Eine Spöttelei mit Folgen

Großbritannien Die Versuchung für die Labour Party, im Vorfeld der Unterhauswahl mehr auf Klassenkampf zu setzen, scheint groß zu sein. Nützen wird es nicht viel

Kürzlich wurde Gordon Brown in einer Fernsehsendung auf seine Spöttelei angesprochen, die Politik des konservativen Oppostionsführers David Cameron beim Thema Erbschaftssteuer sei plutokratisch. Man müsse annehmen, er habe sie sich auf den Sportplätzen der Eliteschule Eton ausgedacht, spöttelte der Premierminister und hielt das Thema damit für erledigt. Doch die Bemerkung stieß eine Debatte darüber an, ob die Labour Party den anstehenden Wahlkampf möglicherweise mit einer Klassenkampfstrategie angehen wolle.

Nicht ganz so klar

1997 lautete die Doktrin von New Labour, Klassenkampfrhetorik habe sich in einer modernen, leistungsorientierten und multikulturellen Gesellschaft überholt, in der alle zur Mittelschicht gehören wollten und sich um adäquate Ansichten bemühen würden. Dass die gesellschaftlichen Klüfte und Ungleichheiten in Großbritannien dies freilich stur widerlegen, focht New Labour nicht weiter an.

2010 ist die Sache nicht mehr ganz so klar. Seit 1964 hat kein Eton-Absolvent in Downing Street Number Ten residiert. Die sechs auf Premier Lord Alec Douglas-Home folgenden Regierungschef – egal, ob sie von Tory und Labour waren – besuchten allesamt staatliche Schulen. Dann kam Tony Blair (Fettes College), und heute nun macht die Tory-Führung einen äußerst standesbewussten, Eton-haften Eindruck. Nimmt man die Gescheitert-aber-ohne-Reue-Haltung der Banker, die aus der Finanzkrise nicht die geringsten Konsequenzen gezogen haben sowie die Ankündigung Camerons hinzu, die Grenze für die Erbschaftsteuer auf eine Million Pfund anzuheben, wenn er die Wahl gewinnt, dürfte die Versuchung für Labour-Anhänger schon recht groß sein, wieder auf die Klassenkampf-Karte zu setzen.

Brown-Anhänger wie die Minister Jack Straw und Peter Mandelson warnen dagegen eindringlich davor, eine Spöttelei des Premierministers zur Strategie für den Wahlkampf aufzublasen. Mit einem solch kruden Ansatz ließen sich keine Wahlen gewinnen. Schließlich sei die Partei in den Jahren zwischen 1979 und 1992 bereits viermal damit gescheitert. Mit dem Klassenthema könnten die Sozialdemokraten auf der Insel praktisch seit 1974 nicht mehr punkten – und damals war die Industriearbeiterschaft noch erheblich größer als heute.

Einige Beobachter neigen zu der Ansicht, das ganze Klassenkampfgerede werde von der Tory-Presse aufgebauscht, um Labour damit zu schaden. Bei den britischen Sozialdemokraten dreht sich viel mehr alles um die Frage, wie man die auf sozialen Aufstieg Bedachten für sich gewinnen könne. Sie reden daher von Dingen, die in diesem Milieu verstanden werden: Chancen, Optimismus und Fairness. In den Vereinigten Staaten nennt man diese Leute „Reagan Democrats“. Amerikaner, die aufgestiegen sind und darauf hoffen, noch weiter aufzusteigen. Andererseits haben sie aber auch Angst vor einem möglichen sozialen Abstieg. Sie wollen gute staatliche Schulen und ein funktionierendes öffentliches Gesundheitssystem, aber keine unfairen Steuerbelastungen.

Schlüssel zum Erfolg

Die Aufsteiger können von Labour erreicht werden, wenn die Partei den Bogen nicht überspannt. Die 50-Prozent-Steuer auf Banker-Boni von Schatzkanzler Alistair Darling erfreut sich großer Beliebtheit. Für die Anhebung des Spitzensteuersatzes von 40 auf 50 Prozent für Einkommen über 150.000 Pfund gilt das weniger. Die Überlegungen von David Cameron und George Osborne auf der konservativen Gegenseite gehen in die gleiche Richtung. Sie haben sich entschlossen, ihre geplante Erbschaftssteuerreform zu verschieben, die hauptsächlich den besser Begüterten zugute käme und gaben vor kurzem bekannt, im Falle eines Wahlsieges zunächst mehr Geld für den National Health Service zur Verfügung zu stellen.

Privilegien, nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse – das Angebot von Chancen, nicht Witze über den politischen Gegner, daraus ergibt sich für Labour wie für die Tories ein Schlüssel zum Erfolg. Den karrierebewussten Wählern dürfte David Camerons Vermögen egal sein, solange sie den Eindruck gewinnen, dass er fähig ist, ihre Situation zu begreifen. Und sie werden Brown nicht deshalb abwählen, weil er eine staatliche Schule besucht hat, sondern weil sie ihm nicht zutrauen, die Lage fest im Griff zu haben.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Michael White, The Guardian | The Guardian

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