Schon im Jahr 2004 warnte Petros Markaris vor einer neureichen Mentalität, legte ein Parteiensystem bloß, in dem wenige Familien abwechselnd ihre Pfründe in einem aufgeblähten Staatsapparat verteilten. Obwohl er schon damals der bekannteste lebende griechische Autor war, wollten das manche nicht hören, nicht in Griechenland wie auch nicht hierzulande.
Nun aber wird Petros Markaris, der das Fiasko in seinen internationalen Dimensionen voraussagte, zu einer gewichtigen Stimme in einer der größten Krisen seines Landes. Der Nestbeschmutzer mutiert zur moralischen Autorität. Wenn Petros Markaris heute früh aufsteht und aus dem Fenster schaut, sieht er nicht nur Flüchtlinge in Mülleimern wühlen, sondern zunehmend auch Griechen nach etwas Essbarem suchen. Da sie ihr Elend verbergen wollen, wählen sie die Morgenstunden, in denen die Straßen fast noch menschenleer sind.
Einen triftigen Grund für zeitiges Erwachen hatte Petros Markaris: Er beendete gerade den dritten Teil seiner Trilogie über den griechischen Niedergang. Und da arbeitete er ganz regelmäßig, Samstag und Sonntag eingeschlossen, täglich von 10 bis 14 Uhr, dann folgten zwei Ruhestunden, meistens mit Zeitungslektüre, von 16 bis 20 Uhr schrieb er wieder. Trotzdem fand er am Beginn der zweiten Schreibphase Zeit für ein Gespräch.
Der FREITAG: Sie beenden gerade die Krisen-Trilogie, heißt das, Sie sehen endlich Zeichen der Hoffnung?
Pedro Markaris: Nein, die Situation ist schlimmer geworden, die Arbeitslosigkeit stieg vor allem im privaten Sektor. Wir haben heute 1,6 Millionen Arbeitslose. Vielleicht muss ich noch einen Epilog schreiben, es könnte eine Tetralogie werden. Aber das entscheide ich nach dem dritten Buch. Wer die ersten beiden Bände über diese griechische Tragödie liest, merkt, wie die Situation sich verdunkelt. Als ich Faule Kredite schrieb, da gab es nicht zahlreiche Selbstmorde von Rentnern und vor allem nicht von jungen Menschen, weder im Roman noch im Leben. Bei Zahltag aber schon.
Der erschien zwar unlängst in Deutsch, aber im griechischen Original schon im letzten Jahr.
Es ist aber noch schlimmer geworden. Die Arbeitslosenquote zum Beispiel stieg von 22,1% auf 25,3%.
Und dabei sind die Preise ähnlich wie in Deutschland.
Durch ein perverses System entstand die Situation, dass die Gehälter gekürzt und gekürzt werden, aber die Preise fallen und fallen nicht.
Warum nicht?
Weil das Kartellsystem mit den ganzen abgekarteten Absprachen nicht attackiert wird.
In Finstere Zeiten schreiben Sie:„Und morgen werden die Väter die Wut der Kinder zu spüren bekommen.“ Gibt es schon Anzeichen für eine Attacke gegen das System?
Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 53 %, aufgemerkt: jeder zweite findet keine Arbeit, ist die Wut groß, sehr groß, aber auch die Ratlosigkeit und die Verzweiflung.
Es gibt ja schon eine Emigrationswelle.
Ja, und das vor allem bei gut ausgebildeten jungen Menschen. Manche von ihnen haben sogar einen Doktortitel oder einen Master-Abschluss. Aber sie finden keine Arbeit. Sie wollen nicht mehr von ihren Eltern abhängig sein, viele können es auch nicht mehr, da die Eltern auch von Arbeitslosigkeit und Kürzungen betroffen sind. Wir haben vor allem Kürzungen, keine tiefgreifenden Reformen. Wir wählen immer noch Regierungen, die vor allem für den aufgeblähten Staatsapparat gut sind. Aber die Wut, die Verzweiflung ist groß.
Bei Heiner Müller, den Sie sehr mögen, kann man lesen „Fünf Straßen weiter wie die Sirenen andeuten / Schlagen die Armen auf die Ärmsten ein“. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr, dass, wenn weiterhin eine Mehrheit verarmt und gleichzeitig die Anzahl der Flüchtlinge steigt, diese zum Sündenbock gemacht werden?
