Spielcasino künftig mit Einlasskontrolle

Im Gespräch Die von US-Präsident Obama verkündeten verschärften Kontrollen des US-Kapitalmarktes treffen nach Ansicht des Ökonomen Rudolf Hickel das Nervensystem der Finanzwelt

Freitag Was lässt sich von Obamas Radikalreformen für den Euroraum übernehmen?

Rudolf Hickel: Auf jeden Fall die in den USA vorgesehene neue Verbraucherschutzagentur, damit die kleine Rentnerin nicht mehr mit dem Zertifikat von der Citibank über den Tisch gezogen werden kann. Der EU-Gipfel hat ja gestern Abend einen ersten Entwurf zu dieser Art Finanz-TÜV diskutiert. Der neu zu schaffende System-Risikorat im Euroraum wird bei der Notenbank, also der Europäischen Zentralbank EZB, angehängt. Leider hat Großbritannien bei der Sicherung nationaler Kompetenz im Rahmen der Bankenaufsicht einen faulen Kompromiss erzwungen. Schließlich sollte die EU im Unterschied zu den USA eine Verstaatlichung der Rating-Agentur durchsetzen, die bei Obamas Programm der Finanzaufsicht leider nicht vorgesehen ist.

Würde dieses Verstaatlichungsgebot denn für alle 27 EU-Staaten gelten?

Es geht nicht anders. Man muss einen Mindeststandard der Harmonisierung einführen. Wenn die Rating-Agenturen nicht in allen Ländern gleich behandelt werden, bekommen wir wieder eine Deregulierungskonkurrenz.

Sollte das in der Verantwortung der nationalen EU-Regierungen oder einer EU-Behörde, zum Beispiel der Kommission, liegen?

Man muss nationale Behörden schaffen, aber in einer EU-Behörde zusammenführen. Man kann sich das in etwa so vorstellen wie beim Kartellrecht: Wir haben ein Bundeskartellamt und ein europäisches Kartellgesetz Was unterhalb großer Fälle liegt, wird national geregelt. Oberstes Ziel muss die Auflösung der Zersplitterung in national unterschiedliche Aufsichtssysteme sein. 


Lassen Sie uns noch über einige Kernpunkte des von Barack Obamas vorgelegten Papiers zur radikalen Reform der US-Finanzaufsicht reden. Ist das der entscheidende Schritt, um die Kapitalmärkte zu beruhigen?

Soweit kann man vielleicht nicht gehen. Aber was man auf diesen 89 Seiten liest, erlaubt auf jeden Fall eine Schlussfolgerung: Da will einer wirklich transparente Verkehrsregeln für die Finanzmärkte. An einer Stelle heißt es, es sollen Kontrollen der Geschäfte der Investmentbanken "bis in den letzten Winkel der Welt" kontrolliert werden. Ich kann dem von der Grundrichtung her nur ausdrücklich zustimmen. Der massive Widerstand beispielsweise durch Goldman Sachs und JPMorgan Chase, ja selbst die Kritik durch die Deutsche Bank, belegen, dass der amerikanische Präsident mit diesem Programm das Nervensystem der Finanzwelt getroffen hat.

Halten Sie es für richtig, wenn die US-Zentralbank Fed zum Super-Cop für den US-Finanzmarkt aufsteigt?

Das ist ein notwendiger Schritt, weil die Fed jetzt wirklich die Aufsicht über die Großbanken und zugleich die Kontrolle über die Nischenprodukte – die so genannten riskanten Papiere – erhält. Auch wenn damit ein deutlicher Machtzuwachs verbunden ist – ihn gerade diesem Institut zu ermöglichen, erscheint mir von der Grundentscheidung her nötig. Die Notenbank hat nun einmal den besten Durchblick, in welchem Zustand sich die einzelnen Banken befinden. Hinter diesem Votum steht die Aussage, dass der Notenbank nicht die maßgebliche Schuld an der heutigen Finanzmarktkrise in den USA zugeschoben werden kann. 


Völlig neu wird die Einrichtung einer US-Verbraucherschutzagentur, der Consumer Financial Protection Agency CFPA, sein.

Ein wirklich lobenswerter Vorgang, weil er das aufnimmt, was wir in Deutschland unter dem Begriff TÜV für Finanzmarktprodukte diskutieren. Das sorgt für eine Kontrolle solcher Papiere zugunsten kleiner Anleger. Also wenn Sie so wollen, das Spielcasino bleibt geöffnet, aber Barack Obama hat es mit Türstehern ausgestattet, über deren Kompetenz, aber auch Bestechlichkeit wir noch nichts Endgültiges wissen.

Das Gespräch führte Lutz Herden

Rudolf Hickel, 67, war Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen und ist seit 2001 Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW). Hickel vertritt einen nachfrageorientierten Ansatz in der Wirtschaftspolitik und ist ein Vertreter einer neokeynesianischen Position.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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