Sie haben da was missverstanden

Polizeiruf The two Herberts aka Schmücke & Schneider und die Neue treffen in dem "Polizeiruf: Leiser Zorn" auf eine Jugend, die nur dazu da ist, Erwachsenen die Welt zu erklären

Wie vor einer Woche im Wiener Tatort geht's im Hallenser Polizeiruf: Leiser Zorn um jugendliche Aggressionen, die über zeitgemäße Technik kommuniziert und in Gewalt ausagiert werden. Noch deutlicher als in Wien aber kann man in Halle sehen, dass die Jugend nur ein Vorwand ist, um Erwachsenen die Welt zu erklären.

Das zeigt sich sehr schön an den Parkour-Performern – jenen Ausübern eines urbanen Sports, der unbeeindruckt von Hindernissen, die aus Stadtplanung resultieren, Fortbewegung als kürzesten Weg durch die städtische Landschaft denkt. Der Traceur, wie es unter uns Kennern der Parkour-Szene heißt, ist in Leiser Zorn immerfort im Hintergrund und nur in einer Gruppe zu sehen, was Analogien zum Animalischen Tür und Tor öffnet. Erklärt wird in dieser Folge überdies, was ein Nerd ist (mit Streber allerdings unzureichend übersetzt). Außerdem darf der jüngst eingeführte, fleischgewordene Wechsel auf die Zukunft der Serie, darf also Oberkommissarin Nora Lindner (Isabell Gerschke) zeigen, was sie auf dem Kasten hat: Festplatten ausbauen, Kampfsport anwenden.

Respekt nötigt das unter den two Herberts nur dem einen, Schneider (Wolfgang Winkler) ab, der Vermittlung zwischen allem bis an die Grenzen des Möglichen betreibt (Gabis Säuernis über die fehlende Hilfe auf dem – das wird uns deutlich zu unhinterfragt gesetzt – Mittelaltermarkt). Dass aber etwas zusammenwächst, was offenbar zusammen gehören muss (wir, wie schon öfter betont, könnten ja auch gut mit den beiden Onkels alt und rund werden), merkt man auch an Schmückes (Jaecki Schwarz) nachlassender Hengstbissigkeit. Sowie dem Umstand, dass Schmücke als Trickser herausstellt, der sein Kleist-Wissen im Internet googelt - was eigentlich nur deshalb blöde ist, weil man Schmücke, der wie Jaecki Schwarz aussieht, das irgendwie zugetraut hätte, dass der den Kleist noch aus dem Effeff kann; die alte DDR-Bühne, da hat man seinen Kleist doch noch beherrscht. Auch eine Idee, auf die der Polizeiruf nicht kommt – den Kleist in seinem runden Todesjahr noch etwas stärker zu performen. Grundsätzlich nervt diese Gegensatzperformance jedoch, weil sie auf billige Reflexe setzt: Müssen Neuankömmlinge im Kommissariat immer nassforsch den Alten auf die Füße treten, um dann im Notfall zu beweisen, dass sie irgendwas besser können (Festplatten ausbauen, Kampfsport anwenden)? Beziehungsweise umgedreht.

Sodom und Gomorra in der Schule

Anyway, wie wir in Halle üblicherweise sagen. Der Fall mengt, wie üblicherweise in Halle, oben und unten, Mitte und Rand derart zusammen, dass man nicht immer hinschauen will: Die Musterschule von Lehrer Benneke (der große Devid Striesow) ist Sinnbild dieses Versuchs der Integration von allem, dessen Scheitern dann in sarrazinscher Münze zurückgezahlt wird – die gesellschaftlich irgendwie dysfunktionalen Spätaussiedlerkids haben die Werkstatt als rechtsfreien Raum übernommen, während die Oberschichtskinder Theaterstücke in der Aula proben. Und Lehrer Benneke schiebt, wenn man die Metaphern einmal bewusst kollabieren lassen darf, diesem Sodom und Gomorra keinen Riegel vor aus einer Hasenfüßigkeit, die Thilo Sarrazin zum nächsten Zeitungsartikel animieren würde.

Die Figur des erpressenden Flaschensammlers Marka (Christian "Weinsztein" Redl) wirft immerhin ein heiteres Licht auf die Arbeitslosenbeschäftigung hierzulande: "Ich war 15 Jahre arbeitslos. Es gibt nichts, worin ich nicht geschult worden bin." Dass die Geschichte am Ende eskaliert und daraus auch noch ein potentielles school shooting werden soll, wirkt bemüht und kalkuliert. Drehbuch und Regie verantwortet Thorsten Näter, der Konfektionist des Sonntagabendkrimis, eigene Kompositionen bleiben uns diesmal zwar vorenthalten, was aber nicht heißt, dass die Musik nicht schön fett über den Bildern kleben darf.

Ach. (Macht sich nicht nur im Kleist-Jahr gut)


Handy-Irritation (1): Schmückes Telefonmelodie ist die Eurovisionshymne, oder?

Handy-Irritation (2): Schon klar, dass Verwechslungen mit lebenden Nummern nicht beabsichtigt sein sollen, aber was, bitteschön, ist 0178-94351?

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Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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