Die Linke, der Klatsch und der Tratsch

Medientagebuch Die öffentlich gemachte Liebe zwischen Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht zeigt: Im Umgang mit dem Boulevard fehlt noch das rechte Maß

Als ich hörte, dass Oskar Lafontaine seine Beziehung zu Sahra Wagenknecht endlich öffentlich gemacht hatte, schoss mir durch den Kopf: „Das linke Traumpaar!“ Somit dachte ich leider wie die Springerpresse, wie Welt und Morgenpost, die entsprechend formulierten und titelten. Wie würden aber die beiden der Linke nahe stehenden überregionalen Tageszeitungen, wie würden Neues Deutschland und Junge Welt am Montag berichten? Nun, die JW berichtete mit keiner Zeile, und das ND verpackte die Nachricht in ihrem Bericht vom Parteitag im Saarland auf Seite 6. Beides war wohl zu erwarten. Aber entspricht dieser Umgang auch den tiefsten Wünschen der Leserschaft? Ich glaube nicht. In der Tiefe ihres Herzens hätten sich gerade die Leser dieser beiden Zeitungen bestimmt ein wenig Glamour gewünscht (nach dem deprimierenden Geknorze um das – rein politische – Anti-Traumpaar Gesine Loetzsch und Wolfgang Ernst).

Die These sei gewagt: Die Linke muss ein Verhältnis zum Boulevard entwickeln, oder sie wird untergehen. So richtig es ist, nach dem Verhältnis von Politischen zum Privaten zu fragen, so wichtig schiene eben auch, zu einer Haltung zu Klatsch und Tratsch zu kommen. Was passieren kann, wenn man sich dazu nicht ins rechte Verhältnis setzt, sei an zwei Beispielen erläutert.

a) Vaterlandsverräter. Der beeindruckende Dokumentarfilm von Annekathrin Hendel über den Schriftsteller Paul Gratzik, der sich erst bei der Stasi verdingte, dann um 1985 herum den Dienst quittierte (siehe Freitag Nr. 42), zeigte eben auch, was für ein Zeugs in diesen Berichten stand. Und wie es verbreitet wurde! Da wurde also das Mfs davon unterrichtet, dass sich X nun bei der Opernsängerin Y einquartiert habe, die, so höre man, in sexueller Hinsicht einiges von ihren Liebhabern abverlange, es würden über die Abmagerung des X ja auch schon Witze gemacht. Und das alles in das Ohr eines Führungsoffiziers! Mit Ich hat Wolfgang Hilbich einen unübertroffenen Roman über den Informanten als Double des Schriftstellers geschrieben, eine Studie zum Verhältnis von Klatsch und Diktatur steht aus. Klar ist, dass eine freie Zirkulation von Klatsch, somit auch von denen „unten“ über die „oben“, die Mauer sofort zum Einstürzen gebracht hätte. Allerdings unterminiert eine entfesselte Klatsch-Kommunikation jede Gesellschaftsordnung. Es stellt sich also die Frage nach der rechten Dosierung.

Eine schlimme Entgleisung

b) Das Buch Zug um Zug. Wie Helmut Schmidt seine Rolle als Weltweiser und very elder Statesman überfüllt, wirkt auf manche zunehmend peinlich. Zuviel Seriosität stößt eben auch ab. In den Gesprächen mit Peer Steinbrück ist die Angst vor dem Aus-der-Rolle-Fallen deutlich spürbar als Angst vor dem „Privaten“, das in Zug um Zug vor allem als Warnung präsent ist, deutlich in den Bemerkungen zum Buch über Hannelore Kohl, das Schmidt in einer Aufwallung „eine schlimme Entgleisung“, „disgusting, unerhört“ nennt. Dabei ist es doch so: Schmidt und Steinbrück sind nicht blöd, ihr Buch in seiner „hanseatischen“ Form nicht ohne Einsicht und Charme. Aber es wäre dann ein Gespräch, an das man sich auch nach Jahren erinnern würde, wenn zum Beispiel gegen die Sesselfurzer und Schwachköpfe von der SPD mal so richtig vom Leder gezogen würde, wie das in solchen Gesprächen nun einmal passiert (sagen wir auf drei Seiten).

Dass dieser Zugewinn an literarischer Qualität und menschlicher Statur mit dem sicheren Ende von Steinbrücks Kanzler-Ambitionen erkauft wäre, ist wohl wahr und lässt die Frage nach dem richtigen Maß im Umgang mit Klatsch und Tratsch umso dringlicher erscheinen. Im Fall der Liebe zwischen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine war dieses Maß aber wohl eher unter- als überschritten.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden