An der Berliner Uni

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Vor einiger Zeit habe ich hier allerlei Biographisches – vor allem aus der Schule und der Lehre – erzählt.

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Zusammengefasst habe ich beschrieben, wie ich – obwohl ich keine „Jugendweihe“ mitgemacht habe und auch kein Pionier- und FDJ-Mitglied war – doch noch Abitur an der Volkshochschule gemacht habe. Aber es gab ein anderes Privileg, das mit der Vergangenheit meiner Mutter zusammenhing und das half mir bei der Studienplatz-Suche. Jetzt geht es – ein Stückchen – weiter mit ein paar Impressionen aus der Studienzeit. Vielleicht findet es ja noch Leser:

Zwischen Leipzig und Berlin fuhr man im Jahr 1965 noch zwischen drei bis dreieinhalbe Stunden. Der Zug hielt an vielen Stationen, die er heute eilig durchfährt. Ich fuhr also Ende 1965 über Bitterfeld, Lutherstadt-Wittenberg, Jüterbog, Berlin-Schönefeld nach Berlin-Ostbahnhof, wo ich mich an der Humboldt-Universität beworben hatte.

Information/Dokumentation

Es gab damals ein neues Fach am Institut für Bibliothekswissenschaften, das sich Information/Dokumentation nannte. Wenn man sich für dieses Fach bewarb, konnte man interessante Nebenfächer wählen, die es sonst nur für Diplomanden gab, womit man sich um das unbeliebte Lehrerstudium drücken konnte. Ich entschloss mich für Russisch-Englisch als Nebenfächer, obwohl ich Englisch das letzte Mal in der 8. Klasse gehabt hatte.Ich verfügte immer über ein gesundes Maß an Selbstüberschätzung und Optimismus.

Die Aufnahmeprüfung für das Hauptfach verlief ohne Probleme. Ich formulierte meine Vorstellungen über das, was zu studieren war und wurde dann noch historisch-politisch über das Potsdamer Abkommen befragt. Warum weiß ich nicht.

Bei den Nebenfächern hangelte ich mich halbwegs durchs Russische. Im Englischen half mir - wie ich denke – der Bonus „Abendoberschule“. Aber auch Radio Luxemburg hatte mir geholfen, weil die abends immer englische Schlager brachten. Und es gab eine Sendereihe bei der BBC, die Englisch vermittelte.

Vermasselte Ankunft

Die Anreise zum Studium nach Berlin war – aus ganz dummen und oberflächlichen Gründen – völlig vermasselt. Ich reiste mit einem Freund an, von dem ich mich eigentlich trennen wollte, aber den Mut nicht hatte, das anzukündigen. Außerdem dachte ich, dass die Trennung sowieso vollzogen ist, wenn ich erst in Berlin wohne.

Wir irrten durch die Stadt ,fanden ein – ziemlich schlampiges – Zimmer in der Dircksenstraße bei einer älteren Frau, die in dieser verkramten Wohnung lebte. Wenn ich dort – das ist jetzt ein absolut schickes Viertel – mit der S-Bahn vorbeifahre, denke ich jedes Mal an diese missglückte Ankunft in Berlin.

Nach zwei Tagen fuhr der, noch am Bahnhof gnadenlos zum Ex-Freund erklärte, Reisebegleiter ab. Man ist in jungen Jahren ziemlich rigoros und mitleidslos, finde ich jedenfalls über mich.

...und Einzug ins Studentenwohnheim

Ich machte mich erleichtert endlich auf zum Studentenwohnheim, das in Berlin-Biesdorf lag. Ich wollte nicht allein irgendwo zur Untermiete wohnen

In den Zimmern des Studentenheims wohnten auf ungefähr 20 Quadratmetern vier Bewohnerinnen. Es kann damit zusammenhängen, dass ich als Kind mehrfach in Kinderheimen

