S21: Im Drogenrausch zum Ermächtigungsgesetz (4)

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Trauerarbeit ist angesagt. Und Fehler sind eine hervorragende Quelle zum Lernen. Das erste, was man aus der „Volksabstimmung“ in B-W lernen kann; Banalität schlägt Qualität. Egal, wie viel Mühe man sich macht. Egal, wie fundiert man argumentiert. Egal, wie sauber man seine Argumente belegt. Am Ende genügt es, dass die herrschende Kaste sagt: Stimmt nicht. Und sie bekommt recht. Und in diesem Fall ist es nicht einmal die Banalität des Bösen. Es ist nur noch Banalität, besser: die Banalität der Macht, die eine Unzahl hoch intelligenter, engagierter, opferbereiter, kreativer, fundiert argumentierender Menschen zuerst nach Hase-und -Igel-Manier ins Burn-Out gehetzt, und dann wieder einmal die alte „Volksweisheit“ bestätigt hat, nach der „Der dümmste Bauer...die dicksten Kartoffel“ hat. Aber zumindest das Hase-und-Igel-Spiel hat Methode. Dazu inmehr Teil 5.

Das zweite, was man lernen könnte, aber längst nicht mehr lernen muss: Journalismus hat – von rühmlichen Ausnahmen selbst bei der Stuttgarter Zeitung abgesehen - mit sachlicher, unparteiischer Information und kritischer Analyse, mit Werten oder gar Charakter häufig absolut nichts (mehr) zu tun. Und schon gar nicht mit Rückgrat. Wie eine Hure bietet er sich dem an, der einem gerade am üppigsten den Lebensunterhalt garantiert. Daran ist per se nichts Verwerfliches. Auch der Beruf der Hure ist ein ehrenwerter Beruf, für den offenbar ein hoher Bedarf besteht, und der - so vermute ich als Nicht-Experte einfach mal – einer Menge Menschen eine Menge Freude bereitet. Nur: eine gute Hure arbeitet – so hoffe ich doch – professionell, unparteiisch, kundenorientiert und verantwortungsbewusst - z.B. in punkto AIDS-Prävention. Journalismus, so musste der Stuttgarter Widerstand lernen, tut häufig all dies nicht. Nicht nach der Niederlage des Widerstands in der Volksabstimmung. Und vorher schon gar nicht. Auch der Mehrheit der Journalisten genügte ein „Stimmt nicht“ der herrschenden Kaste, um alles, was vom Widerstand vorgebracht wurde, unbeachtet zu übergehen oder wieder beiseite zu legen. Dass es in der kleinen Stuttgarter Provinz mit ihrem angehängten schwarzen Tal der Ahnungslosen um Grundsätzliches ging, merkte, außer Arno Luik und ein paar versprengten Linken, ohnehin niemand.

Das Volk hat der Straße gezeigt, wo es lang geht.“ Diesen Satz entnahm ich nicht der im Ruch der Rechtsradikalität stehenden „Jungen Freiheit“. Er steht, (zustimmend) zitiert vom Politologen Rüdiger Soldt, so in der FAZ (Jedenfalls Online).

www.faz.net/aktuell/politik/inland/stuttgart-21/stuttgart-21-stresstest-fuer-das-gruene-regieren-11544404.html

Und weiter ist dort an überparteilicher Berichterstattung und analytischer Politikwissenschaft zu lesen:

Die Mehrheit der Bürger vertraut den Abgeordneten doch noch und hält auch etwas davon, die Zukunft und die Infrastruktur in einem Industrieland zu gestalten. Dies sollte den Grünen zu denken geben. Ihr Aufstieg ist häufig als Triumph des Postmaterialismus über die Industriegesellschaft gefeiert worden. Dieser angebliche Trend hat am Sonntag im Südwesten einen Dämpfer bekommen. …. Zugleich haben die Bürger …. vor allem in der Landeshauptstadt gezeigt, dass sie die quasireligiöse Überhöhung des Konflikts satt haben. Ein schwäbischer Bahnhof ist ein schwäbischer Bahnhof. Obwohl die Gegner zwei Jahre lang und mit allen Mitteln der Mediengesellschaft versucht haben, unter jeder geplanten neuen Weiche einen Skandal oder einen schützenswerten Juchtenkäfer zu entdecken, votierte die Mehrheit der Stuttgarter für das Projekt. Mutige Bürger, die Transparenz einfordern, braucht eine Demokratie, auf Wutbürger kann sie getrost verzichten.“

