Die Amerikaner wollen in Pakistan eine der Frauen bin Ladens befragen. Nach dem Willen al Qaidas soll sie möglichst bald in den Jemen zurück. Wer ist Amal Ahmed al-Sadah?
Anfang 1999 erhielt Rashad Mohammed Saeed Ismael den wichtigsten Anruf seines Lebens. Der jemenitische Scheich war Anfang 20 und arbeitete als Prediger und Al-Qaida-Funktionär in Kabul. Als einen seiner engsten Vertrauten beauftragte ihn Osama bin Laden mit der Mission, die richtige Frau für ihn zu finden. Rashid hörte genau zu, als bin Laden ihm seine Wünsche auseinander setzte: „Sie muss fromm sein, pflichtbewusst, jung – am besten zwischen 16 und 18, sie muss gute Manieren haben, einer respektablen Familie entstammen, vor allem aber geduldig sein. Sie muss die außergewöhnlichen Umstände ertragen können, in denen ich lebe.“
Glücklicherweise kannte Rashad genau die Richtige: Amal Ahmed al-Sadah, die 17-jährige Tochter eine
Übersetzung: Holger Hutt
chter eines Verwaltungsbeamten, und eine ehemalige Schülerin des Scheichs. Auch zehn Jahre später sieht sich Scheich Rashid als standhaften Verfechter al Qaidas im Jemen, der inzwischen dafür kämpft, dass Amal und ihre Tochter, die gegenwärtig in Pakistan festgehalten werden, nach Hause zurückkehren können. „Im Islam geben wir viel auf die Familienehre. Wenn eine Frau zur Witwe geworden ist, bleibt es die Pflicht aller Moslems, sich um sie zu kümmern und für ihre Sicherheit zu sorgen. Alle Jemeniten wollen, dass Amal nach Hause zurück kommt.“Manche fürchten jedoch, Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh könnte sie in diesem Fall für weitere Befragungen an die Amerikaner ausliefern. Sollten diese versuchen, Amal oder irgendeinem anderen Mitglied der Bin-Laden-Familie etwas anzutun, werde dies „eine Explosion zwischen dem Westen und der islamischen Welt“ auslösen. „Frauen sind keine Kämpfer. Amerika weiß, dass bin Laden sie niemals in den Kampf schickte.“Osama schickte LeibwächterIm Jahr 2000 kehrte Rashad in seine Heimatstadt Ibb im jemenitischen Südwesten zurück, um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Zuerst ging er zu dem Mädchen und erklärte ihm, wer Osama bin Laden sei. Dass er auf der Flucht vor den Amerikanern von einem Ort zum nächsten ziehe. Nachdem sie Bin Ladens Mitgift von 5.000 Dollar „brav angenommen“ hatte, begannen die Feiern, um die Abreise der jungen Frau nach Afghanistan vorzubereiten.Bin Ladens Heiratsvermittler, Amal und ihr älterer Bruder gingen zusammen nach Pakistan, zuerst nach Karatschi, dann nach Quetta, wo sie ein paar Tage blieben, bis bin Laden einige Leibwächter schickte, um sie mitzunehmen und nach Afghanistan zu bringen. Die Hochzeit fand in Kandahar statt – um diese Zeit eine Hochburg der Taliban. Die Zeremonie wurde nach jemenitischer Art zelebiert, außer der Braut waren nur Männer anwesend. Sie sangen, tanzen und schlachteten ein Lamm zu bin Ladens Füßen, während hochrangige Gäste aus dem Koran zitierten, Gedichte rezitierten oder ihm Lieder vorsangen, die extra für diesen Anlass verfasst worden waren.Heute ist Rashad der Ansicht, das Schicksal der Osama-bin Laden-Familie, besonders seiner Frauen, sei mindestens genau so wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als der Tod des Familienoberhauptes. Rashad meint: „Wir haben die Nachricht von seinem Tod mit Freude empfangen, denn wir wussten, dass es sein Wunsch war, als Märtyrer durch die Hand der Amerikaner zu sterben. Aber bei den Verwandten geht es um die Ehre der Frauen, und die ist uns heilig.“Randständiges Phänomen Es gibt Stimmen, die den autonomen jemenitischen Ableger des Terrornetzwerks, der international aktiver ist als der alte Al-Qaida-Kern in Pakistan, nach bin Ladens Tod nun für die größte Bedrohung halten. Die Schwäche der jemenitischen Zentralregierung, das zerklüftete Terrain und die extreme Armut eines Großteils der Bevölkerung haben den militanten Islamisten im Südosten während der vergangenen Monaten eine gewisse Bewegungsfreiheit verschafft. Und das trotz der Luft- und Bodenangriffe durch jemenitische Anti-Terror-Einheiten, die von den Amerikanern ausgebildet wurden und geführt werden. Aber obwohl Al-Qaida-Formationen fast täglich Angriffe auf die jemenitischen Sicherheitskräfte unternehmen, beharren Experten darauf – al Qaida sei lediglich ein randständiges Phänomen mit einem harten Kern von einigen hundert Kämpfern, die sich in den Provinzen Marib und Shabwa in den Bergen versteckt hielten.Am 5. Mai gab es einen Drohnen-Angriff der US-Armee auf ein Nachbardorf Rashads, bei dem ein Auto mit zwei mutmaßlichen Al-Qaida-Männern in Flammen aufging. Später hieß es von Seiten der amerikanischen und jemenitischen Behörden, man habe Anwar al-Awlaki, den spirituellen Guru al Qaidas im Jemen, treffen wollen, doch sei der diesem gegen ihn geführten Schlag entgangen. Rashad sagt, er erwarte in naher Zukunft weitere Luftschläge der Amerikaner. „Die Politik der arabischen Machthaber hat deren Ländern die Souveränität gekostet. Alle Verfassungen und Gesetze wurden geopfert. Die Amerikaner werden uns weiter bombardieren, denn Präsident Saleh hat keine wirkliche Kontrolle mehr über das Land und wird alles tun, um Beistand zu bekommen, damit er im Amt bleiben kann.“Auf die Frage nach der Größe al Qaidas im Jemen, antwortet Rashad, es handele sich um ein kompliziertes Netz, das keinen Anfang und kein Ende habe. „Dies ist keine Organisation mit Bewerbungsformular und Datenbank. Wer al Qaida betreten möchte, erhält eine religiöse Unterweisung und militärische Grundausbildung, danach gilt man als Mitglied.“