Unsäglich albern

Occupy Waren das nun Kapitalismusgegner oder Wutbürger? War es erst der Anfang oder schon das Ende? Nach den Protesten wird ganz fest umarmt und belehrend gewarnt

Man muss Joachim Gauck wirklich dankbar sein. Wer eine Debatte über Alternativen zum real existierenden Kapitalismus „unsäglich albern“ nennt, wem zu den Occupy-Proteste nicht viel mehr einfällt als der Hinweis, diese würden „schnell verebben“, der hilft anderen dabei, sich Klarheit zu verschaffen.

Erstens über SPD und Grüne. Die wollten also einen Mann zum Bundespräsidenten machen, der im wachsenden Unmut über die Verhältnisse offenbar nichts anderes erkennen will als falsche Sehnsucht nach einer Politik à la DDR, in der ja auch schon „die Banken besetzt waren“. Dümmlicher hat im Angesicht der Krise noch kaum jemand das Primat der Märkte gegen das der Politik verteidigt. Sozialdemokraten und Grüne, die in den vergangenen Tagen die Proteste begrüßten und, sogar ein wenig selbstkritisch, für mehr Regulierung plädierten, werden sich gefreut haben. Es sei zweifelhaft, „zu glauben, dass unsere Einlagen sicherer wären, wenn die Politiker in der Finanzwirtschaft das Sagen hätten“, beharrt hingegen Gauck auf altem Denken - während europaweit Politiker Steuermilliarden in Bewegung setzen, um eine Finanzwirtschaft zu stützen, die ohne öffentliche Hilfe längst keine Einlagen mehr hätte.

Gaucks Distanzierung von den Occupy-Protesten hat einen zweiten Vorteil: Sie hilft der gerade in Gang kommenden Bewegung, sich über den eigenen Charakter bewusst zu werden. In der Mediendemokratie entscheidet über den Bestand eines Impulses oft das von ihm ausgelöste Echo. Und mit seinen Äußerungen hat der einstige Bürgerrechtler gezeigt, dass die „Verständnis-Phalanx“ keineswegs so breit ist.

Ohnehin sollte man nicht jede anerkennende Bemerkung auch als Zustimmung zu den Motiven der Protestierenden interpretieren. Er wolle das „ernst nehmen“, sagt der Bundesfinanzminister. Man dürfe aber nicht zu weit gehen, sekundieren die Kommentatoren. Allzu große Demos würden doch nur zu noch schlimmeren Regierungen führen, schreiben die einen. Keinesfalls solle sich die Bewegung „von den berufsdemonstrierenden Sozialismus-Nostalgikern vereinnahmen“ lassen, warnen die anderen. „Heute sind es die so genannten Finanzeliten, morgen alle 'Kapitalisten', und danach ist es womöglich das ganze System. Solchen Anfängen zu wehren, verlangt viel Aufklärung über den Zusammenhang von Freiheit, Wohlstand und freier Marktwirtschaft.“

Schwierige Debatten

Die alternative Potenzialität der Proteste macht offenbar denen Sorge, die von einer anderen Welt nichts halten. Richtig ist aber auch, dass sich politische Nachhaltigkeit nicht von allein einstellt. Die Protestierenden werden kaum umhin kommen, noch schwierige Debatten zu führen, etwa über die blinden Flecken einer allzu banalen Bankenkritik, über konkrete Alternativen, über Bündnisprobleme und die Frage, wie weit man selbst gehen muss, um andere wenigstens ein paar Zentimeter vor sich herzutreiben. Die Proteste „machen zusätzlichen Druck in Richtung auf eine weitergehende Bankenregulierung und die Disziplinierung der Finanzmärkte“, meint die Frankfurter Allgemeine. Das ist, bei aller Skepsis, nicht nichts. Aber selbst solche, nicht einmal besonders weit gehenden Schritte, wird die Politik kaum von alleine vollständig gehen.

Womit man wieder beim rot-grünen „Präsidenten der Herzen“ angekommen wäre. Verebben die Proteste schnell? Das wird davon abhängen, wie groß die Bereitschaft ist, sich auf etwas einzulassen, das noch keine fertigen Formen hat, über dessen Tendenz nicht schon entscheiden ist. Der „Protest ist nicht rechts und er ist nicht links“, befindet Heribert Prantl in der Süddeutschen. Es komme darin beides zum Ausdruck – die „Empörung über soziale Ungerechtigkeit, das ist ein altes linkes Thema“, aber auch „die Sehnsucht nach einem starken Souverän“, die „ebenso ein konservatives, rechtes Thema“ sei. Die meisten der 40.000 vom Samstag würden sich „nicht als Kapitalismusgegner“ sehen, glaubt auch die Tageszeitung.

Leute wie Joachim Gauck wollen, dass das so bleibt. Wer anders im Sinn hat, wer spätestens nach vier Jahren Krisenpolitik zu der Überzeugung gekommen ist, ein paar neuerliche Reparaturmaßnahmen reichten nicht mehr aus, der müsste am kommenden Samstag die nächste Gelegenheit nutzen, das einzubringen. Dann findet in Brüssel der EU-Gipfel zur Eurokrise statt. Für beide Termine gilt: Darauf zu warten, dass andere „das Richtige“ tun, wäre wirklich „unsäglich albern“.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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