Ausstellung Charles Saatchi zeigt in London 24 neue Namen und nennt die Schau "Gesamtkunstwerk". Ein Besuch ist wie ein Schaufensterbummel durch die bunte Warenwelt eines Sammlers
Alle Achtung vor Charles Saatchib. Die internationale Kunst, die er in den letzten Jahren gekauft (und auch wieder verkauft) hat, reicht aus, um ganze Museen zu füllen und den Briten komplette Nationen nahe zu bringen. So hat es Saatchi bereits mit seinen Kunstwerken aus Amerika, China, Indien und einer Reihe von Ländern des Nahen Ostens gemacht, und nun stellt er auf allen drei Etagen seiner Galerie die Arbeiten von 24 Künstlern aus Deutschland aus.
Gesamtkunstwerk verdeutlicht Saatchis Kaufkraft, aber auch die Risiken, die er dabei eingegangen ist. Die Schau orientiert sich am Markt, man könnte sagen, sie bildet den Markt in gewisser Weise ab. Dennoch ermöglicht sie den Briten die Begegnung mit zeitgenössischer deutscher Kunst, die sonst nur denen vorbehalten
tgenössischer deutscher Kunst, die sonst nur denen vorbehalten bliebe, die sich auf den Weg nach Berlin machen. Keines der öffentlichen Museen in Großbritannien könnte sich eine solche Ausstellung leisten.Groß, laut und direktSei es Zufall oder nicht, während sich die Tate Modern Gerhard Richter widmet, zeigt Saatchi eine vorwiegend junge deutsche Szene. Richters Arbeiten hat Saatchi schon vor langer Zeit gesammelt. Was verwundert, ist die fehlende Schnittmenge. Richters beträchtlicher Einfluss auf die nachfolgenden Künstlergenerationen – sein Intellektualismus, seine historische Bedeutung, die meditative Tiefe seiner auf Fotografien aufbauenden Gemälde - sucht man in Saatchis Galerie vergeblich. Die hier versammelte Kunst schlägt völlig andere Richtungen ein.Das gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn man Überblick und Orientierung sucht. Eine starke, dauerhafte Strömung in der deutschen Kunst wurde zugunsten von Arbeiten außen vor gelassen, die groß und laut genug sind, um die palastartigen Räume zu füllen. Die Gemälde sind groß wie Werbetafeln und ebenso direkt. Die Skulpturen erheben sich weit in die Höhe oder breiten sich meterweit auf dem Boden aus. Der vorherrschende Eindruck der Ausstellung ist trashig, behäbig, absichtlich unschön und chaotisch.Schwarze Ballons (von Thomas Zipp) reichen in einem Raum vom Fußboden bis zur Decke. Andro Wekua verwendet auf acht Metern Breite 170 glasierte Keramikplatten, um grob den Sonnenuntergang auf einer Kinoleinwand zu zitieren.Beeindruckend sind die mit allerlei Abfallprodukten gefüllten, gewaltigen Vitrinen Max Frisingers. Die Dinge sind in diesen kleinen Welten so kunstvoll zusammengestellt, dass sie eine Bedeutung zu gewinnen scheinen, die man, als Schaufensterbummler, mit der platten Nase an der Scheibe zu ergründen sucht. Aber weniger wäre hier mehr gewesen, eine Vitrine hätte es auch getan.Müll dominiert die Ausstellung als Material und Metapher. Viele dieser Künstler, allen voran die in den siebziger Jahren Geborenen, sind Teil der sogenannten Generation der Post-Postmoderne. Sie wandern umher in einer von Leere und Niedergeschlagenheit geprägten Zeit und schaffen Kunstwerke, die – so wird behauptet – den Gespenstern der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts trotzen.Und zweifellos gibt es Widerständisches. André Butzer will mit Sicherheit nicht gemocht werden. Seine monumentalen Bilder mit gekritzelten Anspielungen auf die amerikanische und deutsche Geschichte und Popkultur, gewaltsam mit grellem Impasto gearbeitet, sind ein Affront. Ida Ekblad arbeitet ganz reell mit Müll: verbogen, zerdrückt oder in Beton gegossen und hochkant gestellt, so dass das Werk aussieht wie ein als Bild an die Wand gehängtes Stück Bürgersteig. Sie kritzelt auf Metallabfälle und meißelt in Alteisen. Eine rostige Form windet sich empor, es wirkt wie eine Parodie auf den Modernismus. Doch dann setzt Ekblad dem Ganzen die Krone auf, indem sie von der Spitze ein schmutziges Handtuch herunterhängen lässt.Dass die ausgestellten Arbeiten von Hand gemacht sind, wird in Gesamtkunstwerk betont. Anselm Kiefers graue Leinwände werden von Butzer spöttisch mit Fingerfarbe imitiert. Aus Stofffetzen und Glitzerzeug werden mühevoll große Collagen gefertigt. Alexandra Bircken baut Unterstände aus Zweigen, drapiert sie mit alten Lappen und stellt sich damit in die Tradition von Isa Genzken, der Exfrau von Gerhard Richter.Nicht nur junge KunstDie 1948 geborene Genzken übernimmt in diesem Kontext eine Art Mutterrolle. Ein ganzer Raum ist ihren Mülltürmen, schwankenden Säulen aus alten Schuhen, Kunstblumen, ramponierten Spielzeugen und Reproduktionen alter Meister gewidmet. Manche mögen das melancholisch finden, andere wiederum komisch. Doch es wirkt bewusst ausweichend. Die Ausstellung zeigt auch andere ältere Künstler, Georg Herold beispielsweise ist mit zwei Strichmännchen-Odalisken vertreten, die auf geniale Weise Zeichnung und Skulptur vereinen. Genzken aber bleibt mit ihrer Lo-Fi-Gaffaband-Ästhetik der bestimmende Einfluss.Hierin liegt ein Problem von Saatchis landesbezogenen Ausstellungen. Seien sie noch so perfekt konzipiert – selbst die schwächsten Werke wirken hier auf den ersten Blick stimmig -, die Kunst hat nicht den Raum, um unter ihren eigenen Bedingungen zu sprechen. Ähnlichkeiten treten hervor, nicht das Einzigartige.Es handelt sich eindeutig nicht um einen Querschnitt der zeitgenössischen deutschen Kunst. Die größten Namen – Anselm Kiefer, Thomas Schütte, Andreas Gursky, Thomas Scheibitz, Neo Rauch – hat Saatchi schon vor Jahren gezeigt. Sie bleiben nun außen vor zugunsten neuer Namen. Doch selbst innerhalb dieses Rahmens zeugt die Auswahl noch von etwas sehr Speziellem, nämlich von Saatchis eigener Vorliebe für das Glatte, Epigrammatische, das Effekthascherische und Originelle, vor allem aber für die unmittelbar erkennbare Optik.So findet man hier also die Zwillinge Gert und Uwe Tobias mit ihren bunten Kreisen und biomorphen Abstraktionen - ein bisschen Klee, ein bisschen Miró – mit dem Unterschied, dass sie sich als Holzschnitte erweisen, die auf wandlangen Leinwänden angebracht sind. Oder das großformatige Modell, das in fast allen Ausstellungen Saatchis vorkommt – in diesem Fall Zhivago Duncans postapokalyptische Bergkette, durch die kleine Züge, Flugzeuge und Autos gondeln: Spielzeugkunst, die Spaß macht.Die Galerie als bunte WarenweltDie Exponate muten wie Waren an, weil sie so behandelt werden. Man bahnt sich neugierig seinen Weg durch das Sortiment der Themen: Geopolitik, Gender, heftige Comedy. Sowas machen die also, in Stuttgart und New York (einige der ausgestellten deutschen Künstler leben im Ausland, andere wiederum sind in Deutschland lebende Amerikaner oder Skandinavier). Beim Umhergehen lässt man ein Exponat hinter sich und vergisst es schon, während man sich dem nächsten zuwendet. Auf ein Werk steuert man zu, an anderen geht man vorbei. Wäre man in einem Kaufhaus und nicht in einer Galerie, es fühlte sich an wie Shopping.Wenn Gesamtkunstwerk also überhaupt für etwas steht, dann für den Markt: zeitgenössische Kunst, die sich kommerziell noch entwickelt, ihre Biennale-Phase durchläuft oder sich, mit etwas Glück, bereits auf dem Weg in eine private Sammlung oder in ein Museum befindet. Diese Ausstellung mag ihr dabei helfen oder nicht. Aber es ist unwahrscheinlich, dass diese Kunst mit Charles Saatchi zur Ruhe kommt.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.