Derweil sich dieser Tage die Amts- und Würdenträger der Christlich Sozialen Union wie alle Jahre wieder in Wildbad Kreuth zu ihrer Klausurtagung versammeln, wird sich mancher Parteisoldat wehmütig an die gute alte Zeit erinnern. 1976 war es, als der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, strotzend vor Kraft, offen über eine Abspaltung von der CDU und eine Ausdehnung ins Bundesgebiet nachdachte. Heute dagegen rangelt man mit der FDP um einen Platz am Tisch der allmächtigen Kanzlerin.
Mehr noch: Die Angst geht um in der Reihen der CSU, die Angst vor dem Absturz unter die 40-Prozent-Marke in Bayern. Immerhin brachte die letzte Bundestagswahl mit 42,5 Prozent das schlechteste Ergebnis seit 1949. Damit lag der neue Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer n
Seehofer noch unter dem desaströsen Ergebnis seiner Vorgänger Erwin Huber und Günther Beckstein bei der Landtagswahl 2008 – und war der zweite große Verlierer der Bundestagswahl, der nur durch das noch schlechtere Abschneiden der SPD und mangels innerparteilicher Alternativen nicht sofort ins Schussfeld geriet.Kurzum: Der Lack ist ab von der einstigen Über-Partei, die – anders als CDU oder SPD – stets mehr als „bloß“ Volkspartei gewesen ist, nämlich die einzige Staatspartei im Lande. L’état c’est CSU: Ohne die CSU ging nichts in Bayern; wer etwas werden wollte, musste in die Partei. Diese Position, die infolge der Koalition mit der FDP erheblich erodiert ist, verlieh der CSU in allererster Linie ihren Nimbus unangefochtener Allmacht.Hinzu kam zweitens ihre besondere parteipolitische Lage. Stets war die CSU eine eigenständige Partei mit bundespolitischer Bedeutung – und damit mehr als bloße Regionalpartei oder gar bloßer Landesverband der CDU. Die CSU konnte sich dabei stets auf das dialektische Zusammenspiel von Stand- und Spielbein verlassen. Schwächelte München, stand doch Bonn – und umgekehrt. Dafür bürgte eine bemerkenswerte Riege starker Landes- und Bundespolitiker. 16 Jahre regierte Alfons Goppel und konnte dabei stets auf Franz Josef Strauß als seinen starken Mann in Bonn bauen. Und als dieser ihm als Ministerpräsident nachfolgte, waren Friedrich Zimmermann und Theo Waigel seine getreuen Bonner Statthalter.Volkstümliche CharaktereSelbst in der zweiten Reihe verfügte die CSU über starke volkstümliche Charaktere, die sie heute selbst beim Suchen mit der Lupe wohl nicht mehr fände. Oder wer wollte dabei ernsthaft die brave Ernährungsministerin Ilse Aigner entdecken, vom bereits heute überfordert erscheinenden Verkehrsminister Peter Ramsauer ganz zu schweigen, der ohnehin am liebsten weiterhin den bequemen Vorsitz der CSU-Landesgruppe ausgeübt hätte – schon wegen des abschreckenden Beispiels von Michel Glos im Wirtschaftsressorts.Doch all das wäre nicht ganz so dramatisch, wenn nicht die beiden starken Figuren, der aktuelle Parteiführer und sein potentieller Nachfolger, nicht ebenfalls eine dramatische Krise durchlebten. Die Ironie der Geschichte: Beide haften maßgeblich für die Fehler ihrer Vorgänger, wenn auch durch erhebliches eigenes Zutun. „Shootingstar“ Karl-Theodor zu Guttenberg machte seinem Ehrennamen durch schneidiges Kündigen im Verteidigungsministerium alle Ehre und wird im kommenden Untersuchungsausschuss zu beweisen haben, ob diese Kündigungen tatsächlich „angemessen“ oder doch nur (letztlich ungeeignete) Versuche waren, das eigene Versagen bei der Einschätzung der militärischen Lage