Remake einer Retrospektive

Ausstellung Zum 100. Geburtstag schenkt sich das Kunsthaus Zürich Geschichte: Die "Picasso"-Ausstellung, die der Künstler selbst 1932 dort eingerichtet hatte

In Zürich weihnachtet es sehr. Im Hauptbahnhof glitzert eine Swarovski-Tanne, und die Einkaufsmeile Bahnhofstraße wird von einer neuen weihnachtlichen Dekoration illuminiert. Sie trägt den Mädchennamen „Lucy“ und zieht in wechselnden Pastelltönen Leuchtdioden wie Diamanten an Drähten in den Straßenraum. Das ist stimmungsvoll, bringt Weihnachtsmuffel jedoch an die Grenze der saisonalen Belastbarkeit.

Zum Glück besitzt Zürich zurzeit eine Attraktion, die es auch nur dort gibt und deren Pforten sich dem Odeur von Glühwein, Raclette und Heimeligkeit verschließen. Im nüchternen Kunsthaus läuft eine einmalige Schau mit 70 Gemälden und 30 Zeichnungen von Picasso, die es schon mal gab – bedingt ein Widerspruch, denn es handelt sich um Fragmente der ersten Retrospektive des Künstlers, die im Herbst 1932 neun Wochen lang im Kunsthaus zu sehen war – mit 225 Werken.

Nun mag man dem Kurator Tobia Bezzola und seinen Mitarbeitern mangelnde Fantasie oder beifälliges Klopfen auf die eigene Schulter bei der Reanimation eines Museumserfolges aus den dreißiger Jahren vorhalten, beides wäre aber falsch. Zum 100-jährigen Jubiläum zeichnet das Kunsthaus akribisch die Werke, Entstehungsgeschichte und Rezeption der ersten Ausstellung nach, beleuchtet Interessen des Kunsthauses, des Künstlers, seiner Galeristen und Sammler. Die ausgestellten Werke sind – heute wie damals – chronologisch gewichtet.

Konkurrent Matisse

Vor den Bildern aus der frühen Zeit, der Blauen und Rosa Periode, ballen sich die Besucher. Picasso hielt 1932 alle Fäden in der Hand. Er setzte als sein eigener Kurator die Akzente: auf den Kubismus, den Surrealismus, damals seine jüngsten Werke, ebenso wie auf Porträtserien von der Geliebten Marie-Thérèse Walter, die ihm ab 1927 Modell gestanden hatte. Der Katalog listet als „kunsthistorischen Beitrag“ alle 225 Bilder auf. Eine Fleißarbeit, denn 1932 existierte weder eine umfassende Dokumentation mit Fotos, noch gab es eindeutige Bildtitel.

Auf Fotografien von damals waren rund 40 Werke auszumachen. Diese Aufnahmen sind in einer Reminiszenz – neben denen der Picasso-Schau im selben Jahr in der Galerie Georges Petit in Paris – an den Beginn der aktuellen Ausstellung gestellt. Widerspruch soll 1932 die Hängung der Gemälde hervorgerufen haben. Sie wurde als chaotisch empfunden, dabei folgte sie der zeitlichen Entstehung der Werke, in sich gleichzeitig entwickelnden Stilen. In einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung, als Zwischenruf eines Zeitgenossen in einer Vitrine zu entdecken, bezeichnete der Psychologe C. G. Jung den Künstler als „schizophren“.

Die Umstände, die zur Retrospektive des berühmten Malers im Kunsthaus führten, waren schlicht: Picasso konkurrierte mit Henri Matisse, der 1931 seine erste Retrospektive gehabt hatte. Zudem zwang die Weltwirtschaftskrise Künstler und Galeristen zu Kompromissen. Der private Verein des Kunsthauses war ein idealer Partner, aus dessen Ausstellungen heraus Gemälde gekauft werden konnten und dessen damaliger Direktor Wilhelm Wartmann Picasso die Regie überließ. „Bis heute müssen Ausstellungsmacher Opportunisten sein“, schreibt Bezzola dazu lakonisch im Katalog.

Picasso Kunsthaus Zürich. Bis 30. Januar. Katalog: Picasso: Die erste Museumsausstellung 1932, Prestel Verlag, 39,95 Euro. kunsthaus.ch

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