Für sehr groß. Wir haben bereits eine Neonazipartei. Sie bekam 7% und stellt 18 Parlamentsabgeordnete. In Umfragen liegt sie gar bei 15 % und würde, wenn heute Wahlen stattfänden die drittgrößte Partei im Parlament sein. Aber nicht nur aus Wut gegen die Emigranten wird sie gewählt, sondern auch aus Protest gegen das ganze jetzige System. Ein guter Teil ihrer Wähler sind junge Leute unter dreißig.
Sie verglichen diese Partei, Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), die auf Muslimjagd geht, auch mit islamistischen Organisationen, die sich auch sozial engagieren. Hamas zum Beispiel.
Unlängst verteilten die Neonazis auf dem Syntagma-Platz Lebensmittel.
Also im Zentrum von Athen vor dem Parlamentsgebäude.
Genau, oder sie richteten Notrufnummern für Rentner ein, die in Vierteln mit vielen Emigranten leben. Wenn die alten Menschen sich unsicher fühlen, glauben, die Ausländer würden sie bedrohen, können sie anrufen, dann kommt jemand vorbei und bleibt sogar über Nacht bei den Betagten.
Gibt es ein solches Engagement auch auf der politischen Linken?
Nein.
Dort gibt es aber massive Kritik an den Privatisierungsvorhaben. Man denke nur an Filme wie Katastroika, den man sogar auf Deutsch kostenlos im Internet findet.
Ja, aber was soll man machen? Das Land ist fast pleite, die Staatskassen sind leer. Der Staat muss einen Teil seines Eigentums verkaufen, das wird man nicht vermeiden können. Privatisierungen sind notwendig, aber nicht ausreichend. Ich verstehe nicht, warum die Troika aus EU, EZB und dem Internationalen Währungsfond es nicht zur Bedingung für weitere EU-Hilfen macht, dass endlich ein effektiver Gesetzentwurf zur Besteuerung vorgelegt wird. Wenn der Staat nicht endlich ein System für regelmäßige Einnahmen schafft, werden die Privatisierungen nutzlos sein. Und sie können nur das notwendige Geld in die Staatskasse bringen, wenn Griechenland in der EU bleibt. Wer will jetzt etwas kaufen, wenn es von einflussreichen Politikern oder Bankern heißt, Griechenland sollte austreten und den Euro aufgeben. Fast täglich gibt es solche Äußerungen. In einem Griechenland außerhalb der Eurozone fallen die Preise. Da kann man vieles, was heute noch einen Wert hat, für symbolische Summen bekommen.
Sie plädieren in Finstere Zeiten auch deshalb dafür, dass Griechenland in der EU bleibt, damit es mit am Verhandlungstisch sitzt, „wenn die unausweichlichen Änderungen in Europa umgesetzt werden“. Welche Veränderungen erwarten Sie?
Der Süden wird irgendwann sagen, es reicht. Ich denke da vor allem an Länder mit einer guten ökonomischen Basis wie Italien. Dann wird es zu Verhandlungen kommen. Und bis dahin sollte Griechenland durchhalten. Wir haben eine dreifach gespaltene Europäische Union. Länder, die nicht den Euro haben wie Polen, arme Länder, die den Euro haben wie Griechenland, und eben reiche Länder wie Deutschland. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Ich bin kein Banker, kein Ökonom, sondern Autor, aber wenn Sie mich fragen: Der Euro wird in der jetzigen Form nicht überleben.
Als Autor kritisieren Sie das mangelnde Verständnis für die kulturelle Diversität des Kontinents, für die kulturelle Basis des anderen…
Ja, die gemeinsamen europäischen Werte sind von der Währung vernichtet worden. Die Demokratie ist ausgehöhlt. So kann man Europa nicht einen. Ohne gemeinsame ethische und kulturelle Werte muss jedes Europaprojekt scheitern.
Verraten Sie noch, wer nach Bankern in Faule Kredite und Steuersündern in Zahltag im Fokus des dritten Teils steht?
Die Politiker der Generation des Polytechnikums, wie sie hier in Griechenland heißt.
Also die des Aufstandes von 1973, die die Junta beseitigten.
Ja, die aber, an die Macht gekommen, den wirtschaftlichen Ruin, die jetzige Krise maßgeblich verursachten. Durch sie leiden viele Menschen. Wir haben verlorene Generationen.
Petros Markaris Finstere Zeiten – Zur Krise in Griechenland, 176 S., Zürich 2012, 14.90 €
Petros Markaris Zahltag – Ein Fall für Kostas Charitos Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger, 432 S., Zürich 2012, 22.90 €
Petros Markaris Faule Kredite - Ein Fall für Kostas Charitos Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger, 400 S., Diogenes 2011, 22,90 €
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