Nein, auch wenn dies schon schlimm genug ist, Soldt setzt noch einen drauf:

Für die Grünen ist das Ergebnis eine klare Niederlage. Gescheitert ist der Versuch, mit manchmal fragwürdigen Argumenten und Ressentiments gegen die Ingenieurskunst grüne Verkehrspolitik pur durchzusetzen.“

Hugh, der oberste Richter über gute und schlechte Argumente hat gesprochen. Und wie er zu seinen Urteilen kommt, hat er anderswo, nämlich beim SWR Online, in lobenswerter Offenheit und Klarheit dargelegt: von „Gutachteritis“ hält er überhaupt nichts. Das Begutachten, so darf man folgern, ist Aufgabe derer, die ihre Partikularinteressen um jeden Preis durchsetzen wollen. Und das Ergebnis solcher Gutachten wird von den Herrschaften selbst bekanntgegeben und gilt. Basta. Man hat seinem Bahnchef, seinem Ministerpräsidenten, seinem Abgeordneten, seinem Arbeitgeber, seinem Landrat,seinem OB - wem auch immer, Hauptsache kein Kritiker - gefälligst zu vertrauen. Führer befiehl, wir folgen. So ist das deutsch-autoritäre Tradition. Und damit sind wir doch immer gut gefahren, oder?

swrmediathek.de/suche.htm?econt=s21%20und%20die%20medie

Soweit die Berichterstattung einer „seriösen“ Tageszeitung. Davon hebt sich der Kommentar einer rechtslastigen Postille geradezu wohltuend ab:

Dieses Votum zeigt aber auch, daß die normalen Menschen ganz genau wissen, daß mittelständische Wirtschaft und Erfindungsgeist in Verbindung mit Forschung und Technik seit jeher ihr Brot gebuttert haben – und nicht ökologisches Spießertum. Damit wurde noch nie auch nur ein Arbeitsplatz geschaffen. Diese Entscheidung beweist aber genauso, daß den Bürgern des Landes schnelle und komfortable Verkehrsanbindungen und eine Integration in ein Mitteleuropa der kurzen Wege wichtiger sind als ein reaktionäres Festhalten an überholten Planungskonzepten.“

www.jungefreiheit.de/Single-News-Display-mit-Komm.154+M5201da0e391.0.html?PHPSESSID=eec59cb33bc9394e50183597245d68d7

Das stimmt zwar so auch nicht, aber man erkennt wenigstens als Quelle die Wahlwerbung der S21-Befürworter und kann durchaus vermuten, dass sie so vielleicht im einen oder anderen Kopf ihren Niederschlag gefunden haben mag. Insofern ist dies nicht bloß Beschimpfung, sondern hat auch Informationsgehalt und beschränkt sich nicht darauf, quasi religiöse Lehrsätze zu verkünden, wie dies Soldt z.B. mit seiner offenbar nur noch verehrungswürdigen „Ingenieurskunst“ tut. Und Autor Brandstetter (Nomen est Omen) versucht erst gar nicht, sich hinter quasi-objektiver, bürgerlicher Wohlanständigkeit zu verstecken, sondern legt bereitwillig offen, zu welchen Clichés über den Stuttgarter Widerstand er sich bekennt.

Das tat auch der Herr Blome in „Augstein und Blome“. Unwidersprochen von einem offenbar völlig uninformierten Jakob Augstein, der scheinbar meinte, vom Weltgeist so beseelt zu sein, dass er sich auf so eine Debatte nicht eigens vorbereiten müsse. Auf einen Platz unter den Top Blogs in seinem FREITAG ist er ohnehin per Geburtsrecht abonniert. (Andere können sich vergeblich darum abmühen.)

