In Frankreich haben acht Wochen dauernde Schulferien und die Tour de France begonnen. In der Politik herrscht in der Regel dann eher Windstille. Da Nicolas Sarkozys Umfragewerte im Keller sind – drei Viertel der Franzosen hat er nach einer Umfrage des konservativen Le Figaro mittlerweile gegen sich – verabreicht der Präsident dem Publikum ein paar Beruhigungspillen mit einem groß angekündigten Sparprogramm (100 Milliarden in drei Jahren). Ansetzen soll es zuerst bei der Regierung. Die Minister müssen ihre persönlichen Beraterstäbe – die cabinets sind wichtiger und einflussreicher als die Ministerialbürokratie – auf 20 Getreue beschränken. Ferner sollen sie mehr Zug fahren. Der Präsident will 10.000 Dienstwagen und 7.000 D
0 Dienstwohnungen streichen, auch entfiel die präsidiale Gartenparty zum Nationalfeiertag am 14. Juli aus Gründen der Sparsamkeit.Zigarren für 12.000 EuroAuf optimale mediale Wirkung angelegt wie alles, was der Hyperpräsident tut, war das nicht ganz ungeschickt, um dem Publikum zu suggerieren: Beim Sparen fängt die Regierung zuerst bei sich selbst an. Wer dem zuwiderhandelt, dem droht Demission. Sarkozy: „Bestimmte Verhaltensweisen von Ministern haben mir nicht gefallen. Ich werde daraus strenge Konsequenzen ziehen“. Sowohl diese Drohung als auch die Ankündigung der Sparmaßnahmen erfolgten, nachdem spektakuläre Fälle von ministerieller Selbstbedienung bekannt wurden und auf Zustände wie in einer Bananenrepublik deuteten: Ein Staatssekretär besorgte sich Zigarren im Wert von 12.000 Euro auf Staatskosten, ein anderer eine illegale Bewilligung für den Ausbau seiner Villa am Mittelmeer. Ein dritter mietete für 116.500 Euro einen Privatjet, um auf Dienstreise zu gehen. Zwei Staatssekretäre mussten wegen solcher Delikte bereits zurücktreten. Noch im Amt sind der Industrieminister, in dessen Dienstwohnung seine studierende Tochter wohnt, und die Ministerin für Städtebau, die eines ihrer vom Staat bezahlten Appartements dem Bruder überlässt. Dass sich Regierungspersonal auf Staatskosten üppig ausstattet, ist das Erbe einer Pfründewirtschaft, der es gelang, auch ohne Monarchie zu überleben.Für Sarkozy ist das nicht ungefährlich. Bei jeder passenden Gelegenheit beruft er sich auf die Werte der Republik – mit Vorliebe auf die Gleichheit. Er kokettiert gern mit seiner ungarischen Herkunft und der Tatsache, dass er nicht zur alten Elite gehört und auch keine Elitehochschule absolviert hat. Dass er jetzt eine Regierung dirigiert, die den Gleichheitsgrundsatz mit so viel elitärer Arroganz verletzt, schadet seinem Ansehen ebenso wie die engen Beziehungen Sarkozys zu steinreichen Freunden, die ihm ihre Yachten, Flugzeuge und Ferienhäuser zur Verfügung stellen. Sarkozy wollte Frankreich reformieren und einen. Kein Präsident vor ihm hat das Land so enttäuscht und gespalten.Freilich sind die bekannt gewordenen Affären gleichsam Skandälchen, verglichen mit dem, was jetzt Stück für Stück enthüllt wird. Liliane Bettencourt ist 87 Jahre alt und die reichste Frau Frankreichs. Sie erbte 1957 den Kosmetikkonzern L’Oréal. Heutiger Wert: 14,4 Milliarden Euro. Als Dreingabe erhielt sie noch Nestlé-Anteile im Wert von 4,1 Milliarden. Die Frau verfügt nach www.rue89.com, einer der wenigen sachkundigen und seriösen