Ein Geruch nach ­faulem Obst

Die Einheit im TV Wiedervereinigung interessiert niemanden, nur das Ende der DDR. So ist jedenfalls das TV-Programm zur Einheit

Wer am kommenden Sonntag um 20.15 Uhr den Fernseher einschaltet, wird dem Programm das Datum nicht ansehen. In der ARD läuft wie um diese Zeit gewohnt der Tatort, der diesmal von einer Flucht aus der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim handelt. Im ZDF wiederum bekommt man die neueste Emilie-Richards-Verfilmung serviert, in der sich wohl auch diesmal ein blondgelocktes Weibchen die Frage stellen wird: Bin ich vielleicht diejenige, für die sich dieses Schaf endlich seines Frauenhelden-Wolfspelzes entledigt?

Das ZDF wird sein Pflichtprogramm zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon absolviert haben, denn zwischen 18 und 19 Uhr wird Deutschland von A bis Z mit Katrin Bauerfeind zu sehen sein. Was diesen Tag womöglich noch am besten trifft. Die ARD nämlich schiebt nach dem Tatort mal wieder Das Leben der Anderen ein. Da kommt die Wiedervereinigung zwar vor. Jedoch nur, insofern sie in der Geschichte der Staats­sicherheit eine Rolle spielt. Überhaupt steht die deutsche Einheit im Fernsehen fast ausschließlich für das Ende der DDR, auf die dann meist die Stasi Alleinvertretungsanspruch anmeldet, was ihr offensichtlich nur zu gerne zugestanden wird. Dass damals ein irgendwie anderes Land seinen Anfang nahm, interessiert dagegen wenig.

Auch der pädagogische Impetus des Einheits-Programms lässt sich mithin nicht übersehen. Doch was nur hat man bislang – die TV-Feierlichkeiten werden nun ja bereits seit Wochen eifrig eingeleitet – daraus gelernt? Da wäre der ARD-Sechsteiler Weissensee, der vor allem anderen besagt, dass die DDR Verbrechen an der Sinnlichkeit beging: Nicht einmal die selbst angebauten Tomaten waren genießbar, das Parfum roch nach verfaultem Obst, Autos hatten zu wenig PS unter der Haube und das Tragen von Pelz war den Genossinnen ebenfalls verboten. Was einem da noch blieb? Natürlich: die Liebe. Die aber ebenso natürlich vom Staat verhindert werden wollte.

Dass die Stasi primär eine Bedrohung des Privatlebens darstellte, wiederholt das TV-Gerät in diesen Tagen oft und gern. Im Zweiteiler Im Netz der Stasi bekam man es zum Beispiel zu hören; der erste Teil handelte von Rosel Staudte, deren Mann Anfang der fünfziger Jahre verhaftet wurde, weil er von der Spionagetätigkeit seines Chefs wusste. Das Gericht verurteilte ihn zu 12 Jahren Haft – „weil er seinen Chef nicht verraten hat“, erläuterte der Sprecher mit sonorer Stimme. Allein, die Treue zum Arbeitgeber war in der DDR nicht justiziabel. Spionage dagegen schon (wie auch in der BRD). Doch die politischen Verhältnisse sind ohnehin nicht so wichtig im Angesicht des wahren Schreckens: „Der Traum der jungen Frau von einer glücklichen Familie ist zerstört.“

Und dann war da noch Guido Knopp, der in seiner Sendung Die sieben Irrtümer der deutschen Einheit endlich erklärte, „was man hätte besser machen können“. Allerdings ging es auch ihm nicht vordringlich um die Wiederver­einigung, sondern unter anderem darum, endlich zu erklären, warum das Sozialsystem der DDR nur „vermeintlich gut“ und das heißt auf Deutsch: so perfide gewesen sei.

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Geschrieben von

Katrin Schuster

Freie Autorin, u.a. beim Freitag (Literatur, TV, WWW)

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