Vielleicht war Christian Pfeiffer einfach blauäugig, als er sich im Juli 2011 über den einstimmigen Beschluss der deutschen Bischöfe freute: „Es war ein sehr langsamer Prozess“, sagte der Hannoveraner Kriminologe damals, „es gab Ängste und wir mussten Vertrauen gewinnen.“ Doch schließlich war er davon überzeugt, dass die Bischöfe ihm und seinem Team freie Hand lassen würden, um das Ausmaß sexuellen Missbrauchs im Bereich der katholischen Kirche „ohne Scheuklappen“ zu untersuchen.
Sei es nun, dass Pfeiffer die Bischöfe unterschätzt oder sich selbst überschätzt hat im Umgang mit ihnen: Seit vergangener Woche jedenfalls ist das Tischtuch zwischen seinem Auftraggeber, der katholischen Bischofsko
Bischofskonferenz, und dem niedersächsischen Forschungsinstitut, dem Pfeiffer vorsteht, zerschnitten. Die in der Konferenz zusammengeschlossenen 27 Diözesen der katholischen Kirche in Deutschland haben die Zusammenarbeit aufgekündigt und den Vertrag „aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung“ gekündigt.Worin der „wichtige Grund“ bestanden hat, wird unterschiedlich interpretiert. Offiziell fürchten die Bischöfe, dass Pfeiffer und seine Mitarbeiter datenschutzrechtliche Vorgaben nicht genügend berücksichtigen wollten. Absprachen, so ihr Missbrauchsbeauftragter, der Trierer Bischof Stefan Ackermann, seien von Pfeiffer immer wieder uminterpretiert worden. Dieser hingegen wirft seinen Auftraggebern vor, seine Forschungsarbeit inhaltlich kontrollieren und sogar bei der Anstellung neuer Mitarbeiter mitmischen zu wollen. Darüber hinaus verdächtigt er einzelne Diözesen, brisante Personalakten vernichtet zu haben, die Auskunft über Missbrauchsdelikte geben könnten. Damit ist die weltweit größte Missbrauchsstudie in der katholischen Kirche, die nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter in den Blick nehmen sollte, zunächst einmal auf Eis gelegt.Versuch einer OffensiveDer Sprung nach vorn, der die katholische Kirche aus der Defensive hatte bringen sollen, war offenbar doch zu weit angelegt. Die 2010 vom Leiter des Berliner Canisius-Kollegs angestoßene Debatte um sexuell motivierte Übergriffe durch Priester und Lehrer hatte die Kirche zu einem öffentlichen Überraschungscoup genötigt, der zeigen sollte, dass ihre Oberen an einer schonungslosen Untersuchung interessiert sind. Mit Pfeiffer kauften sie sich einen prominenten, aber auch streitbaren Forschungsleiter ein. Jedenfalls kein Schäfchen, das Pfiffen folgen und Stinkendes ins Gras treten würde.Dass es viel Missliebiges zu entdecken gab, beweisen schon die nackten Zahlen. In den vergangenen zehn Jahren wurde gegen etwa 150 Priester wegen sexualisierter Gewalt ermittelt – wenige im Vergleich zu anderen Tätergruppen und meist ohne Konsequenzen für sie. Das bestätigte auch die von der Deutschen Bischofskonferenz im März 2010 – also noch vor dem Auftrag an Pfeiffer – ausschließlich für die Missbrauchsopfer eingerichtete und intensiv genutzte Hotline. Die öffentliche Diskussion aktualisierte bei den Betroffenen offensichtlich verdrängte Erinnerungen, die sie in Gesprächen mit den Mitarbeitern der Hotline erstmals loswerden konnten. Insbesondere ältere Männer, die in den fünfziger bis siebziger Jahren sexuelle Übergriffe erlebt hatten, brachen das Schweigen und berichteten über ihre Gewalterfahrungen. Von den alleine im Rahmen der Hotline erhobenen Delikte im kirchlichen Umfeld wurden in 468 Fällen Priester als Täter benannt, berichtete schon der Zwischenbericht im Mai 2011.Die Abgründe katholischen Fehlverhaltens wurden auch in einer anderen Studie offenbar, die Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, in Auftrag gab. Dort durchforstete die Rechtsanwältin Marion Westphal 13.200 Personalakten und wurde bei 159 Priestern und 96 Religionslehrern fündig, von denen kaum einer zur Rechenschaft gezogen wurde. Am Ende landete die Studie im Giftschrank und ist nur noch „für den Dienstgebrauch“ zugänglich. Was an die Öffentlichkeit gelangte, bestimmte das Erzbistum – das nun, zusammen mit dem „Netzwerk katholischer Priester“, die Trennung von Pfeiffer forcierte.Um eine „Beruhigung der Kampfzone“ war es den Bischöfen auch gegangen, als sie zum Abschluss des „Runden Tisches“ 2011 vorpreschten und den Opfern sexueller Gewalt, deren Ansprüche bereits verjährt waren, 5000 Euro Pauschalentschädigung in Aussicht stellten – die Untergrenze dessen, was deutsche Gerichte in entsprechenden Fällen zuerkennen. Das hat bei den Betroffenen viel Unmut ausgelöst und den Verdacht erhärtet, die Kirche wolle sich möglichst billig von ihrer Verantwortung freikaufen.Verteidigung der WagenburgAus diesem Grund zeigen sich Opferorganisationen und Betroffene wenig überrascht, dass die katholische Kirche dem „widerspenstigen“ Professor nun den Auftrag gekündigt hat. Norbert Denef, Sprecher eines Netzwerkes von Betroffenen, sieht seine Befürchtungen bestätigt: „Das Modell“, sagte er der Frankfurter Rundschau, „konnte auf Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung einfach nicht funktionieren“. Viele Opfer hätten von Anfang an kein Vertrauen in die Institution Kirche gehabt. Ähnlich sieht es Miguel Abrantes Ostrowski, Autor des Buches Sacro Pop. Ein Schuljungen-Report: „Ich habe nicht an die Selbstaufklärung der katholischen Kirche geglaubt.“Die Annahme, dass eine Institution, die nach wie vor ihre solitäre Gerichtsbarkeit verteidigt und kirchenrechtliche Archivprinzipien vorschützt, um möglicherweise unliebsame Fakten zu vertuschen, „schonungslos“ über sich selbst berichten lassen würde, ist allerdings auch ein wenig naiv. Das kriminologische Forschungsdesign von Christan Pfeiffer war darauf ausgerichtet, die Strukturen, die sexualisierte Gewalt im katholischen Umfeld befördern, aufzudecken. Denn weitgehend unkontrollierte Institutionen mit eigenen Regeln, so die Hypothese, neigen dazu, Verfehlungen in den eigenen Reihen zu übersehen. Bei allen Unterschieden zwischen den Einrichtungen der Reformpädagogik und der katholischen Kirche verbinde sie ihre Struktur, konstatierte der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch schon während der Hochphase der Missbrauchsdebatte: „Es handelt sich in beiden Fällen um geschlossene Anstalten, die wie Wagenburgen organisiert sind, nach außen abgeschottet und nach innen eine verschworene Gemeinschaft mit charismatischen Anführern. Es werden familienähnliche Strukturen ausgebildet, und die Familie darf nicht verraten werden. Was dort passiert, dringt nicht nach außen.“Von dieser „Verschworenheit“ nach außen können sich offensichtlich auch die katholischen Bischöfe nicht lösen. Nicht persönlicher Datenschutz, sondern der Schutz der gesamten Institution, als deren unlösbarer Teil die Täter nach wie vor gelten, ist ihr Anliegen. Die Entlastung, die sie sich von Pfeiffer versprachen, ist zum unkalkulierbaren Risiko geworden, zumal Pfeiffer gewiss nicht zu den Wissenschaftlern gehört, die den medialen Zugewinn der Auftragsloyalität opfern würden.So macht sich die katholische Kirche wieder einmal zur leichten Beute der öffentlichen Empörung, in die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) gerne einstimmt. Über dem Grollen gegen die Bischöfe lässt sich nämlich leicht vergessen, dass sie es war, die am Runden Tisch die Selbstverpflichtung der Institutionen zur Aufklärung durchgesetzt hat. Das ist, beklagte Denef vom Netzwerk Betroffener schon damals, als ob man die Mafia beauftrage, ihre Verbrechen zu untersuchen. Ein gemeinsamer Entschädigungsfonds, aus dem Beratung und Therapie hätte finanziert werden können, hat die Justizministerin ebenso wenig auf den Weg gebracht, wie auch das Gesetz, das die Rechte der Opfer sexualisierter Gewalt stärkt, bis heute nicht in Kraft getreten ist. Noch immer verjähren zivilrechtliche Ansprüche der Betroffenen nach drei Jahren. Sie müssen den Grad ihrer Schädigung beweisen und sind nach wie vor auf die genannten Almosen der Kirche oder anderer Institutionen angewiesen. Vertrauensbildung in Kirche und Staat sieht anders aus.
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