Parteien als Getriebene

Berlin Rekommunalisierung wird ein Wahlkampfthema. Zuerst mussten die Bürger die Sache aber selbst in die Hand nehmen und die Parteien vor sich her treiben

Gerade hat Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linkspartei in einer Hauptstadtzeitung sein Konzept eines „Bürgerstadtwerks für Berlin“ vorgestellt. Es gehe darum, „die öffentliche Verfügung über die Strom-, Gas- und Wärmenetze wiederzuerlangen“. Anders könne man den „modernen Anforderungen an Klimaschutz und Energieeffizienz“ nicht gerecht werden. Eine vernünftige Idee; wie sie zu interpretieren ist, zeigen aber erst die Reaktionen.

EEs entsprach der Erwartung, dass Jan Eder, Geschäftsführer der Berliner Industrie- und Handelskammer, seinen Ärger über die geplante „Rekommunalisierung“ kundtat, die für die Stadt der absolut falsche Weg sei – Wolf schrecke Investoren ab, denen nun ständig „Enteignung“ drohe. Doch war es verwirrend, dass die Berliner CDU nicht ebenso laut ins Horn stieß. Einem Bericht über ihre Fraktionssitzung zum Thema gab sie zwar den Titel „Wolf’s ‚Berliner Stadtwerke‘ als Worthülse entlarvt“, einen klaren Standpunkt wollte sie aber nicht beziehen, sondern hielt nur fest, dass „weder eine reine Kommunalwirtschaft noch eine vollständige Privatisierung die Gewähr für ein qualitativ hochwertiges und kostengünstiges Angebot“ sei.

Das hat ihr der beginnende Berliner Wahlkampf eingegeben. Vor einem Jahr noch, im Dezember 2009, hatte sie die damals schon vage geäußerten Pläne Wolfs und auch der mit der Linken regierenden SPD als „absurden Weihnachtswunschzettel“ bezeichnet. Inzwischen hofft sie aber, im nächsten Senat unter Renate Künast dienen zu dürfen. Die Grünen wollen nun einmal ebenfalls die Rekommunalisierung, warnen aber zugleich vor den Kosten. Darauf sucht sich die CDU einzustellen, indem sie das „kostengünstige Angebot“ in den Mittelpunkt stellt. Wenn das nun alles Wahlkampf ist, wird auch Wolfs Vorstoß davon nicht frei sein. Tatsächlich unterstützen ihn Parteifreunde mit Sprüchen wie „Während Künast nur redet, handeln wir“, und die Grünen geben zurück, Wolf habe kein Rückkauf-Konzept.

Verwirrung gestiftet

Doch auch der Wahlkampf erklärt nicht alles. In Berlin kämpft seit Jahren eine Bürgerinitiative für die Rekommunalisierung insbesondere des Wassers. Ihr gelang es, bis zum 25. Oktober hinreichend viele Unterschriften für ein Volksbegehren zusammenzubringen, das die Offenlegung der Privatisierungs-Geheimverträge von 1999 fordert und laut Beschluss des Senats nun am 13. Februar 2011 stattfinden soll. Schon kurz vor jenem Termin im Oktober schrieb Initiativensprecher Thomas Rudeck, ihr Sprecher: „Die Parteien des Berliner Senats versuchen nun, durch Ablenkungsmanöver Verwirrung zu stiften.“ Denn „mitten im laufenden Volksbegehren lässt die SPD über alle Medien lauthals verkündigen, dass sie die Wasserbetriebe rekommunalisieren will. Allerdings will sie rekommunalisieren, ohne den Geheimvertrag und seine Gewinngarantien anzufechten.“ Da war Wolf auf das schöne Wort „Bürgerstadtwerk“ noch gar nicht gekommen.

Was man hier beobachtet, ist nicht nur Wahlkampf und schon gar nicht nur die Teilnahme des Berliner Senats an einem bundesweiten Rekommunalisierungs-Trend. Der Hauptgesichtspunkt ist vielmehr der, dass Bürger ihre Sache in die eigene Hand nehmen, die Parteien vor sich hertreibend. Wie in Stuttgart. Was auf der Parteiebene abläuft, ist aber auch spannend. Denn man fragt sich, ob den Grünen, sollten sie die bevorstehende Berliner Wahl gewinnen, die Option, mit der CDU statt mit den linken Parteien zu koalieren, überhaupt noch offen steht. Was ebenfalls an Stuttgart erinnert.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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