Zweitling In seinem neuen Buch „Cabo de Gata“ erzählt Eugen Ruge sehr hintersinnig, wie er in der andalusischen Einsamkeit versuchte, ein Schriftsteller zu werden
Am Schluss von Cabo de Gata steht eine kursive Anmerkung: „aufgeschrieben zwischen November 2011 und Dezember 2012“. Was hier am Ende einer schönen Erzählung dem Leser beiläufig noch einmal die Wahrhaftigkeit des Geschriebenen versichern will, enthält auch eine diskrete Botschaft auf ein bedeutsames Ereignis im Leben dessen, der da aufgeschrieben hat.
Einen Monat zuvor nämlich, im Oktober 2011, hatte der in Ostberlin aufgewachsene Schriftsteller Eugen Ruge für sein DDR-Familienepos In Zeiten des abnehmenden Lichts überraschend den Deutschen Buchpreis erhalten. Man kann sich leicht vorstellen, dass sich das Leben des Autors mit diesem Preis schlagartig änderte, so wie man das auf Facebook bisweilen verfolgt, wenn ein Autor wie Jochen Schmid
ein Autor wie Jochen Schmidt, der durch die diesjährige Nominierung für den Leipziger Buchpreis einem größerem Publikum bekannt geworden ist, oder der diesjährige Preisträger David Wagner Alltagsnotizen posten. Sie geben eine Ahnung von der Aufgewühltheit in aufregenden Zeiten, die Meldungen kreativ und beschwingt, schlagartig ungläubig, dann wieder selbstironisch abgeklärt. In ähnlicher Stimmungslage muss sich Eugen Ruge befunden haben. Die nun bei Rowohlt erschienene novellistische Erzählung Cabo de Gata, die völlig unnötig als „Roman“ angepriesen wird, ist just nach dem unerwarteten Erfolg entstanden, den Ruge, Jahrgang 1954, sein Romandebüt eingebracht hat.Es gab eben auch andere, prekäre Zeiten, wie man auf 208 Seiten erfährt. Cabo de Gata blickt etwas mehr als zehn Jahre zurück, Ruges Alter Ego ist 40 Jahre alt und weit entfernt davon, einen internationalen Besteller zu landen, er hat noch nicht einmal einen Stoff, und hätte er ihn, wäre er nicht in dem Gemütszustand, den es zum Schreiben braucht. Es ist Wendezeit in Berlin, und der Erzähler sieht sich unvermittelt zwischen Kellnerinnen, „die BWL oder Politikwissenschaften“ studieren und sich an „sperrmüllartigen Gartenmöbeln“ erfreuen, die „ich damals für eine Übergangslösung hielt, die sich inzwischen aber als eine Art Prenzlauer-Berg-Stil entpuppt hatte“.Cabo de Gata beginnt mit dem Unbehagen an dieser Wendezeit. Während der Prenzlauer Berg zum schnöseligen Edelkiez mutiert mit Leuten, die teure Sonnenbrillen tragen und Mokassins mit hässlichen Troddeln (keine Angst, das ist gut geschildert!), geht auch die langjährige Beziehung in die Brüche. Mit schrulliger Radikalität und Planlosigkeit baut der Erzähler die Brücken zum alten Leben ab. Erst wird das Telefon, dann die Wohnung gekündigt. Fakten müssen her, mit denen sich die Angst vor der eigenen Courage überwinden lässt. Er will zum Beispiel unbedingt die eigene Anschrift abmelden, was in der deutschen Bürokratie nicht möglich ist, ohne einen neuen Wohnsitz anzumelden.Neben dem Aktionismus treiben aber Zufälle die Reise voran, Ruges Alter Ego befindet sich in einem Zustand zwischen Mut, Angst und vorweggenommenem Heimweh. Der einigermaßen initiale Wendepunkt kommt, als er in einem Café hören muss, wie drei schnöselige Typen mit Sonnenbrillen (einer wackelt mit den Troddeln seiner Mokassins) über Marktanteile und Umsätze sinnieren: „Das war, glaube ich, der Moment, da mir der Gedanke kam, diese Stadt (dieses Land, dieses Leben) bis auf Weiteres zu verlassen.“ Ruge beschreibt dies zum Glück nicht in einer memoirenhaften „So war die Wende, so war das, bevor ich berühmt wurde“-Art, sein Alter Ego könnte auch woanders leben, wie Wilhelm Genanzino in Frankfurt am Main zum Beispiel, denn im Grunde geht ja es auch bei diesem Stück Literatur um eine Lebenskrise und nicht um eine Geschichtsstunde.Ausgestattet mit Aussteigerinsignien (Hängematte, Opinel-Messer), die wohl den Drang, doch noch zu kneifen, überlisten sollen, landet der Erzähler nach Wochen in der leer geräumten Berliner Wohnung schließlich in einem spanischen Fischerdorf am südöstlichen Zipfel von Andalusien, mit dem vielverheißenden Namen Cabo de Gata, an dem er „einhundertdreiundzwanzig Tage lang vergeblich versuchte, einen Roman zu schreiben.