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war, und dort auch gar nicht so unglücklich, dass ich mich schnell hineinfand. Damit man sich überhaupt bewegen konnte, gab es Klappbetten. Jede hatte ungefähr zwei Schrankfächer und auf dem Aufsatz des Klappbetts standen die persönlichen Bücher und all der Kram. Ich fand es – vor allem im Winter – unglaublich tröstlich, wenn ich das warme Foyer betrat und nach dem Schlüssel fragte. Es gab große Waschräume, keine Duschen. Aber weil zwischen den Waschbeckenreihen große Abflüsse im Boden waren, begossen wir uns alle mit dem Zahnputzbecher oder spritzten uns – das Wasser mit beiden Händen aus dem Becken schöpfend – ab. Ich fand das – nach den eiskalten Küchen meiner Kindheit unendlich erleichternd und fröhlich, dieses ständige warme Wasser und die Geborgenheit dieses Heimes. Allerdings, wenn man sich verliebt hatte oder gar jemanden bei sich beherbergen wollte, machte das umfangreiche Planungen erforderlich. Die Mitbewohnerinnen mussten bereit sein, woanders zu schlafen. Seltsamerweise funktionierte das sogar ganz gut. Es war ja auch nicht an der Tagesordnung oder betraf die Wochenende, an denen viele Studenten ja auch nach Hause fuhren.

Wer nachts heimkommt, macht Licht

Im Heim lautete die allerwichtigste Regel: Wer spätabends oder nachts nach Hause kommt, macht das kleine Licht an, stolpert also nicht im Dunkeln rum, weil das noch mehr Krach macht und geht so schnell wie möglich ins Bett.

Ich glaube, die Miete für diesen Heimplatz betrug 13 Mark und wir bekamen alle 205 Mark Stipendium.

Später, als ich mich ernsthaft verliebt hatte, zog ich aus dem Heim aus, mietete für das Dreifache an Mietkosten ein Zimmer im Prenzlauer Berg, zog mit einer Kommilitonin ein, die mich nach zwei Monaten mit der Miete sitzen ließ und jener, der mich zu diesem Umzug gebracht hatte, verließ mich ebenfalls. So ist das Leben.Ich richtete mich also erst einmal im Studentenheim ein und fuhr zur Uni, um mich an den verschiedenen Fakultäten zu melden.

Im Hauptfach fand ich die Uni nicht so „verschult“ wie bei den Sprachwissenschaftlern, die ja auch in den meisten Fällen Lehrer werden sollten. Andererseits – eine gewisse Struktur und Übersichtlichkeit fand ich ganz gut für mich, weil ich feststellen musste, dass ich ziemlich am Hängen war.

Kleine Aufholjagd

Sowohl in Englisch als auch im Russischfach war ich eine Niete und musste schleunigst versuchen ,ein bisschen aufzuholen. Also hockte ich mich nach den Vorlesungen und Seminaren in die verschiedenen Bibliotheken rund um die Uni und abends in den „Strebersaal“ des Heims um zu lernen. Geholfen hat mir damals ein Buch. Das „English pattern drill book“. Es war ein wirklich gutes hilfreiches Paukbuch, in dem man 100 Mal die gleichen Zeitformen in verschiedenen Sätzen durchnahm.

Ich holte also auf und kam langsam aus einer depressiven Phase, die mit der Fremdheit der Stadt ,einer gewissen Verlorenheit und Vereinsamung zu Beginn zu tun hatte. In Berlin weht immer ein scharfer Wind, auch im wahrsten Sinne des Wortes.

Es begann in der Zeit – neben dem handwerklichen Spracherwerb – auch eine erste Zuneigung zur Wissenschaft, zur Sprachwissenschaft und auch zur Literaturwissenschaft.

Ein bisschen melancholisch

Aber sehr oftfiel mir ein Rilke-Gedicht in den Sinn:„Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort, sie sprechen alles so deutlich aus“. So fühlte ich. Alles war schon gedacht und erklärt und ich so dumm.

Ein ständiges melancholisches Gefühl von Heimweh, Ungenügen und unerwiderter Liebe war der emotionale Teppich, über den ich in dieser Zeit ging. Ich liebte es - das Traurigsein.

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Zu dieser Zeit hat mich mal ein Kommilitone gezeichnet. Und das ist so typisch geworden, das Bild, dass ich es noch heute im Zimmer hängen habe.

(Fortsetzung folgt zum Thema Ernteeinsatz)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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