Sarah Palin und der Ritualmord

USA Die Galionsfigur der Tea Party war bei ihrer Reaktion auf das Attentat von Arizona um keine Peinlichkeit verlegen. Das kostete sie Prestige – auch in der eigenen Partei

Mit ihrer Videobotschaft zum Blutbad in Arizona hat Sarah Palin endgültig bewiesen, dass sie nur eine dumme, von sich selbst besessene Person ist. Was die Tea Party und ihre Anhänger sich unter Opferrolle vorstellen, sollte mittlerweile eigentlich bekannt sein. Immerhin war es ihr Wortführer Glenn Beck, der Amerikas ersten schwarzen Präsidenten des Rassismus bezichtigte und im Vorjahr bei einem Meeting mit Anhängern erklärte, sie seien nun in den Mantel der Bürgerrechtsbewegung geschlüpft.

Wirklich schauderhaft

Jetzt hat sich Ex-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin der gleichen abstoßenden Verkehrung bedient. Sie wirft all jenen vor, die sie wegen ihrer gewalttätigen Rhetorik gegen die nach einem Attentat schwer verletzte Gabrielle Giffords angreifen, sie würden sich einer „Ritualmord-Legende“ gegen sie – gegen Palin – schuldig machen. Die republikanische Frontfrau verwendete damit einen Begriff, der in der langen Geschichte des Antisemitismus eine ganz besondere Bedeutung hat. Zuerst wird er im Evangelium des Matthäus in Bezug auf die angebliche jüdische Schuld an der Kreuzigung Jesu Christi erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte nahm das Wort aber eine noch bösartigere Bedeutung an: die jeder Grundlage entbehrende Behauptung, Juden würden in bestimmten Ritualen das Blut ermordeter Kinder verwenden. Noch schauderhafter ist vielleicht der Kontext, in dem Palin sich dieses Begriffs bediente: Sie gebrauchte ihn, um sich selbst als Opfer zu inszenieren und so gegen Anwürfe zu verteidigen, ihre Sprache und ihr Verhalten könnten für den Mordversuch an der Kongressabgeordneten Giffords mitverantwortlich sein. Und Giffords ist wirklich Jüdin.

Jetzt spielt es beinahe keine Rolle mehr, ob Palins Sprache zu den Schüssen auf Griffords und andere beigetragen hat oder ob der Amokläufer das Fadenkreuz auf Griffords Wahlbezirk überhaupt kannte. Bei dem Versuch, sich zu verteidigen, hat Palin den Eindruck, dass sie für höhere politische Ämter nicht geeignet ist, mehr als verstärkt. Es ist fast unmöglich, eine Erklärung für ihre Wortwahl zu finden, die sie in keinem anderen als dem schlechtesten und verurteilenswertesten Licht erscheinen lässt.

Selbstsüchtige Person

Hatten weder sie noch einer ihrer Berater eine Ahnung davon, was der Begriff „Ritualmord-Legende“ bedeutet, mit dem sie sich mit denen auf eine Stufe stellte, die über Jahrhunderte hinweg antisemitischer Verfolgung ausgesetzt waren? Ist es das, was Palin unterstellt? Arme Sarah! Die Kritik an ihren groben politischen Umgangsformen soll von gleichem Format sein wie die antijüdischen Pogrome und Vertreibungen?

Davon abgesehen war Palins politische Antwort auf das Blutbad von Arizona so unangemessen, dass es fast schon lächerlich war. Als sie in einer Lage, in der das Land im Schockzustand war, mit ernsthaften Fragen über ihren politischen Stil konfrontiert wurde, war ihre erste Reaktion, sich in einer E-Mail an Glenn Beck zu erklären. Dieses Video-Statement war für sie eine zweite Chance, sich zu einem Zeitpunkt, zu dem die betroffenen Familien immer noch ihre Toten beweinen, staatsmännisch zu präsentieren und sich an der Debatte über Amerikas überhitzte politische Sprache zu beteiligen. Sie hatte die Gelegenheit zu zeigen, dass sie auch anders sein kann als einfach nur polarisierend und voreingenommen, sie hätte den Verdacht zerstreuen können, sie sei eine selbstsüchtige und von Narzissmus besessene Person. Dies ist ihr trefflich misslungen. Palin hat versagt – nicht nur als Politikerin, auch als Mensch.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Peter Beaumont | The Guardian

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