Wenn die Kunst dich will, dann ...

Eventkritik Der Produzent des Energydrinks „Schwarze Dose“ will Kreative fördern – und verleiht deshalb in Berlin den „Halbtagsjob 2010“

Die PR-Frau stibitzt die Afri-Cola-Flasche vom Rednerpult, die Matthias Schweighöfer dort abgestellt hat. Die Flaschendiebin ist schnell, doch der Schauspieler hat sie bemerkt. „Ey, warum nimmst Du mir die weg?“ ruft Schweighöfer. Weil das die falsche Marke ist, müsste die Antwort lauten. Der Schauspieler steht auf der Bühne des Berliner Ballhaus Ost, um hier den Kreativpreis „Halbtagsjob 2010“ an Nachwuchskünstler zu vergeben. Nach seiner kurzen Laudatio schüttelt Schweighöfer einem schüchternen Mützenträger die Hand. Der will einen Kurzfilm über einen manisch-depressiven Mann machen. Als Splitscreen: linke Seite manisch, rechte Seite depressiv. „Echt ’ne geile Idee, Alter“, sagt Schweighöfer.

Geht es nach den Wettbewerbsmachern, den Produzenten des Energydrinks „Schwarze Dose 28“, sollen viele „geile Ideen“ demnächst umgesetzt werden. Das Unternehmen Calidris 28 will als Kunst- und Kulturmäzen das eigene Image pflegen, die Brausebrauer zahlen deshalb fünf Preisträgern der Kategorien Mode, Design, Kunst, Film und Literatur über ein halbes Jahr lang 18.000 Euro. Als Gehalt für einen imaginären Halbtagsjob, in dem die Prämierten ihre Projekte vorantreiben sollen. 500 Bewerbungen hatte die Jury bewertet, 70 Prozent der Einsendungen kamen aus Berlin. Die meisten Teilnehmer entstammen dem Milieu, das der US-Ökonom Richard Florida als „Kreative Klasse“ bezeichnet.


Zwei Stunden vor der Preisverleihung füllt sich das Ballhaus Ost, ein runtergekommenes Theater in Prenzlauer Berg. Die Frauen sind hübsch, groß und laufstegtauglich gekleidet. Die Männer tragen eng geschnittene Herrenhemden, Jeans und perfekt gepflegte Dreitagebärte. Das Barpersonal ist halstätowiert und mixt Wodka mit der Schwarzen-Dose-Energiebrause. Erster Programmpunkt ist ein „Kreativtalk“. Auf den Stufen der Bühne lümmelt die Wettbewerbsjury. Der Fotokünstler Stefan Heyne sitzt da, neben ihm Michael Kaune, Herausgeber des Lifestyle-Magazins Qvest und Sebastian Schwarz, eine Hälfte des Elektro-Duos Tiefschwarz. Und natürlich Schweighöfer. Moderiert wird die Plauderei zum Thema „Work-Life-Balance“ von Markus Albers. Der Journalist schreibt Bücher, die Titel wie Morgen komm ich später rein haben. Albers stellt gute Fragen – doch der Kreativenkreis antwortet wenig Kreatives.

„Wenn die Kunst dich will, dann findet sie dich auch“, weiß Heyne zu berichten. Für all die brotlosen Mühen sei „ein tolles Werk eine Superentschädigung!“ Kreativ sein allein reicht aber nicht, meint Heftmacher Kaune: „Man muss an sich glauben, aber auch diszipliniert sein!“ Das klingt wie Heidi Klum in Germany’s Next Top Model. Auf die Schattenseiten kreativer Selbstständigkeit verweist nur Sebastian Schwarz: „Ich bin ein DJ auf Reisen, seit zehn Jahren. Das ist ein aufregendes Leben, aber eins ist klar: Ich darf niemals krank werden.“

Nach der Diskussion steht Journalist Albers im Hof des Ballhaus Ost. Leicht gebräunt, das Holzfällerhemd aufgeknöpft. Es geht ihm gut, er ist ein gefragter Mann, ein Spezialist für die schöne neue Arbeitswelt. Aber er kennt auch die Risiken: „Auf der einen Seite gibt es die High Potentials, die alle Freiheiten fordern können. Mehr Flexibilität, keine festen Arbeitszeiten, ein entspanntes Arbeitsumfeld – große Unternehmen bieten Hochqualifizierten das längst. Auf der anderen Seite gibt es bei den kreativen Dienstleistern immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse.“ Diese Unsicherheit mache vielen zu schaffen. Auf Dauer sei das nicht gesund, auch Arbeitspsychologen würden das in ihren Studien bestätigen.
Albers selber hat keine Angst, sein Thema boomt: „Dass sich ein Energydrink mit der kreativen Klasse beschäftigt, ist doch der Beweis. Wenn mit etwas geworben wird, ist es im Mainstream angekommen.“ Bevor dann auf der Bühne die Siegerehrung beginnt, preist Schwarze-Dose-Geschäftsführerin Sandra Böhrs noch einmal ihr Produkt: „Unser Zucker ist nicht kariogen!“ Soll heißen, mit der Energie aus der Schwarzen Dose kann man 28 Stunden durcharbeiten, ohne dass man Karies bekommt. Genau das Richtige für Jung-Kreative.

In der Kategorie Kunst gewinnt ein „Prozessmaler“, bei Mode werden zwei Designerinnen aus Berlin-Neukölln ausgezeichnet, in der Kategorie Design wird Engagement prämiert: Die Gewinner wollen Kunstinstallationen aufstellen, die Passanten mit Pfandflaschen füttern sollen. Als Selbstbedienungsladen für Obdachlose – die kreative Klasse zeigt soziales Engagement.

Ein Tennisschiri will schreiben

Den alten Job aufgeben will kaum einer der Prämierten. Nur Timo Kranzusch träumt von einem neuen Leben. Er ist Profi-Tennisschiedsrichter – und hat den „Halbtagsjob“ für Literatur gewonnen. Jetzt steht er in feuerroten Nikes im Treppenhaus: „Das mit dem Tennis hat sich so ergeben. Ich hab in der Jugend viel gespielt, aber zum Profi hat’s nicht gereicht. Dann habe ich Jura studiert. In der Kanzlei habe ich aber gemerkt: Das sind alles Arschlöcher, die Kollegen, die Mandanten. Also habe ich mich wieder aufs Tennis konzentriert.“ Jetzt ist er 33 Wochen im Jahr auf Weltreise, mal sitzt er auf dem Stuhl, mal steht er an der Linie. Doch der Job sei schlecht bezahlt. Er wolle jetzt nur noch schreiben, die absurden Erlebnisse seines Zivildienstes verarbeiten. Einen Verlag hat er noch nicht.

Vielleicht repräsentiert Kranzusch damit gang gut das Dilemma des Wettbewerbs. Viele Ideen wirken unausgegoren. Braucht die Welt noch ein witziges Buch über den Zivildienst? Und was sagen Stadträte zu Almosen-Installationen für Flaschensammler? Red Bull sponsert stattdessen Sportveranstaltungen und versucht, Techno-Tänzern Flügel zu verleihen. Klar, dass da für den Energydrink „mit Designanspruch“ (Selbstbeschreibung Schwarze Dose) der Wunsch nach Abgrenzung groß ist.

Allerdings muss an dem 28-Stundentag noch gearbeitet werden. Nach vier Stunden im Ballhaus Ost beweisen nur noch wenige Kreative Stehvermögen: Als das Elektroduo Tiefschwarz endlich auflegt, ist auf der Tanzfläche viel Platz.

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