Internet-Zeitungen, über ein monatliches Einkommen von 34 Millionen Euro und deshalb auch über Konten in der Schweiz sowie – als Rückversicherung gegenüber der Steuerfahndung – über komfortable Beziehungen zum ehemaligen Finanz- und heutigen Arbeitsminister Eric Woerth. Dessen Ehefrau Florence war bis vor kurzem für eine Finanzberatungsfirma der reichen Erbin tätig. Woerth leitete das Finanzressort, als bereits gegen Liliane Bettencourt wegen Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Und noch während die Untersuchung vonstatten ging, erhielt sie 2008 eine Steuerrückzahlung von 30 Millionen Euro. In einem wirklichen Rechtsstaat würde das allemal für einen Rücktritt reichen, nur gelten im „Sarkoland“ andere Standards.Von der Justiz nicht greifbarDen Freund und Arbeitsminister Eric Woerth kann Sarkozy nicht so leicht ersetzen wie die beiden Staatssekretäre, derer er sich als Bauernopfer entledigte. Woerth muss Sarkozys wichtigstes Vorhaben – die umstrittene Rentenreform – durchbringen. Obendrein verkörpert er so etwas wie den Motor des „Systems Sarkozy“. Mit einer Entlassung geriete die verfilzte politische und wirtschaftliche Elite, wenn nicht auf die Anklagebank, so wenigstens an den Pranger. Scheitert die Rentenreform, bekommt „nur“ der defizitäre Staatshaushalt noch mehr Schlagseite. Aber damit ist die Cause Bettencourt keineswegs ausgereizt.Eine ehemalige, nicht über jeden Zweifel erhabene Buchhalterin von Liliane Bettencourt erklärte öffentlich, Sarkozy habe schon als Bürgermeister von Neuilly zwischen 1983 und 2002 regelmäßig dicke Briefumschläge mit Bargeld persönlich bei seiner Gönnerin abgeholt genauso wie 2007 der Schatzmeister der Präsidentenpartei UMP – und der hieß seinerzeit Eric Woerth und soll 150.000 Euro bekommen haben. Die Buchhalterin relativierte ihre Vorwürfe inzwischen und wirft der Netzzeitung www.mediapart.fr vor, ihre Aussagen, deren Kern sie aufrechterhält, „dramatisiert“ zu haben. Woerth vermutet hinter all diesen Angriffen nur „eine politische Intrige der Sozialisten“ und bestreitet, je einen Euro von der Milliardärin empfangen zu haben. Auch Sarkozy ließ dementieren, seine Wahlkampfbudgets als Bürgermeister von Neuilly und als Präsidentschaftskandidat mit dem Schwarzgeld der Milliardärin aufgestockt zu haben.Juristisch kann ein französischer Präsident während seiner Amtszeit nicht belangt werden. Für die 2012 anstehenden Präsidentschaftswahlen jedoch ist diese handfeste Parteispenden- und Steueraffäre ein weiterer Klotz am Bein für Sarkozy, droht ihm doch zu allem Überfluss noch eine Blamage im Berufungsprozess seines Rivalen Dominique de Villepin, der sich von Sarkozy verleumdet fühlt.Wahlkampftaktisch ist das alles wenig komfortabel: Sitzt der Präsident die Bettencourt-Affäre einfach aus, gerät er unter Dauerbeschuss von Opposition und Medien. Entlässt er seinen Arbeitsminister Woerth, erklärt er den stärksten Mann im „System Sarkozy“ zumindest indirekt für korrupt. Ein ruhiger Sommer jedenfalls steht kaum bevor. Die UMP-Granden werden nervös und fordern Sarkozy öffentlich auf, sich direkt ans Volk zu wenden – mit einer medialen Show. Wenn das nicht hilft, bleibt ihm immer noch Symbolpolitik wie die Abstimmung über ein Burka-Verbot. Aber seine Wahlchancen für 2012 sinken weiter.