Peter Galbraith, einst stellvertretender UN-Sondergesandter für Afghanistan, nimmt kein Blatt vor den Mund und greift seinen Ex-Chef Kai Eide scharf an. Der habe vorsätzlich das Ausmaß des Betrugs bei der Präsidentenwahl vom 20. August heruntergespielt, bei der in einer Region „zehn Mal so viele Stimmen registriert wurden als es dort Wähler gab.“ Galbraith war daraufhin vor einer Woche gefeuert worden, nachdem Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem norwegischen Diplomaten Eide über den Umgang mit dem Wahlbetrug öffentlich wurden. Der Geschasste hatte erklärt, die Dimension der Manipulationen habe „den Taliban ihren größten strategischen Sieg in den acht Jahren des Kampfes gegen die Vereinigten Staaten und ihre afghanischen Alliierten“ beschert. Das Votum sei eine „vorhersehbare Katastrophe“ gewesen, Kai Eide habe untätig zugesehen, wie afghanische Wahlbehörden und dem Präsidenten ergebene Minister Schritte unterlassen hätten, die den massiven Betrug hätten eindämmen können.
Durch einen Kommentar in der Washington Post vom Wochenende meldete sich Galbraith inmitten wachsender Schwierigkeiten für die Kriegsanstrengungen der USA zu Wort. Die werden von schwindender Sicherheit, immer mehr Todesopfern und wachsender politischer Unsicherheit heimgesucht. Das US-Militär hatte am 3. Oktober die höchste Zahl an Gefallenen seit einem Jahr zu beklagen, als acht Soldaten bei Angriffen auf Außenposten im Osten getötet wurden.
Die grüne Karte
Galbraiths Eröffnung könnte den von vielen Diplomaten in Kabul vermuteten Versuch Eides und der USA torpedieren, die Kontroverse über Wahlfälschungen so klein wie möglich zu halten und Karzai schnell als wiedergewählten Präsidenten auszurufen. Oppositionspolitiker, darunter der zweitplatzierte Bewerber Abdullah Abdullah, der eine Stichwahl verlangt, beziehen sich logischerweise auf Galbraiths Statements seit der am 30. September von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon gefeuert wurde. Kurz danach warf Abdullah Eide vor, „dem Betrug die grüne Karte gezeigt zu haben, um den Ausgang der Wahl zu beschließen.“
Der Krieg der Worte zwischen Galbraith und den Vereinten Nationen – zunächst hatte man versucht, den Streit als „persönlichen Disput“ darzustellen – war zunehmend eskaliert. In einem Brief an Ban, der auch der New York Times zugespielt wurde, erhebt Galbraith vernichtende Anschuldigungen gegen Eide erhoben. Unter anderem habe dieser angeordnet, den Wahlbeamten Informationen nicht zu übermitteln, die eine äußerst geringe Wahlbeteiligung im Süden belegten, wo die Einschüchterungskampagne der Taliban gegen die Wähler am effektivsten war.
Selbst ausgefüllt
Galbraith erklärt weiter, Eide habe ihm befohlen, sich nicht länger für die Bekämpfung von „Geister-Wahllokalen“ einzusetzen. Gemeint sind Wahlbüros, die aus Sicherheitsgründen gar nicht erst geöffnet werden konnten, aber nichtsdestotrotz Stimmzettel erhielten, die von korrupten Beamte dann selbst ausgefüllt wurden.
In seinem mit Was ich bei den afghanischen Wahlen gesehen habe betitelten Artikel in der Washington Post geht Galbraith sogar noch weiter und behauptet, ein Drittel der Stimmen für Karsai sei falsch gewesen. Sollte dies wahr sein, hätte der Präsident deutlich weniger als 50 Prozent erhalten, die ihm eine Stichwahl in der ersten Runde ersparen. Dem vorläufigen Ergebnis zufolge entfielen 55 Prozent der Stimmen auf Karsai und 28 Prozent auf Abdullah.
Die von der UNO unterstützte Kommission für Wahlbeschwerden hat bisher nicht mehr getan, als eine Überprüfung von zehn Prozent der Stimmen anzuordnen, die beinahe vollständig an einen einzigen Kandidaten gingen – es handelt sich um lediglich 3.063 Wahlzettel.
Galbraith seinerseits schrieb: „Präsident Obama braucht einen legitimen afghanischen Partner, damit jegliche neue Strategie für das Land funktionieren kann. Der massive Betrug, der sich am 20. August ereignete, ist jedoch quasi eine Garantie dafür, dass eine aus dieser Wahl hervorgehende Regierung für viele Afghanen keine Glaubwürdigkeit besitzt.“ Gelingt es den USA nicht, eine Verbindung mit einem legitimen afghanischen Partner aufzubauen, wären sie hierdurch in ihren Möglichkeiten drastisch eingeschränkt.
Übersetzung: Zilla Hofman