Politik
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„Es wäre besser, wenn es keine Einigung gibt“
Höchstpersönlich verhandelten am Freitag die Regierungschefs aus 120 Ländern. Doch Umweltschützer sagen inzwischen, ein Scheitern würde dem Klima mehr nützen
Mitten im Konferenzzentrum zu Kopenhagen hängt eine große Weltkugel. Wann immer man dort während der vergangenen zehn Tage vorbeikam, stand wenigstens einer der Klimadiplomaten wie Atlas gebeugt, und lud sich die Erde auf die Schultern. Fürs Foto natürlich: Seht her, ich bin dabei, bei der Rettung der Welt.
Doch die Realität auf dem Verhandlungsparkett ist eine andere: 119 Staats- oder Regierungschefs waren am Donnerstag und Freitag nach Kopenhagen gekommen und zuvor schon Hunderte Minister, Tausende Wissenschaftler, Zehntausende Klimaschützer. Und trotzdem war nach 254 Verhandlungsstunden – bis zum Redaktionsschluss – noch kein Klimaabkommen in Sicht.
Auf mindestens zwei Gleisen läuft das Programm in Kopenhagen: Da ist zunächst die Sh
ächst die Show fürs heimische TV-Publikum. Seit Mittwoch halten die Staats- oder Regierungsschefs ergriffene Reden, die stets den Appell enthalten, jetzt doch bitteschön zu handeln. Was, zweitens, auch tatsächlich passiert – nur eben weitgehend ohne vernünftige Ergebnisse.Am Donnerstagabend war eine Runde von Spitzenpolitikern zusammengekommen, die den bis dahin erreichten Verhandlungsstand zusammenfasste und eine kleine Unterverhandlungsgruppe bildete. „Alle Interessenlagen sind in dieser Gruppe repräsentativ vertreten“, erklärt Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Für die EU beispielsweise sind Frankreich, Großbritannien und Deutschland am Tisch. Die USA, Australien oder Japan sind Repräsentanten der sogenannten Umbrella-Group, unter der sich in Kopenhagen die Industriestaaten versammelt haben, die nicht zur EU gehören. Grenada sitzt für die Allianz kleiner Inselstaaten (AOSIS) in der Runde, Äthiopien, Sudan, Algerien für die Afrikaner, China, Brasilien und Indien für die Schwellenländer oder Mexiko für die sogenannte Environmental Integrity Group (EIG), ein weiterer Zusammenschluss von Ländern in Kopenhagen.Um 23 Uhr am Donnerstagabend trat diese Gruppe ein erstes Mal zusammen, ein paar Stunden nach dem offiziellen Galadinner bei Königin Margrethe. Da legte der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen, der den Gipfel leitet, einen Vertragsentwurf vor, der – wie es Röttgen ausdrückt – „nicht der Verantwortung gerecht wird, die wir hier zu leisten haben“. Frankreich und Großbritannien blockierten den Entwurf ebenfalls als „zu lasch“. Daraufhin wurden die Verhandlungen unterbrochen: Drei Uhr am frühen Freitagmorgen legte die dänische Konferenzleitung einen neuen, verbesserten Entwurf vor. Diesmal urteilte der Bundesumweltminister: „Der Entwurf entspricht nicht der EU-Position, aber er hat immerhin eine solche Qualität, dass es nicht zu verantworten wäre, diesen Text nicht auszuverhandeln.“Bis 7.30 Uhr beugten sich die Umweltminister über den Text. Sie nennen ihn „Hut“ oder „Dach“ - also einen Text, der über das seit 1997 existierende Kyoto-Protokoll und über die 1992 unterzeichnete Klimarahmenkonvention gestellt wird. So könnte der größte Konflikt von Kopenhagen entschärft werden: Die USA wollen nämlich auch unter Präsident Obama das Kyoto-Protokoll nicht anerkennen, weil sie nach den verheerenden Bush-Jahren die darin enthaltenen Klimaverpflichtungen niemals erfüllen können. Auf der anderen Seite wollen Länder wie China nichts anderes verhandeln als eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls – denn darin waren sie selbst noch von völkerrechtlich bindenden Reduktionen ihres Treibhausgas-Ausstoßes ausgenommen gewesen. Und so, fordert Peking, solle es auch bleiben, schließlich habe man eine wirtschaftliche Entwicklung nachzuholen.Kurz vor neun Uhr am Freitag trafen sich dann die Staatschefs wieder, zu dem Zeitpunkt war Obama gerade in Kopenhagen aus dem Flugzeug gestiegen. Zeile für Zeile gingen sie den dreiseitigen Text durch, der dieser Zeitung vorliegt. „Ich glaube noch niemals haben Staatschefs so ernsthaft Textarbeit betrieben“, sagt Röttgen.Am Mittag waren immerhin acht von zwölf strittigen Punkten behandelt. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagte da einer der Chefverhandler. Tatsächlich aber fehlen in dem Papier harte Zahlen, sowohl für die Senkung des Treibhausgas-Ausstoßes als auch für Finanzzusagen an die Entwicklungsländer.In der Mittagspause sorgte eine ungewöhnlich schwache Rede von US-Präsident Barack Obama für neue Irritationen. Es sei „absolut nicht hinnehmbar, dass der historisch größte Verschmutzer“ keine Finanzzusagen auf den Tisch lege, sagt ein führendes Delegationsmitglied aus Gabun dieser Zeitung. Röttgen dagegen sieht die Verhandlungen auf gutem Weg: „Alles liegt auf dem Tisch. Wir brauchen nur noch einen Willensakt, die Teile zusammenzufügen“. Und weil ein solcher Akt nicht besser werde, wenn man ihn in die Länge zieht, „wird es noch heute eine Entscheidung geben“. Und dann fügt er schnell noch an, „zumindest wenn wir unsere Chance nutzen“.„Es wäre viel besser, wenn es auf dieser Konferenz keine Einigung mehr gibt“, urteilt dagegen Christoph Bals von der Klimaorganisation Germanwatch. Er verfolgt Gipfel wie den in Kopenhagen seit mehr als einem Jahrzehnt, und er sagt: „Das, was jetzt verabredet wird, ist nicht anderes als Grünfärberei.“