Soll er? Er soll nicht!

KOMMENTAR Streit um Kohls Festrede

Seit Wochen scheint es im Sommerloch kaum Wichtigeres zu geben als die Frage, ob Helmut Kohl am 3. Oktober 2000, dem 10. Jahrestag der deutschen Einheit, in Dresden zu den Festrednern zählt. Der Exkanzler kann, wie so oft, das scheinbare Problem in Ruhe aussitzen. Bei all dem Theater um diese verbale Kulissenschieberei ist jedoch bisher völlig unbeantwortet geblieben, ob Kohl überhaupt reden will. Was hätte er denn im Herbst dem versammelten Fernsehvolk Neues zu verkünden? Dass die einst versprochenen blühenden Landschaften kaum Früchte brachten und wenig Blätter? Dass nicht er den Schlüssel zur Vereinigung in der Hosentasche trug, sondern Michail Gorbatschow? Nicht gerade ein rhetorisches Schlüsselerlebnis. Dass die Welt des Helmut Kohl voller Feinde ist und bleibt, Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf eingeschlossen, der ihn nicht in Dresden haben will? Das können und wollen nur die Angehörigen der Verschwörungstheorienfraktion der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler reinen Herzens goutieren. Aber ihrer sind so viele nicht. Interessant ist indessen die Dringlichkeit, mit der gefordert wird, der schwarze Riese solle reden. Hängt es vielleicht damit zusammen, dass er in anderen Problemfeldern so beharrlich schweigt?

Weshalb es nur einen einzigen Grund gibt, den Männerfreund von Gorbi und Jelzin im Oktober aufs Dresdner Podium zu bitten. Er soll anlässlich des 10. Geburtstages von Zweideutschland endlich die Spendernamen nennen. Damit könnte er speziell den erziehungsbedürftigen Ostdeutschen ein nützliches Lehrstück in Sachen Demokratie bieten. Nämlich, wie man nach hartnäckiger Verstocktheit am Ende zum Herausrücken der Wahrheit geläutert wird. Per aspera ad astra. Kohl würde zur Lichtgestalt des Offenbarungseides, niemand könnte zukünftig an seinem positiven Beispiel vorbei. Komm ins Offene, Freund, möchte man ihm deshalb mit seinem Lieblingsdichter Friedrich Hölderlin zurufen. Kohl und de Maizière, beide ein wenig brüchig geworden in letzter Zeit, ein Dioskurenpaar der problematischen deutschen Geschichte.

Und gerade deshalb soll Helmut Kohl am 3. Oktober nicht reden. Sein Auftritt würde die versammelte Festgemeinde überfordern und zutiefst verunsichern. Das sei den Favorisierern seines Auftritts von Stoiber bis Gysi gesagt. Und außerdem war es Kohl noch immer wichtiger, was hinten rauskommt, und nicht vorne.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden