Der Bürger als Ministerpräsident.....

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....Zu Winfried Kretschmanns Regierungserklärung.

Ohne rhetorischen Glanz, aber mit um so mehr demokratischer Wärme lieferte Winfried Kretschmann heute seine erste grün-rote Regierungserklärung ab, in der die Bürger, die Wirtschaft und die beiden Koalitionsparteien sich wiederfinden konnten. Mensch und Sache passten zusammen. Kein leeres Pathos, kein rhetorischer Verführungsversuch und schon gar keine populistische Überwältigung. Der Mann ist kein geeignetes Zielobjekt für ungarische Nutten-Thermen. Und Zimmermädchen fragt er allenfalls danach, ob sie bei der Arbeit anständig behandelt und bezahlt werden. Vermute ich mal. Kretschmann scheint jedenfalls ein einigermaßen solides Ego zu haben und es sich deshalb nicht ständig auf Kosten anderer bestätigen zu müssen.

Auch Kretschmanns Ton scheint mir neu in der Republik. Ruhig, sachlich und reflektiert skizzierte er nicht nur die Vorhaben seiner Regierung, sondern auch die neuen atmosphärischen Akzente: ein Ende der bürgerverachtenden Basta-Politik, für die beispielhaft der putschartige S21-Coup steht, und eine Rückkehr zum demokratischen, die Bürger einbeziehenden Aushandeln, also zu einer Tradition, deren Anfang Willy Brandt markiert hatte und die in der Folge wieder aufgekündigt und allzu oft mit Füßen getreten wurde.

Neu auch der Abschied von ideologischem Sonntags-Gedröhne und Phrasengedresch. Einer der Schlüsselsätze hier war für mich der, Schule müsse sich nach dem Kind richten und nicht umgekehrt. Würde dies verwirklicht, in Baden-Württemberg wäre es eine Revolution. Zumindest gegenüber den autoritären Bevormundungssregimes der Herren Mayer-Vorfelder und Rau, die alles konnten, nur nicht Zuhören. Genau das aber beabsichtigt diese Regierung, und bei Kretschmann klingt das glaubhaft.

Ein Coup war Kretschmanns Nennung von Robert Bosch als einem personellen Bezugspunkt für die grün-rote Politik. Dieser Industriepionier, der, anders als manche heutigen Groß-Manager, nicht nur Eitelkeit und Profite, sondern auch Ideen im Kopf hatte – und in der Lage war, diese umzusetzen; der sich nicht Gier und Größenwahn verschrieb, sondern auch materiell zu schätzen wusste, was seine Arbeiter für ihn leisteten; der nicht nur um sich selbst kreiste, sondern sich auch der Gesellschaft verpflichtet fühlte, die ihm die Chance bot, sein Unternehmen auf- und auszubauen. Wer, wenn nicht der taugte bestens als Kronzeuge für die neue, nachhaltige Gründergesellschaft, das Musterland für gute Arbeit, die Kretschmann als seine Vision skizzierte. Das Bosch-Zitat, er zahle nicht gute Löhne, weil er reich sei, sondern er sei reich, weil er gute Löhne zahle, dürfte Balsam für so manche sozialdemokratische Seele gewesen sein. Und hätte manchem Manager von heute die Schamesröte ins Gesicht treiben müssen. Mit Genugtuung habe ich – nicht nur an dieser Stelle - Wolfgang Drexlers wiederholtes enthusiastisches Händeklatschen zur Kenntnis genommen.

Die weiblichen Parlamentarierinnen waren in sichtlich angetan, als Kretschmann an einer Stelle auch ausdrücklich die ExistenzgründerInnen ansprach und bemerkte, dass auch an dieser Stelle Frauen den Männern mal zeigen könnten, wo es lang geht.

Scheinbar sehr kurz kam die Kultur vor. Dafür aber nicht im Zusammenhang mit wohlfeilen Worten und materiellen Versprechungen, sondern mit einer glaubhaft klingenden Anerkennung ihrer wichtigen Rolle in der Demokratie:

"Kunst und Kultur können ebenfalls Einspruch sein, Provokation und Stachel für eine lebendige Demokratie, aber auch eine Schule des genauen Hinsehens und Hinhörens. Demokratie braucht selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger und Demokratie braucht eine selbstbewusste Kultur als Ausdruck eines autonomen Bürgerbewusstseins. Auch unter den Vorzeichen der Haushaltskonsolidierung genießen Kunst und Kultur für uns deshalb einen hohen Stellenwert."

Für mich jedenfalls klingt dies nicht nach „Brot und Spiele“ zum Zwecke der Herrschaftssicherung, wofür man großzügig die Schatulle öffnet, die man dann bei sozial Bedürftigen umso fester verschließt.

Und last, but not least: eigens erwähnt wurde in der Regierungserklärung das demokratische Potential des Internets, das die Regierung nutzen will, um Bürgerbeteiligung und den Dialog mit den Bürgern aufzunehmen. Schließlich sieht sie - so Kretschnann - den kritischen Bürger nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung. Interesant ist in diesem Zusammenhang auch noch ein Kernzitat zum Staatsverständnis:

"Es geht nicht um mehr Staat und weniger privat - oder umgekehrt. Vielmehr geht es um eine neue Justierung des Verhältnisses von Staat, Markt und Bürgergesellschaft. In diesem Dreiklang von Wettbewerb, Subsidiarität und Solidarität definieren sich aus unserer Sicht Gemeinwohl, wirtschaftliche Prosperität und Zukunftsfähigkeit einer bürgerlichen Gesellschaft."

Vermisst habe ich eine Bemerkung zur Opposition, in der auch dieser gute politische Qualität bescheinigt wird. Nicht, weil ich dies für richtig hielte, sondern einfach, um zu sehen, ob die Damen und Herren auch an dieser Stelle nicht geklatscht hätten. Denn mich quält die Frage, ob der fast durchgängige Beifalls-Streik nur Ergebnis eines stur-blöden Polit-Rituals war, oder ob die Leute per se zu blöd sind, um gute Argumente zu erkennen und anzuerkennen. Geschlafen haben sie jedenfalls nicht. Das war nicht zu übersehen, als Kretschmann etwas tat, was ich schon nicht mehr erwartete: er erwähnte die Schulden-Altlast der überlangen CDU-Ära. Da erhob sich ein Lärmen und Toben und etwas, das ich zunächst für einen Kartoffelsack hielt, warf sich über das Pult und schlug die Hände über dem Kopf zusammen – tat mit Verspätung also genau das, was es hätte tun sollen, als Mappus gegen das Haushaltsrecht des Parlaments verstieß und – so, wie es derzeit aussieht - zum finanziellen Schaden des Landes den ENBW-Deal durchpeitschte. Nun ja, diese Leitung wurde offenbar erst beim Umbau des Landtags nach der Wahl freigelegt......

Bemerkenswert fand ich, dass die Opposition an dieser Stelle ausdrücklich nicht geklatscht hat:

"Baden-Württemberg ist ein buntes Land, das von seiner Vielfalt lebt. Die Zuwanderer, ihre Kinder und Enkel leben mitten unter uns und gehören dazu.
Das interkulturelle und interreligiöse Miteinander, die Partizipation von Migrantinnen und Migranten in Wirtschaft und Gesellschaft ist Schlüssel für ein erfolgreiches und menschliches Baden-Württemberg."

Soweit meine persönliche Wahrnehmung der Regierungserklärung, die ausdrücklich nicht auf eine möglichst vollständige Auflistung von inhaltlichen Details fokussiert war. Diese Basisarbeit möchte ich ausdrücklich den zuständigen Medien überlassen, z.B. dem SWR:

www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/nid=1622/did=8091962/9n4cm8/index.html

