Früchte des Zorns

Nigeria Der vereitelte Bombenanschlag von Detroit warf auch ein Schlaglicht auf den Norden Nigerias, dessen Zustand US-Terrorismusexperten schon lange mit Sorge betrachten

Im Norden Nigerias haben sich die überwiegend muslimischen Gebiete seit Jahren radikalisiert, was dazu führte, dass in weiten Teilen der Region säkulare Rechtssysteme durch die Scharia ersetzt wurden. Die nigerianische Regierung behauptet aber, sie sei über lokale Al-Qaida-Zellen und deren Finanzierungsquellen im Bilde.

Erste Todesstrafe

Doch gelten die Befürchtungen im Westen weniger der Rekrutierung von al Qaida als vielmehr radikalisierten Einzeltätern, die dazu fähig sind, vorhandene Verbindungen in die Vereinigten Staaten, nach Großbritannien und in andere westliche Staaten für Anschläge zu nutzen – wie Umar Farouk Abdulmutallab. An seiner Familie lässt sich die Spaltung erkennen, die zu einem islamistisch gefärbten Aufbegehren gegen das nigerianische Establishment geführt hat. Abdulmutallabs Vater war Minister in den als korrupten verrufenen, aber vom Westen unterstützten Regierungen der jüngsten Vergangenheit. Es kann daher kaum verwundern, wenn im zurückliegenden Jahrzehnt islamistische Politiker auf einer Welle des Zorns gegen korrupte Militärführer und deren Paladine an die Macht gespült wurden.

Die Vorreiterrolle spielte der nördliche Bundesstaat Zamfara, in dem mit Ahmed Sani Yerima der erste Fundamentalist ins Amt des Gouverneurs gewählt wurde, der die Scharia zur Grundlage der Rechtssprechung erklärte. Aber auch in Abdulmutallabs Heimatstaat Katsina haben die Menschen unter derartigem Fundamentalismus zu leiden wie kaum irgendwo sonst. 2002 wurde dort eine Frau von einem islamischen Gericht zum Tod durch Steinigung verurteilt, weil sie Ehebruch begangen und ein außerehelich gezeugtes Kind zur Welt gebracht hatte (der Vater des Kindes wurde nicht belangt). Ein ebenfalls nach den Geboten der Scharia urteilendes Berufungsgericht kassierte zwar das Urteil. Aber noch im gleichen Jahr wurde in Katsina die erste Todesstrafe vollstreckt, die nach islamischem Recht verhängt worden war.

Über Nigeria hinaus

Diese Radikalisierung brachte die Gruppen Boko Harram hervor, die sich zugleich als Filiale der Taliban bezeichnete. Geführt wurde sie von Mohammed Yusuf, der bereits wegen der Annahme von Al-Qaida-Geldern unter Anklage stand, als Boko Harram Angriffe auf Polizeistationen im Norden des Landes verübte, bei denen in vier Städten mehr als 700 Menschen ums Leben kamen – die meisten freilich gehörten zu den Angreifern. Yusuf wurde im Vorjahr von der Polizei erschossen, als die sein Haus umstellte. Trotz der nachgesagten Kontakte zu al Qaida, richtete sich die Militanz von Boko Haram vorrangig gegen die schwache, lange schon diskreditierte nigerianische Regierung. Millionen verarmter und frommer junger Nigerianer teilen diese Wut. Westliche Anti-Terror-Beamte fürchten, diese Empörung könnte über die Grenzen Nigerias hinaus spürbar waren.

Übersetzung: Holger Hutt


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Geschrieben von

Chris McGreal, The Guardian | The Guardian

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