Steinmeiers Pseudodiplomatie

UN-Konferenz Einige EU-Staaten bedenken die Genfer UN-Antirassismus-Konferenz mit einem Boykott, andere mit einem Besuch – so vielstimmig kann gemeinsame EU-Außenpolitik sein

Es werde zu einer gemeinsamen europäischen Reaktion kommen, gab Außenminister Steinmeier noch vor Tagen zu verstehen, als die Debatte um die Genfer Antirassismus-Konferenz der UNO aufflackerte. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits die Niederlande und Italien mitgeteilt, sie verweigerten eine Teilnahme. Also musste – wer Steinmeier ernst nahm – annehmen, die „gemeinsame Reaktion“ der EU besteht in gemeinsamer Abstinenz. Oder doch in gemeinsamer Teilnahme? Weil Frankreich nie einen Zweifel ließ, an der Genfer Veranstaltung teilnehmen zu wollen – und auch Großbritannien sich ähnlich äußerte?


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Warum wird uns eine Diplomatie der vorsätzlichen Täuschung zugemutet, die einen europäischen Konsens suggeriert, den es nie gab und nie geben konnte. Allein die Beziehungen des Quai d'Orsay zur arabischen Welt schlossen das a priori aus. Offenbar stand das deutsche Nein zu Genf längst fest, als Steinmeier noch so tat, als könnte es auch ein Ja geben. Doch scheint die Gefolgschaft gegenüber Israel inzwischen auch dann Staatsräson zu sein, wenn die israelischen Armee – wie in Gaza vor drei Monaten geschehen – einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung führt, dem mehr als 1.300 Menschen zum Opfer fallen. Ein Akt der Inhumanität, der auf dem Genfer UN-Treffen gewiss zur Sprache kommen wird. Wie hätte sich eine deutsche Delegation dann verhalten? Hätte sie Kriegsverbrechen verteidigt? Wer das vermeiden will, muss der nicht Abstand halten?

Auf keinen Fall. Die deutsche Entscheidung gegen eine Teilnahme ist gerade jetzt mehr als fatal. Sie fällt in einem Moment, da eine rechte, in Teilen sogar ultrarechte Regierung in Israel noch nicht einmal anerkennt, was bisher kleinster gemeinsamer Nenner aller Nahost-Diplomatie war (ob sie nun das Etikett "Oslo", "Road Map" oder "Annapolis" trug): Auf Dauer kann der israelisch-palästinensische Konflikt nur überwunden werden, wenn es eine Zwei-Staaten-Lösung gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Die Weigerung, in Genf gegen einen Rassismus Stellung zu nehmen, wie er die Palästinenser seit über 60 Jahren heimsucht, ist für Premier Netanyahu quasi der Freifahrtsschein, so weiter machen zu können, wie er mit seiner Regierung angefangen hat: Unversöhnlich und kompromisslos in jeder Beziehung. Gleiches gilt für die Abwesenheit der USA. Damit verliert die versprochene neue Nahost-Politik an Glaubwürdigkeit. George Bush und Condeleezza Rice hätten sich kaum anders verhalten als jetzt Barack Obama und Hillary Clinton. Auch sie hätten Genf die kalte Schulter gezeigt.

Doch zurück zum Berliner Eiertanz. Eine Regierung, die meint, nicht schweigen zu dürfen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen in China, Russland, Weißrussland, Kuba, Nordkorea oder Simbabwe geht, kann wunderbar schweigen, wenn die israelische Armee den Gaza-Streifen einäschert, nachdem sie ihn zuvor jahrelang blockiert und belagert hat. Man stelle sich vor, die chinesische Armee fände Gefallen an einem vergleichbaren Umgang mit Tibet. Man könnte die Statements, die den Hohepriestern der Weltmoral in Berlin, Washington und anderswo dann von den Lippen tropfen würden, getrost schon einmal vorformulieren.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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