Also tauchte sie wieder auf, die egoistische Halbhöhenlage über 50, deren Vorgarten in Wahrheit der Schlossgarten sei, weshalb der unter gar keinen Umständen für das Gemeinwohl von Bahnvorständen und Bauindustrie angetastet werden dürfe. Dass auf der Halbhöhenlage eher Menschen wohnen, die von S21 profitieren oder die zumindest welche kennen, die davon profitieren. Dass die den Schlossgarten eher nicht betreten – aus Angst oder Verachtung für den Normalbürger oder weil sie grundsätzlich nur in ihren Limousinen zu Fuß gehen. Dass sie diesen schon gar nicht für Frischluft und Kühlung, Spiel und Entspannung im Sommer brauchen. Wozu hat man denn seinen realen Vorgarten auf Halbhöhenlage? Dass diese Herrschaften auch nicht unbedingt diejenigen sind, die auf einen funktionierenden, halbwegs sicheren öffentlichen Verkehr angewiesen sind. Das alles ficht Herrn Blome an. Man hat sein BLÖD-Bild und da sortiert man das an vermeintlicher Realität ein, was dazu passt. Und der Augstein blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum und adelt durch seinen ausbleibenden Widerspruch – eigentlich wären Empörung und Protest angesagt gewesen - diese Lügen auch noch zu gültigen Befunden.

Stopp. Jetzt habe ich selbst zu fälschen begonnen. Das war wohl doch nicht Blome, das war jemand anders, vielleicht der FDP-Lindner in irgendeinem Talk mit einer öffentlich-rechtlichen „Klofrau“ (Georg Schramm)? Jedenfalls habe ich mir zu Blome etwas viel Schlimmeres notiert: die Halbhöhenlage protestiert bloß, weil sie aus dem Vorgarten in den Schlossgarten herab zu blicken pflegt. Und dort keine so hässliche Baustelle sehen möchte. Und das über Jahre! Igitt aber auch. Da werde ich doch glatt linksradikal. Huch, wie aufregend. Ob ich wohl eine Chance habe, von so einem Protestcamper im feuchten Morgenrasen vergewaltigt zu werden? Mit Ameisen und all soner Natur drum herum...?

Und weil es sich offenbar nirgends so angenehm lügt und diffamiert wie bei Augstein, fabuliert Herr Blome gleich noch davon, die Gegner von S21 hätten mit einer angeblichen „Vergiftung der Mineralquellen“ Panik gemacht. Gut, Vergiftung, Gefährdung, was ist schon der Unterschied! Schon Kohl sagte doch, entscheidend sei, was hinten heraus kommt. Und das ist zweifellos Scheiße, oder? Und Herr Augstein blicket stumm, auf der ganzen Scheiße herum....

Also: Die Mehrheit hat gesprochen. Das ist Demokratie. Scheiß auf Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Vierte Gewalt und all den aufgeklärten Kokolores. Gut, in Zukunft muss man natürlich länger und ausführlicher erklären. Klar doch. Nobody is perfect. Auch nicht die herrschende Kaste. Und Herr Augstein blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum. Wutbürger sitz! Dann streichelt dich der Herr Augstein vielleicht zum Trost. Schließlich muss man dem Tierchen jetzt nicht auch noch weh tun, Sie Böser.

www.freitag.de/community/blogs/augstein-und-blome/wutbuerger---einfach-mal-die-klappe-halten

Ja, es gibt auch anderes. Aber auch dies war eine Auswahl von ganz rechts bis ganz links. Und die kann einem nicht gefallen, denkt man an Deutschland in der Nacht. Oder bei Tag.

Nein, ich halte immer noch nicht die Klappe, Teil 3, mittlerweile 5, liegt immer noch ungeschrieben auf dem Schreibtisch.....

Und was bisher geschah, findet sich hier:

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-im-drogenrausch-zum-ermaechtigungsgesetz-1

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-im-drogenrausch-zum-ermaechtigungsgesetz-2

www.freitag.de/community/blogs/seriousguy47/s21-im-drogenrausch-zum-ermaechtigungsgesetz-3

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Geschrieben von

seriousguy47

Anglophiler Pensionär und Flüchtlingsbetreuer aus Stuttgart.

Wehrdienst, Studium ( Anglistik, Amerikanistik, Empirische Kulturwissenschaft, Sozialpädagogik) , Praktikum ( Primärtherapie), Lehramt, Flüchtlingsbetreuung

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