“Spiel mit KlischeesWir erfahren wenig über diesen geplanten Roman selbst, erzählt wird vom Versuch ihn zu schreiben; es macht also seinen witzigen Sinn, wenn der Erzähler sich gegenüber einem der wenigen Menschen, mit denen er spricht, beiläufig als „Peter Handke“ ausgibt. Es drängt ihn nicht nach Austausch, die Begegnungen lassen wenig zurück. Die Nebensaison ist herb und der Ort unwirtlich. Ruge spielt auch mit Klischees, wenn er in dem Amerikaner, den es in den Ort verschlägt, den typischen Engländer vermutet, sich der typische Engländer dann aber als Amerikaner herausstellt.An seinem Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts wurde kritisiert, dass das DDR-Epos über vier Generationen konventionell erzählt wird. Die Entscheidung der Jury sei „mutlos“ gewesen, schrieb die Süddeutsche Zeitung, man habe einen „Kompromisskandidaten“ gewählt. Und nun? Eugen Ruge erzählt zwar einen Plot, der wenig überraschend ist – 40-Jähriger, der ein wenig an den Spross der linksbürgerlichen Familie aus der Familiensaga erinnert, steckt in der Krise –, er findet dafür aber eine Form, die mit dem Handwerk souverän spielt und immer wieder kleine Ironien einbaut.Henry Millers „Koloss“So wird über amerikanische Literatur räsonniert, die ja zuallererst am Plot interessiert sei. Oder es wird behauptet, es werde nur aufgeschrieben, was der Protagonist erinnere, um aber den Sprechakt „ich erinnere mich“ oder „ich erinnere genau“ so obsessiv oft zu wiederholen, dass man an der Behauptung unproblematischer Erinnerung zu zweifeln beginnt. Der Erzähler sagt auch, dass er nichts nachschlagen will, zum Beispiel bei Wikipedia noch einmal die Handlung des einzigen Romans, den er, von einem Freund empfohlen, im Gepäck hat, Henry Millers Koloss von Maroussi, der ihm nicht gefallen hat. Übernehmen wir also für einmal die Recherche, bei Amazon: „Henry Millers berühmtes Griechenland-Buch entstand 1940, nachdem er im Jahr zuvor fünf Reisemonate in dem mythenträchtigen Land verbracht hatte. Ein faszinierender Erfahrungsbericht, in dem die archaische Landschaft, die Welt der klassischen Mythen von der wilden Phantasie Millers neu belebt und durchtränkt wird. Zugleich liest sich sein Buch als das Dokument eines Reinigungsprozesses, an dessen Ende Miller etwas von der Heimat und dem Frieden erfährt, den zu finden sein ruheloser Geist ausgezogen war.“Ruhelos ist auch der Geist von Cabo de Gata, aber es ist eine postheroische Sinnsuche, während der kein Meer mehr unergründlich tost. Auf Spaziergängen flattert eine gelbe Plastiktüte an den Stacheln einer Agave herum, man stößt auf „seltsame Brachflächen, Unland“. Es gibt Geheimnisse, die Begegnung mit der Katze, die den novellistischen Einschlag markiert, der Sarg am Strand, nur einen Epos gibt die Einsamkeit in diesem Niemandsland selten her, höchstens unverhofft: „Ich erinnere mich auch an eine Art Stolz. Als wäre es eine Auszeichnung, dass ausgerechnet ich es bin, dem dies zuteil wird“.Es ist Eugen Ruges Kunst, den Mythos der Reise zu entzaubern und durch die Tür des Restaurants, in dem er jeden Tag zu Mittag isst, doch ein wenig wieder hineinzuzaubern. Schön, dass die Akte des Erinnerns von einer unprätentiösen Vergesslichkeit sekundiert werden, die Cabo de Gata eine ehrliche Melancholie und Tiefe gibt. Die Widmung zu Anfang des Buches lautet: „Für M. Diese Geschichte habe ich erfunden, um zu erzählen, wie es war.“
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