeit von 31 Stunden, 27 Minuten und 49 Sekunden umrundet. Kein Wunder, dass der junge deutsche Kunstfotograf Wolfgang Tillmans 1997 in sechzig Bildern den Flug einer Maschine vom Start bis zur Landung festhielt. Als »supermodernen Anac
nachronismus und ein Bild für den Wunsch, Zeit und Entfernung durch Technologie zu überwinden«, bestaunte Tillmans, bislang eher von der vitalistischen Boheme im Technodickicht der Städte als von der technischen Avantgarde in der Freiheit der Lüfte fasziniert, einen unsterblichen Mythos. In seinen Bildern hat er das High-tech-Monster in ein mythisches Lebewesen zwischen Rochen und Fledermaus zurückverwandelt - eine reanimalisierende Camouflage der Technik, der sich auch der Tarnkappenbomber Stealth der US-Luftwaffe bedient.Es gehört zu den abgedroschensten Stereotypen der Kulturkritik, jedem Flugzeugabsturz dräuend das Bild des Ikarus entgegenzuhalten, der mit seinen angewachsten Federschwingen der Sonne zu nahe kam und die Götter herausforderte. Angst verleiht auch Flügel. In der Geschichte der Flugsicherheit haben US-Forscher einen Sicherheitszuwachs vermeldet. Während im Zeitraum von 1970 bis 1978 von einer Million transportierter Fluggäste noch 0,48 Passagiere ums Leben kamen und 0,25 schwer verletzt wurden, sanken diese Zahlen im Zeitraum von 1986 bis 1988 auf 0,18 getötete und 0,07 verletzte Passagiere, trotz der Deregulierung der internationalen Flugmärkte mit ihrem sicherheits prekären Preiskampf. Die internationale Verkehrshochtechnologie ist nicht nur ein apokalyptischer Reiter. Doch der Reifen der Concorde, der beim Start explodierte und womöglich mit seinen auseinanderfliegenden Resten das Triebwerk in Brand gesteckt hat, ist eben auch ein Beweis dafür, dass die vielgerühmte Hochkomplexität der technischen Großsysteme des ausgehenden 20. Jahrhunderts die Bedingung ihres Scheiterns ist. Der kleinste nebensächliche Zwischenfall mit seinen Wechselwirkungen kann zu unübersehbaren Folgen bis zum Systemabsturz führen.Mit einer Symbolwirkung wie bei dem plötzlichen Einsturz der freitragenden Berliner Kongresshalle, dem Banner der transatlantischen Freundschaft, vor 20 Jahren. Aus dem Geist des Krieges geboren, sollte Europas stolzer Vogel mit zweifacher Schallgeschwindigkeit auf die »amerikanische He rausforderung« antworten. Rechtzeitig zum Jahrhundertende hat der Kommunismus des Westens, das Heilsversprechen der Technik, nun auch die Flügel gestreckt. Noch einmal schlugen die Flammen aus dem Nachbrenner des 20. dem 21. Jahrhundert ins Gesicht. Ohne dass die Stichflamme einen Bewusstseinswandel auslösen würde. Längst wird das Unglück wieder unter der Rubrik »Vermischtes« mit exotischen Details und human touch abgehandelt. Und nur weil der militärische Abschirmschild, den sich die USA zulegen wollen, wie eine defensive, nach innen gewendete Flugutopie aussieht, haben seine Konstrukteure den Glauben an die Allmacht der Technik, die die totale Unverwundbarkeit herstellen soll, nicht aufgegeben. Bis auf den Mars soll sie den Menschen tragen.»Das Flugzeug ist wohl eine Maschine - indes welch ein unendlich fein empfindendes Gerät. Ihm danken wir die Entdeckung des wahren Gesichts unserer Erde ... Wir sind frei von der vertrauten Knechtschaft. Das Fenster am Führersitz ist die Linse eines Mikroskops, und mit neuen Augen lesen wir darin die Weltgeschichte« schrieb der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry in seinem Aufsatz: »Das Flugzeug und der Planet«. Doch die Hypertechnik und die Geschwindigkeitssucht der zeitgenössischen Modelle vernichtet gerade diesen Wahrnehmungsvorteil, den das Werk des begeisterten Fliegers spiegelt. Wo Exupéry an den Gesteinsformationen noch die Evolutionsgeschichte ablesen konnte, blickt man heute auf stählerne Tragflächen. Gibt es Wege, der Pathologie von Maximierung, Intensivierung und Beschleunigung zu entgehen, ohne die technische Zivilisation ganz aufzugeben? Vielleicht könnte der kleine Golfball den großen Stahlvögeln ein Beispiel geben. Das vermeintliche Statussymbol ist ein Musterbeispiel dafür, wie man gebremsten Fortschritt durchsetzen kann. Die amerikanische Golf-Assoziation hat nicht nur Mindestgrössen und ein Maximalgewicht, sondern auch eine maximale Flugweite für die Plastikgeschosse festgelegt. Forscher hatten festgestellt, dass noch bessere Technik die Handicap-Bilanz nur unwesentlich verbessern, Ökologie und Sozioökonomie der zum Volkssport aufgerückten Konzentra tions übung aber nachhaltig schädigen könnten.Allzu große Hoffnungen, dass die Essentials eines anderen Fortschitts: Entmaterialisierung, Diversifizierung und Geschmack ausgerechnet beim Globalverkehr Schule machen, sind wenig angebracht. In Paris überlegt man, am Flughafen Charles de Gaulle eine vierte Startbahn zu bauen oder noch einen Flughafen zu errichten. Die Welt hat die Concorde zum Rüstzeug der Globalisierung heiliggesprochen. Sie sieht schon die New Economy scheitern, wenn die Global Players nicht mehr zu den Megafusionsverhandlungen über den Atlantik rasen dürfen, und fordert ein noch schnelleres Nachfolgemodell. Und mit dem längst nicht aufgegebenen Transrapid wartet die nächste Concorde der Schiene. »Macht Schluss mit der Raserei« - mit diesem Slogan wirbt ein deutscher Verkehrsminister im Fernsehen für ein besonneneres Tempo. Da kennt er seine Landsleute schlecht. Mehr als 70 Prozent der Befragten votierten im Internet noch Anfang der Woche gegen ein generelles Startverbot für den Überschalljet. »Der Zeitgewinn zählt«, schrieb jemand und polemisierte gegen Sozialneid und Technikmuffel. Noch fehlt der maßvollen Zivilisation der Zukunft der zusätzliche Kraftstoff für die notwendige Schubumkehr.