"Ihr berichtet falsch über uns!"

Eventkritik Katars Botschafter lädt ein paar Journalisten zum Empfang. Man redet, statt über Revolutionen, über Wirtschaft und Fußball – und darüber, wie Integration funktioniert

Wo Villen sich scheu hinter Hecken und hohe Zäune ducken, biegt der Taxifahrer in eine Seitenstraße im Berliner Westen: auf dem Weg zum Botschafter von Katar. In Ägypten ist das Volk in Aufruhr, aber der Chefdiplomat des Golfstaats hat zehn Journalisten eingeladen, um über die Fußball-WM 2022 in seinem Land und die Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland zu reden.

Ein einsamer Streifenwagen parkt vor einer palastartigen Residenz. Der Zaun ist flach, hier zeigt man, was man hat. Das Gebäude ragt in den Abendhimmel, grauer Marmor wechselt mit ovalen Fenstern. In der Einfahrt stehen dunkle Limousinen, Kategorie S-Klasse bis Maybach. Katar ist reich, sehr reich sogar. Unter dem winzigen Emirat, das nur halb so groß ist wie Hessen, ruht ein Schatz. 1971 wurde das sogenannte North Field entdeckt, das größte zusammenhängende Erdgasfeld der Welt. Die Energieblase katapultierte den spärlich besiedelten Beduinenstaat in die Moderne. Lebten vor 40 Jahren nur rund 111.000 Menschen im Sandkasten der Herrscherfamilie Al-Thani, sind es heute 1,7 Millionen.

Tiefe Polster und Kristallgläser

Nur ein Viertel davon sind Staatsbürger, der Rest sind Wanderarbeiter aus Pakistan, Indien oder Ägypten sowie noch ein paar hochqualifizierte „Expats“ aus dem Westen. Die Arbeitslosenquote ist kaum messbar, und das Pro-Kopf-Einkommen liegt nach Luxemburg und Norwegen auf Platz drei der Weltrangliste. Traditionen und Bräuche wie die Falknerei haben überlebt und werden gepflegt – anders als Freiheit und Demokratie. Für Gotteslästerung und Homosexualität gibt es hohe Gefängnisstrafen, Frauen werden benachteiligt. Politische Parteien sind in der absoluten Monarchie nicht zugelassen. Gastarbeiter aus Schwellenländern leben nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Vogelfreie.

„Ihr berichtet immer falsch über uns“, beschwert sich Abdulrahman Mohamed Al-Khulaifi, Katars Botschafter in Deutschland: „Aber deshalb sind wir ja heute Abend hier zusammengekommen – um uns besser kennenzulernen.“ Es klingt freundlich, aber reserviert. Der wuchtige Mann trägt einen stahlblauen Anzug, in der linken Hand knetet er ein Tasbih, eine blassgelbe Gebetskette.

Wir Journalisten versinken in tiefen Polstern, man fühlt sich etwas behäbig unter all dem Stuck, den Lüstern und den Gardinen des Salons, in dem der Aperitif serviert wird. Botschaftspersonal reicht Wasser und Saft in schweren Kristallgläsern. Im Verlauf des steifen Smalltalks kommen immer mehr elegant gekleidete Diplomaten dazu: Die Botschafter von Saudi-Arabien, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und die Botschafterin von Oman, eine quirlige Frau mit glänzendem Kopftuch und stark geschminkten Augen. Außer Iran und Irak sind nun alle Anrainerstaaten des Persischen Golfs vertreten.

Ab in den Garten!

Ossama bin Abdul Majed Shobokshi redet leise, der hagere Mann strahlt natürliche Autorität aus. Er ist Botschafter des saudischen Königreichs – und unzufrieden mit der westlichen Berichterstattung über die Golfregion. Nur Vorurteile und Klischees würden bedient, wesentliche Aspekte dagegen ausgeblendet. „Wenn es in Ihren Medien um neue Wirtschaftsmächte geht, dann höre ich immer nur von China und Südamerika, aber nie etwas über die Golfregion.“ Einer meiner Kollegen entgegnet ihm, dass die deutschen Leser für eine ausführlichere Berichterstattung noch nicht das nötige Interesse zeigten. „Dann korrigieren Sie deren Interesse“, fordert Shobokshi schroff.

Botschafter Khulaifi versucht es sanfter. Deutschland könne einiges von den Golf-Staaten lernen, etwa in der aktuellen Integrationsdebatte. Sein Land gehe mit den Gastarbeitern ja sehr pragmatisch um: „Sie kommen zu uns, um zu arbeiten. Sie haben Verträge, die erfüllen sie. Und nach drei oder vier Jahren schicken wir sie wieder weg.“ Mit seiner Handbewegung könnte er auch seinen Hund in den Garten schicken.

Saft simuliert Rotwein

Und dann seien da noch die guten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Katar. Staatsfonds der Kataris halten Anteile an Volkswagen, Porsche und dem Baukonzern Hochtief. Die Deutsche Bahn AG hat den Zuschlag für das neue U-Bahn-Netz des Emirats erhalten, mindestens zwei der neuen WM-Stadien für 2022 sollen nach Entwürfen des Frankfurter Architekten Albert Speer aus dem Sand hochgezogen werden. Wahrscheinlich werden es noch mehr. Deutschland könnte an der Wüsten-WM mehr verdienen als an der Heim-WM 2006. Also doch keine „Katarstrophe“ (Bild).

Beim festlichen Dinner sitze ich neben Ahmed Mohamed Aldoseri, dem Botschafter von Bahrain. Während ich mein Kalbsfilet mit einer Rotwein-Simulation aus Traubensaft herunterspüle, erklärt auch er, am Beispiel Menschenrechte, was deutsche Journalisten immer falsch machen würden: „Ihr verlasst Euch bei der Berichterstattung immer nur auf eine Seite – die Opposition. Das reicht nicht als Quelle.“

Schauen Sie auf Bahrain!

Ok. Aber was denken Sie nun über Ägypten, Tunesien, den Aufbruch? Die Revolten hätten vor allem wirtschaftliche Gründe, sagt Aldoseri. Wenn – wie in der Golfregion – die Herrscherdynastien das Volk am Reichtum teilhaben ließen, gebe es Stabilität statt Umsturz. „Schauen Sie auf Bahrain: Bildung? Umsonst. Gesundheitssystem? Umsonst. Bei uns dürfen Frauen sogar Auto fahren!“ Er klingt wie der König einer Insel, einer märchenhaften Welt.
Nach dem Dessert stehen die Diplomaten auf, das Essen ist abrupt beendet. Sie schauen auf ihre Smartphones, checken die Neuigkeiten aus Kairo. Ich schüttele viele Hände und tausche Visitenkarten. An der Garderobe wird mir eine schwere Einkaufstasche in die Hand gedrückt, mit einem Coffee-Table-Book, einem imposanten Bildband von Katar.

Auf der Rückfahrt schalte ich das Handy ein und verfolge die Liveticker der Online-Medien. Die Nachrichten, aus Ägypten etwa, sind so nah und doch auch für die Golfstaaten-Diplomaten Nachrichten wie aus einer anderen Welt.

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