in Kundus zu kaschieren. Hier steht Aussage gegen Aussage, das Ergebnis ist völlig offen. In jedem Fall dürfte der Verteidigungsminister deshalb so bald nicht aus den Schlagzeilen heraus kommen.Hochrisikoregion BayernBeim Parteivorsitzenden ist die Sache noch problematischer. Horst Seehofer ist es gelungen, im vergangenen Jahr fast seinen gesamten Kredit zu verspielen. Nach dem Scheitern von Huber und Beckstein fast als Messias – und letzte Hoffnung – auf den Schild gehoben, hat er durch seinen erratisch-opportunistischen Stil jede inhaltliche Stringenz und Führungsfähigkeit vermissen lassen. Zudem wurde durch das jüngste Desaster der Hypo Alpe Adria der letzte Anschein ökonomischer Kompetenz verspielt. Immerhin wurden der Landesbank inzwischen bereits ganze zehn Milliarden überwiesen – zu Lasten des Steuerzahlers. Dass der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, Bayern soeben als „Hochrisikoregion“ in Sachen Arbeitsplatzabbau bezeichnete, dürfte die Lage auch nicht erleichtern.Dieses wirtschaftspolitische Debakel stellt aber nur einen Aspekt der zunehmend haltlosen Lage der CSU innerhalb der Koalition dar. Lange Zeit etablierten sich die CSU, nicht zuletzt Seehofer und dessen Vorgänger Edmund Stoiber, als das soziale Gewissen der Union. In dem Augenblick jedoch, da Angela Merkel und Wolfgang Schäuble selbst diese Position gegenüber der rein klientelistisch agierenden FDP einnehmen, ist diese Rolle schlicht überflüssig geworden.Im Falle der CSU ist es also weniger der allgemeine Wandel des Parteiensystems als vielmehr die konkrete parteipolitische Lage in der Koalition, die ihre bisherige Sonderrolle untergräbt. Tatsächlich befindet sich die CSU in der wohl schwierigsten Phase ihrer Geschichte. Im schlimmsten Falle, wenn nämlich strategisch-inhaltliche Schwäche und personelle Unhaltbarkeit kumulieren sollten, steht die CSU in absehbarer Zeit ohne ihre beiden (letzten) Zugpferde da. Nur die am härtesten gesottenen Parteigenossen mögen sich eine Ära unter einem Parteichef Markus Söder oder Ramsauer auch nur vorstellen. Dafür erscheinen Seehofer und vor allem zu Guttenberg – der eigentliche Hoffnungsträger – für eine bessere Zukunft zu unersetzbar.Hilflose SymbolpolitikWie ungemein nervös die Partei mittlerweile ist, zeigt sich auch daran, dass selbst erfahrene (und erzkonservative) Politiker wie Norbert Geis und Hans-Peter Uhl nicht davor zurückschreckten, eine verfassungsrechtlich völlig aussichtslose, da im Grundgesetz gar nicht vorgesehene und ebensowenig erreichbare zweite Vizekanzlerschaft zu fordern (für zu Guttenberg). In der Tat eine, zudem völlig inhaltsleere, „Gespensterdebatte“, wie es der Parteichef zum Zwecke der Schadensbegrenzung ausdrückte.Dieses Konkurrieren mit der FDP zeigt jedoch, wie unendlich weit die CSU von der einstigen Partnerschaft in Augenhöhe mit der Schwesterpartei CDU entfernt ist. Mehr noch: Angesichts derartiger Ausflüchte in reine, hilflose Symbolpolitik mag so mancher in den Reihen der CSU selbst die FDP beneiden. Deren Parteichef Guido Westerwelle ist immerhin so „mutig“, ganz im Stile Helmut Kohls eine „geistig-politische Wende“ zu fordern – wenn auch ohne die Kohlsche „Moral“ der Macht.Vielleicht sollte es die CSU ja damit versuchen. Schließlich ist Seehofer noch in die Schule des Pfälzers gegangen. Nun muss er beweisen, ob er von dessen Machtinstinkt tatsächlich gelernt hat. Allzu viel Zeit dürfte ihm dafür nicht mehr bleiben.