Der Unterschied konnte größer kaum sein. Bei seinem Treffen mit Benjamin Netanjahu im Weißen Haus ist Präsident Obama dabei geblieben, einen Militärschlag gegen den Iran eine Option unter anderen zu nennen. Für Israels Premierminister bleibt eine solche Operation hingegen die „erste Option“. Dass selbst der amerikanische Geheimdienst attestiert, es gebe noch längst keine iranische Bombe, interessiert wenig. Netanjahu reklamiert das Recht auf Selbstverteidigung und geht bei seinem USA-Besuch noch einen Schritt weiter. In der Rede vor der pro-israelischen Lobby-Organisation AIPAC taucht indirekt zwar, aber doch unverkennbar der Holocaust-Vergleich auf. 1944 hätten die USA Bitten der jüdischen Lobby abgelehnt, das Vernichtungslager Auschwitz zu bombardieren, so Netanjahu. Um so mehr werde er heute als Ministerpräsident Israels sein Volk „niemals im Schatten der Vernichtung leben lassen". Im Klartext, vom Iran gehen Gefahren aus, die denen des Holocaust nahekommen und damit vergleichbar sind.
Abgesehen davon, dass ein solcher Vergleich ahistorisch und dazu angetan ist, Partner wie die USA unter einen ungeheuren, kaum mehr kompensierbaren moralischen Druck zu setzen, blendet Netanjahu auch die realen Machtverhältnisse in Teheran aus. Es existiert dort im Augenblick keine homogene Führung. Staatschef Ahmadinedjad hat die Parlamentswahlen klar gegen den Anhang von Revolutionsführer Chamenei verloren und wird den Rest seiner Amtszeit bis Mitte 2013 geschwächt bestreiten oder vorher gar abdanken. Das macht die iranische Führung nicht unbedingt berechenbarer, trägt jedoch ebenso wenig dazu bei, ihr Handlungsvermögen zu vervollkommnen.
Wieder bei George W. Bush
Netanjahus Rhetorik des Verteufelns kann deshalb nur einen Adressaten haben: die derzeitige US-Administration, speziell den Präsidenten, der in Zugzwang und damit eine prekäre Lage gerät. Obama kann Netanjahu in der Iran-Frage den Beistand nicht verweigern, wenn der im Namen des jüdischen Volkes die Existenzfrage stellt. Wer sich davon distanziert, dürfte in den Augen der amerikanischen Pro-Israel-Lobby jeden Anspruch auf Wiederwahl verwirkt haben. Andererseits kann jedes Einschwenken des Weißen Hauses auf Netanjahus Kalkül des Zuschlagen dazu führen, irgendwann den kritischen Punkt zu erreichen, von dem aus kein Zurück mehr möglich und die militärische nicht mehr eine Option, sondern die allein verbleibende ist – nicht mehr die erste, wie es Netanjahu sagt, sondern die einzige.
Nur wäre ein Krieg mit dem Iran für Obamas Bewerbung um eine zweite Amtszeit vermutlich noch verheerender, als in den Geruch mangelnder Israel-Treue zu kommen. Schon jetzt treibt allein die Erwartung, dass eine bewaffnete Konfrontation irgendwann unausweichlich ist, die Ölpreise dermaßen in die Höhe, dass jedem einleuchten müsste: der Ernstfall würde die Weltwirtschaft in ein Chaos stürzen. Was das für die US-Ökonomie mit ihrer extremen Energieabhängigkeit bedeutet, liegt auf der Hand. Obama kann die Formel konjunkturelle Erholung gleich Wahlkampfhilfe abschreiben. Auch von seiner Nahost-Politik bliebe kaum mehr als ein Scherbenhaufen. Aus dem Gazastreifen und dem Südlibanon könnten Hamas wie die pro-iranische Hisbollah Hunderte Raketen auf Israel abschießen, von möglichen Terror-Akten ganz zu schweigen. Arabische Regierungen, die ihr Mandat dem Arabischen Frühling verdanken und ansonsten aller Sympathien für das persische Regime unverdächtig sind, werden eine Intervention gegen Teheran mit dem Angriff auf den Irak vergleichen. Barack Obama stünde wieder bei George Walker Bush. Haben sich dafür die vier Jahre im Weißen Haus gelohnt?
Natürlich wird sich auch Benjamin Netanjahu über diese Konsequenzen und die daraus resultierende Vorsicht in der Iran-Politik Obamas im Klaren sein. Diese Vorsicht kann ihm recht sein. Sie hilft, die US-Regierung unter Zugzwang zu halten, indem Israel Angriffsdrohungen gegen Teheran aufrechterhält, aber vorerst nicht angreift. Nicht Israel, der zaudernde Partner USA ist daran schuld. Auch innenpolitisch kann das äußerst hilfreich sein.
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