Mir selbst als Blogger scheint es sinnvoller, hier zusammenzustellen, was voraussichtlich nicht in den Medien auftauchen wird. Und dazu gehört abschließend noch der erhellende Fehlstart bei Phoenix, wo ein Volker Kretschmann angekündigt wurde, was dem, was Kretschmann ist, fundamentaler nicht widersprechen könnte. Laut meiner Anlandung bei Google ist der Name „Volker“ nämlich „aus den althochdeutschen Wörtern für “Volk” und “Kriegsschar” abgeleitet und wird meistens als “Volkskämpfer” interpretiert“ ( www.beliebte-vornamen.de/5085-volker.htm ). „Winfried“ dagegen passt bestens zu Kretschmann, weil es in sich die Bedeutungen: „wini = „Freund“ und fridu = „Friede“ in sich vereint ( www.beliebte-vornamen.de/lexikon/w-mann ), was mir zum Schluss noch einen Schlenker zu Winfried Hermann erlaubt, der insbesondere von den lokalen Medien zunehmend als der grüne Spaltpilz, Bösewicht und Trickser hochstilisiert wird.

Nichts davon ist er nach meiner persönlichen Kenntnis. Zwar fehlt mir die Tiefenkenntnis eines Freundes. Aber als Ex-Kollege aus seinen beruflichen Anfängen habe ich mir doch ein Bild bewahrt, das einen Menschen beinhaltet, der versucht mit dem Widerspruch zu leben, einerseits seine Ideale zu bewahren, andererseits mit seiner Umwelt gut auszukommen und schließlich, drittens, nicht prinzipiell auf eine gewisse Karriere verzichten zu wollen. Das kann in einer auf Verkürzungen und Polarisierungen bedachten Mediengesellschaft nicht immer nach Geradlinigkeit aussehen und macht anfällig für Missdeutungen und Unterstellungen. Für mich selbst aber passt auch hier der Name „Winfried“. Und ganz persönlich vertraue ich dem Mann.

Bliebe noch ein Seitenhieb auf den Schäuble-Familienfunk, vormals SWR, der die Kritik an der neuen Regierung schon mal vorab servierte. Wenn die CDU schon nicht mehr die Regierungserklärung abgeben darf, sollte sie doch wenigstens das erste Wort haben, scheint man sich dort gedacht zu haben, als man Oppositionsführer Peter Hauk – der, der immer so aussieht, als ob er zur Unzeit aus dem Bett gefallen sei – am Morgennoch schnell die Gelegenheit bot , alter Gewohnheit und den einschlägigen Vorgaben der Lokalmedien folgend, zu vermelden, die neue Regierung sei„schon zu Beginn zerstritten“ ( www.swr.de/nachrichten/bw/-/id=1622/did=8095706/pv=mplayer/vv=popup/nid=1622/1ko02bi/index.html ). Nun ja.

Mehr zur Regierungserklärung:

www.zeit.de/politik/deutschland/2011-05/baden-wuerttemberg-regierungserklaerung/komplettansicht

www.taz.de/1/politik/deutschland/artikel/1/gruenderzeitpathos-in-stuttgart/

www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.regierungserklaerung-von-kretschmann-auf-dem-weg-zur-buergerregierung.92299e0f-e36d-4c5c-89a6-bd172d699870.html

www.welt.de/politik/deutschland/article13394396/Kretschmann-plant-das-Laendle-radikal-zu-veraendern.html

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.regierungserklaerung-kretschmanns-gruene-gruenderzeit.1615ca99-6062-4927-b730-315306f17299.html

www.tagesspiegel.de/meinung/gruen-gegen-schwarz/4218628.html

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.rhetorische-analyse-kretschmann-kaut-gewissenhaft.9c2da9fa-b484-43b7-897e-4e237d0d8f1a.html

Und von mcmac noch der Link zum Text der Regierungserklärung:

www.stm.baden-wuerttemberg.de/fm7/2028/110525_Regierungserklaerung_Kretschmann_Protokollfassung.pdf

Mehr zu Winne Hermann :

www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2011/05/ein-minister-im-stresstest/#c1455

www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-der-kurze-draht-ist-gekappt.e27b4ffc-7da8-4be6-95ee-0e41390de783.html

Stand: 25.5.2011, 22:11

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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