Wenn sich die Berliner Grünen an diesem Wochenende zu ihrer Landesdelegiertenkonferenz versammeln, geht es um weit mehr als um eine Berliner Lokalangelegenheit. Faktisch dürfte dabei eine Vorentscheidung darüber fallen, ob sie bei den Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2011 tatsächlich mit einer eigenen Spitzenkandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters antreten werden. Davon wiederum hängt ab, welche Optionen die Grünen zukünftig haben werden – und zwar nicht nur im Land Berlin, sondern auch im bundespolitischen Koalitionsmikado. Letztlich könnte sich an der Berliner Abgeordnetenhauswahl die Frage entscheiden, ob die Grünen langfristig in Richtung Rot oder Schwarz tendieren.
Vieles steht und fällt dabei mit Renate K&
Renate Künast. Seit Monaten wird über die Spitzenkandidatur der ehemaligen Verbraucherschutzministerin spekuliert. Als echtes, wenn auch (natürlich) zugezogenes, Berliner Politgewächs ist sie in der Hauptstadt noch bekannter als im Bund. In einer Forsa-Umfrage von Mitte Mai überflügelten die Grünen denn auch mit 23 Prozent bereits die CDU, die bei 20 Prozent rangiert, und verdrängten sie damit vom zweiten Platz hinter dem seit langem schwächelnden Regierenden Bürgermeister.Exempel für den BundWie ernst dieser die Absichten Künasts nimmt, brachte er unlängst in einem Interview zum Ausdruck: „Wenn Künast hier antritt, muss sie sich für die Landespolitik entscheiden. Sie sollte nicht zur Wahl einfliegen und dann zurück in den Bundestag gehen“, stellte Klaus Wowereit die potentielle Konkurrentin vor die Wahl. Gleichzeitig warf er den Berliner Grünen vor, dass sie sich teilweise weit von ihren Ursprungsideen entfernt hätten. In manchen Politikfeldern näherten sie sich sogar der FDP an; zudem trage die Partei ihre Offenheit für Koalitionen mit der CDU offen zur Schau.Tatsächlich liegt aber genau hier das Problem der SPD. Seit Jahren bemühen sich die Berliner Grünen um einen machtstrategisch angelegten Koalitionskurs in der Opposition. Besonders der wendige Volker Ratzmann, einer der beiden Vorsitzenden und Kanzleikollege von Renate Künast, versucht seit geraumer Zeit wirtschaftspolitische Kompetenz auszustrahlen – durchaus in Annäherung an wirtschafts-liberale Kreise. Auch wenn es unlängst zu einer vorläufigen Aufkündigung der „Jamaika-Koalition in der Opposition“ kam, die Option einer schwarz-grünen Koalition, wenn nötig in Erweiterung um die Liberalen, ist damit keineswegs vom Tisch – und das umso mehr, da Rot-Rot derzeit über keine eigene Mehrheit verfügt. Da kann es kaum verwundern, dass die einst dezidiert linke Renate Künast seit geraumer Zeit den „Reiz“ der vermeintlich bürgerlichen Koalition erkannt zu haben meint.Damit könnte Berlin jenes Exempel für den Bundestag liefern, das in Nordrhein-Westfalen nun doch nicht zustande gekommen ist. Ironischerweise ist nämlich Schwarz-Grün, ungeachtet des enormen Zugewinns der Grünen, ein bisher kaum beleuchteter Kollateralschaden der jüngsten Landtagswahl. Schließlich galt noch bis kurz zuvor als ausgemacht, dass es, da nicht für Schwarz-Gelb, so doch für Schwarz-Grün reichen werde. Und da die wacklige Koalition in Hamburg und das dubiose Jamaika-Experiment im Saarland nur bedingt Mut zu größeren Experimenten machen, erscheint ein weiterer Probelauf vor den nächsten Bundestagswahlen unabdingbar.Gespaltene GrüneDie erhofften Königsmacher sind die Grünen, dank des Debakels von Rüttgers, in Düsseldorf nun jedoch nicht geworden. Doch mehr noch: Die Konstellation, die noch vor wenigen Wochen als Bundeskoalition im Wartestand angesehen wurde, hat angesichts einer möglichen „roten Ampel“ dezidiert verloren, nämlich Schwarz-Grün. An dieser Stelle relativiert sich auch das Gerede vom sensationellen Erfolg der Grünen. Es suggeriert eine Homogenität der Partei, die so nach wie vor nicht gegeben ist. Für jene „roten Grünen“, die noch eine klare Lagerposition vertreten, war die NRW-Wahl ein eindeutiger Sieg. Ein herber Rückschlag ist es jedoch für all jene mittig orientierten Grünen, die auf Schwarz-Grün gesetzt haben.Denn auch wenn uns 2011 mit sechs Landtagswahlen das nächste Superwahljahr beschert, nennenswerte schwarz-grüne Optionen sind nicht darunter. In zehn Monaten wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewählt. Bereits unter Lothar Späth, aber auch unter Erwin Teufel und Günther Oettinger, galt das Ländle, obwohl von Hause aus strukturkonservativ, als mögliches Experimentierfeld. Aber mit Stefan Mappus als explizit Konservativem und Grünenfresser ist ein schwarz-grünes Experiment gelinde gesagt nicht sehr wahrscheinlich. Und auch die folgenden Wahlen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern dürften schwerlich zu geeigneten Probeläufen werden.Bleibt die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus. Doch selbst wenn es den Grünen mit einer Spitzenkandidaten Künast gelingen sollte, dort ein hervorragendes Ergebnis zu erzielen, dürfte der amtierende Bürgermeister wohl doch stärker aus der Wahl hervorgehen. Sollten die Grünen jedoch tatsächlich besser als die Union abschneiden, könnte die durchaus machtbewusste Renate Künast versucht sein, auf die angebliche bürgerliche Karte zu setzen, um selbst Regierende Bürgermeisterin zu werden.Symbolkraft und AnschlussfähigkeitDenn natürlich wäre die erste grüne „Regierende“ in der Bundeshauptstadt von nicht zu unterschätzender Symbolkraft. Gleichzeitig bedeutete sie die endgültige Anschlussfähigkeit in Richtung Union und sogar FDP. Zudem erhielte Klaus Wowereit damit die Quittung dafür, dass er sich nach den letzten Wahlen dezidiert für die Linkspartei entschieden hat – und gegen die Grünen, was ihm viele in der Partei bis heute verübeln.Für eine eigene Spitzenkandidatur der Grünen könnten an diesem Wochenende bereits die informellen Weichen gestellt werden. Die Nominierung Renate Künasts dürfte dann nur noch eine Formsache sein. Die eigentliche Entscheidung steht jedoch erst nach den Wahlen an. Denn wie auch immer diese ausgehen: Über die anschließende grüne Grundsatzfrage – hin zu schwarz oder zurück zu rot – wird noch so mancher im einst traditionell linken Berliner Landesverband ein Wörtchen mitreden wollen.